25.03.2020, 21:39
Einzig die Fischer waren es, die sich am Wasser tummelten, um ihren Fang zum täglichen Verkauf an Land zu bringen. Die Möwen kreisten kreischend am frühmorgendlichen Horizont und stritten gierig um ihren Anteil der Beute. Alex hätte sich fast daran gewöhnen können. An diese Regelmäßigkeit, früh morgens vor allen anderen auf den Straßen unterwegs zu sein, um die Werft zu erreichen, die ihn seit den letzten Wochen beschäftigte. Aber allein die Nähe zu Chikarn würde ihn früher oder später von hier forttreiben. Bevor er allerdings wieder in die Welten aufbrach, war es nicht verkehrt, sich einen kleinen Puffer aus Gold anzulegen, um nicht auf jeder Insel nach irgendwelchen niederen Aufträgen Ausschau halten zu müssen. Immerhin ging es ihm um das Erlebnis und das Abenteuer und nicht darum, irgendwo für irgendwelche Idioten die Drecksarbeit erledigen zu müssen. Allein unter diesem Gesichtspunkt musste er gestehen, dass er es mit der Arbeit in der Werft gar nicht mal so schlecht getroffen hatte. Auch, wenn die Zeit als Zimmerer ziemlich weit zurück lag, hatte er kaum Probleme gehabt, sich wieder einzufinden. Und Schiffe waren nun auch kein großer Unterschied zu einer Stube. Die Arbeit war und blieb fast die gleiche.
Als er die Werft betrat, war es noch ruhig in der großen Halle. Eine knappe Begrüßung galt dem Inhaber, der trotz der frühen Stunden bereits geschäftig war. Alex wusste, dass er irgendjemanden erwartete. Da es ihn allerdings nicht betraf, hatte er sich nicht groß um derartige Termine gekümmert. Stattdessen machte er sich dran, seine Sachen im Hinterzimmer abzulegen und sich mit den anderen abzusprechen, welche Arbeiten heute anstanden. Und während der Rest sich noch zu einem kurzen Plausch zusammentat, machte er kehrt, um sich allmählich ans Werk zu machen. Allzu weit kam er allerdings nicht.Ein Schrei durchschnitt die morgendliche Stille unweit von ihm entfernt, hallte in der großen Halle wider und ließen ihn innehalten – den Bruchteil einer Sekunde bloß, ehe er sich automatisch in Bewegung setzte und um die Ecke einer größeren Maschine schlitternd zum Stehen kam. Eine Frau stand unweit entfernt von der Hintertür, wimmerte und ächzte und zu ihren Füßen lag eine weitere Person, reglos. Bei genauerem Hinsehen erkannte er zudem eine weitere Gestalt, die eben wohl noch vorn übergebeugt gewesen war, nun aber durch den plötzlichen Ausruf aufgeschreckt worden war. Erwischt vermutlich. Alex fackelte nicht lange, setzte sich abermals in Bewegung und schob sich unsanft an der Frau vorbei, die ihm den Weg ins Freie versperrte. Der Reglose am Boden tat es ihm gleich, doch der Lockenkopf wählte geschickte Trittsiegel zwischen Armen und Beinen, sodass er den loslaufenden Knaben einige Meter weiter tatsächlich erwischen konnte und grob am Kragen packte.„Hiergeblieben, Freundchen.“, brummte er zunehmend genervt vom hysterischen Wimmern in seinem Rücken. Noch bevor er sich den Burschen näher angesehen hatte, aber nicht ohne ihn im Auge zu behalten, um der erwarteten Wehr entgegenwirken zu können, warf er den Kopf nur flüchtig über die Schulter. „Wie wär’s, wenn Sie stattdessen mal was Nützliches tun würden? Zu sehen, ob der gute Mann noch atmet, zum Beispiel.“Nicht, dass es ihm wirklich um den Kerl am Boden gegangen wäre, aber er hoffte, dass dem Gewimmer dadurch zumindest kurz Einhalt geboten war. Aus den Augenwinkeln hatte er ebenso den Inhaber der Werft erkannt, hinter ihm vermutlich die einbestellten Kunden. Na, wenn das nicht einen super Eindruck hinterließ. Leiche zu ihrem Schiff gefälligst? Der Größe der Blutlache zu urteilen, hatte der Kerl ordentlich eins auf die Murmel bekommen. Vielleicht hatte er’s auch hinter sich, wer wusste das schon. Die Hauptsache gerade war, dass es nicht sein Problem war – jedenfalls nicht mehr, sobald er den Kerl hier abgegeben hatte. An wen auch immer. Aber so, wie sich an diesem Morgen eine vermeintliche Leiche gefunden hatte, würde sich auch jemand finden, dem er dieses Problem aufs Auge drücken konnte.