08.04.2020, 15:04
Viel mehr Zeit, sich dem Geschehen in seinem Rücken zu widmen, blieb ihm auch nicht – brauchte er auch nicht, denn er hatte sich nicht grundlos lieber den Fliehenden geschnappt, statt sich um das wimmernde Weibsstück zu kümmern. Den Fliehenden, der sich selbstverständlich versuchte, aus dem Griff zu befreien. Und Alex ließ ihn nicht nur los, weil ihm durch die Technik des Burschen keine andere Wahl blieb, sondern auch, weil sich in seinem Gesicht deutlich eine Spur von Erkennen abzeichnete. Wäre es nicht John gewesen, hätte er vermutlich wieder zugepackt. Das hier war bei weitem nicht sein erster Zweikampf; auch nicht mit einem Marinesoldaten, die man das Kämpfen zu lehren versuchte. Er schätzte den Sonderling allerdings klug genug ein, um zu wissen, dass ein weiterer Fluchtversuch unnötig war. Besonders jetzt, als sie bereits viel mehr Aufmerksamkeit hatten, als ihm eigentlich lieb war. Alex knirschte mit den Zähnen und warf dem flüchtigen Bekannten einen Blick zu, der ihn fragen sollte, ob er wirklich glaubte, was er da redete. Sich jetzt mit vermeintlich offensichtlichen Halbwahrheiten seine Unschuld erkaufen zu wollen, war nicht unbedingt der beste Plan, den John an den Tag legte. Der Meinung schien nicht nur der Lockenkopf zu sein, weil er vor kurzem erst ohne Verletzten hier vorbeigelaufen war, sondern auch sein momentaner Chef. Inzwischen war er einen Schritt von den anderen Mann zurückgetreten, hatte sich aber so positioniert, dass er ihm kurzerhand einfach das Bein stellen konnte, wenn er erneut versuchte, davonzulaufen. Auf dieses Katz-und-Maus-Kinderfangspiel hatte er nämlich absolut keine Lust. Ein unscheinbares Schulterzucken galt dem Jüngeren, ganz nach dem Motto ‚Guter Versuch‘.
Alex wandte den Blick zurück zum Geschehen. Das Frauenweinen hatte sich noch immer nicht eingestellt, war aber zumindest erträglicher geworden, da ihre Stimme vom Körper des einen Kunden etwas gedämpft wurde. Die Blonde der Gruppe hatte sich inzwischen hinabgebeugt, um das zu tun, was er weitaus sinnvoller gefunden hätte, als zu schreien. Der gute Mann hatte es also offensichtlich wirklich hinter sich. Ob das nun etwas Gutes oder Schlechtes für ihn war, wagte Alex noch nicht zu beurteilen. Stumm wartete er die Anweisung des Inhabers ab, als sich die hysterische Frau von ihrem edlen Retter losriss, und zielstrebig auf John und ihn zusteuerte. Ohne groß darüber nachzudenken, schob er sich zwischen die beiden, doch sein Chef kam ihm zuvor und hielt sie auf. Ihre Anschuldigung mochte nachvollziehbar sein. Doch Alex blieb an einem kleinen Punkt ihrer Aussage hängen und musste trotz der ernsten Lage glucksen. Er überspielte es hastig mit einem Räuspern.„‚Gegrinst‘? Kannst du sowas überhaupt?“, fragte er leise bloß an John gewandt mit einem amüsierten Zucken in den Mundwinkeln, welches er nicht auf die Schnelle losgeworden war.Der Werftinhaber hatte sich indes darum gekümmert, das erhitzte Gemüt der Frau zu beruhigen. Ohne Erfolg. Nachvollziehbar, als sie den Toten als ihren ermordeten Mann identifizierte. Alex betrachtete den aufgeschlagenen Hinterkopf eingehend und versuchte letztlich, das Gesicht des Toten in seiner Position zu erahnen.„Kanntest du ihn? Diesen Nhoj?“, fragte er John kurzerhand offen in die Runde, während der Hüne der Gruppe eine weitere Frage an seinen Chef stellte, die Alex vorerst als unwichtig abtat.Seine Stimme ließ nicht darauf schließen, was in seinem Kopf vor sich ging. Nicht, ob er John misstraute oder dazu übergehen wollte, ihn zu schützen. Er gab ihm ganz einfach die Möglichkeit, zu antworten. Aber an der Aussage seiner vermeintlichen Frau stimmte irgendetwas nicht. Er konnte sich John noch immer nicht grinsend vorstellen. Nicht so jedenfalls, dass es irgendein Dahergelaufener als ‚Grinsen‘ hätte ausmachen können bei seiner versteinerten Mimik. Er hatte es gesehen. Und es hatte mehr nach einem festgesteckten Morgenschiss ausgesehen als nach einem Ausdruck der Freude.