09.03.2020, 22:50
Ein unscheinbares Schmunzeln nistete sich in seinen Mundwinkeln ein. Sein Blick war einen Augenblick auf die dunkle Linie gerichtet, die das Meer in den Sand zeichnete und es ihm zeitweise erleichterte, gerade voran zu laufen. Skadis Worte verrieten ihm einen wertvollen Teil über sie - wenn sie ehrlich war jedenfalls. Aber das stellte er in seinem momentanen Zustand gar nicht in Frage. „Das wissen du und ich vielleicht.“, stimmte er ihr zu und sah auf. „Andere sind davon überzeugt, dass man es braucht, damit einem ein Dritter die Probleme aus der Welt schafft.“ Der Musiker zuckte mit den Schultern. Josiah war doch das beste Beispiel dafür. Doch am Ende sahen sie alle einfach nur zu, über die Runden zu kommen. Ihr Thema wanderte allerdings weiter Richtung Marine, wobei der Lockenkopf recht schnell in seiner falschen Einschätzung berichtigt wurde. „... also kein angesehenes Hobby bei der Marine, verstehe.“, korrigierte er sich mit gehobenen Handflächen. „Hätte gedacht, man hätte dort doch mehr zu tun, als all sein Gold betrunken bei Kartenspielen zu verlieren und den Höheren den Speichel zu lecken. Aber man lernt nie aus, was?“
Liam sprach und zeichnete just ein Bild in ihrem Kopf. Womöglich dachte er in jenem Moment an dieselbe Person, wie sie. An den umhüllten Kerl, der just an Deck der Sphinx oder irgendwo in den Gassen der Stadt einem akuten Niesanfall erliegen musste. Diese Vorstellung dämpfte das drückende Gefühl, das sich ungefragt ihren Magen hinauf schlängelte. Ehrlich gesagt wurde ihr speiübel bei dem Gedanken daran, jemanden für etwas so widerwärtiges zu bezahlen. Nicht, weil dabei jemand sein Leben verlor. Sondern weil man zu feige war, um es selbst zu tun. Wenn man nicht töten konnte, sollte man es auch nicht tun. Das war zu einfach. Zu pauschal. Auf gewisse Weise entehrte man das gelebte Leben noch mehr, wenn man es behandelte wie eine Nichtigkeit. „Glaubst du, dass ich so jemand war?“ Die Frage kam aus dem Nichts, als die Nordskov mit einem intensiven Schritt ins Wasser trat und dabei etliche Spritzer Meereswasser gegen ihren Oberschenkel klatschten.
Die gute Laune blieb auf seinen Zügen haften, auch wenn die Frage der Jüngeren ein wenig mehr Ernst erforderte. Ernst, Ja, aber er schätze seine Antwort nicht gerade bedeutungsschwer ein. Er war nicht unbedingt die Art Mensch, über deren Meinung man sich Gedanken machte. „Anfänglich? Ja.“, gab er ohne zu zögern ehrlich zu. Damals, als sie sich an Bord der Sphinx gegenübergestanden hatten, wäre auch alles andere ziemlich töricht gewesen. „Aber nach dem heutigen Abend -“ Liams Blick legte sich abermals auf die Züge der Jüngeren. Das Lächeln auf seinen Zügen wurde nachdenklicher, während er irgendetwas an ihr zu ergründen versuchte, es aber alsbald zur Seite legte. „ - will sich mir noch nicht erschließen, weshalb es dich dorthin geführt hat. Aber ich schätze dich so ein, dass du gute Gründe hattest.“
Verwunderte es sie, dass er anfänglich davon ausgegangen war? Ts. Als ob. Eher schnaubte sie bei der Vorstellung, dass er ihr… nun… zumindest so viel vertraute, um entspannt neben ihr her zu laufen und sich mit ihr zu unterhalten. Wie gute Bekannte, die sich zufällig über den Weg gelaufen waren. Nur mit dem kleinen aber feinen Unterschied, dass sie sich eigentlich gar nicht kannten. „Schlauer Junge.“, entgegnete die Nordskov somit breit grinsend und schlug ihm sanft mit der flachen Hand auf die Schulter. „Aber mal im Ernst…“ Augenblicklich hielt sie inne und straffte die Finger um sein Hemd, um ihn in der Bewegung zu stoppen. „Bist du dir ganz sicher, dass dein Boot in diese Richtung lag? “
Zum Glück gab Skadi ihm keinen Augenblick das Gefühl, näher nachfragen zu müssen. Dementsprechend kam er selbst nicht mal auf den Gedanken, darüber zu philosophieren. Er lebte meist ganz nach dem Pribzip „leben und leben lassen“, was, wie es schien, gerade im Augenblick wieder ein großer Vorteil für ihn war. Er lachte, bis ihn ihr Griff abrupt zum Halten brachte. Er neigte den Kopf fragend in ihre Richtung und gluckste amüsiert über ihr fehlendes Vertrauen. „Glaubst du etwa, ich führe dich an der Nase herum? “ Noch während er sprach, schlug die Erkenntnis in seiner Magengegend ein, dass er sich besser vorher nochmal davon hätte vergewissern sollen, dass das Beiboot wirklich da war, wo er es vermutete. Aber zum Glück lugte tatsächlich die Spitze aus dem Schilf heraus, als er unauffällig den Blick hob, um danach zu suchen. „Entgegen deiner Annahme offenbar, wurde mir als Kind nämlich noch Anstand beigebracht. “, eröffnete er ihr und deutete wie selbstverständlich auf das gerade wiederentdeckte Boot. „Und dazu gehört auch, eine Dame vor... Sonnenaufgang nach Hause zu bringen. “ Das kurze Zögern verriet, dass ihm durchaus bewusst war, dass es ‚Sonnenuntergang‘ hätte heißen müssen, aber das war mittlerweile wohl unmachbar.
„Na, du bist doch ein Straßenköter. Wer weiß was die so mit wehrlosen Frauen tust.“, gab die Nordskov gespielt besorgt und ließ die braun gebrannten Lider flattern. Als er daraufhin entgegnete, mit Anstand groß geworden zu sein, verzogen sich die vollen Lippen zu einem süffisanten Grinsen. Wieso er sofort annahm, dass sie so über ihn dachte, war ihr schleierhaft. Immerhin hatten sie das Thema bereits erörtert. Oder? „Ich wollte nur sicher gehen. Jeder kann sich mal irren. “ Erst dann folgte sie seinem Blick in Richtung Schilf, dicht am Waldrand. Lugte da irgendetwas hervor? So wirklich erkannte sie nichts. Was allerdings mehr daran lag, dass sie für einen Moment das Gleichgewicht verlor. „Whuups.“
Er lächelte hörbar. In Zukunft musste er wohl ein bisschen besser darauf achten, was er beiläufig aussprach, denn die Nordskov zeigte sich trotz des Alkoholeinflusses als durchaus hellhörige Gesellschaft. Er neigte den Kopf in leiser Zustimmung. Auch, wenn er vermutlich eher zu der Art gehörte, die brav mit großen Augen am Rand saß und sich ein wenig Essen erhoffte. Er nickte ungläubig, als sie ihm versichern wollte, dass sie sich nur noch einmal vergewissern wollte, doch noch bevor er eine Antwort parat hatte, kippte der Körper an seiner Seite plötzlich weg. Liam zögerte nicht lange und ehe er sich versah, hatte er einen Schritt zur Seite gemacht, um Skadis Treffen mit dem nassen Sand noch etwas hinauszuzögern. „Alles okay?“, fragte er mit einem gut gemeinten Lächeln auf den Lippen und ging sicher, dass sie einen festen Stand hatte, ehe er die Hände von ihr löste. „Das Bier, was sie in Milui ausschenken, ist nicht zu unterschätzen. Gutes Zeug, aber auch mindestens genauso stark.“ Sein Grinsen verriet, dass er vermutlich selbst die ersten Tage die Erfahrung damit gemacht hatte. „Ich hole unser Boot.“ Wind und Wellen hatten die Schleifspuren längst verwischt, doch als er näher kam, erkannte er die versteckte Jolle im Schilf und machte sich dran, sie zurück auf den Strand zu ziehen.
Das Schwindelgefühl schlug ihr auf den Magen, drückte sich noch nachgiebiger gegen ihre Kehle, als Liam ihren Fall stoppte und wieder aufrichtete. Einen Moment umfasste sie abstützend seine Schultern. Presste die Lippen aufeinander und schluckte angestrengt die Übelkeit hinab. Wie konnte Liam diesen Alkohol nur so viel besser vertragen als sie? „Ich glaube es lag weniger an der Qualität, als der Unmengen an Bier, die ich getrunken habe.“ Mit einem zusammengekniffenen Auge sah sie zu ihm auf. Nickte wortlos auf seine Worte und blieb wie angewurzelt stehen. Nur um sich dann doch in den kühlen Sand gleiten zu lassen. Die Bierkrüge in ihrem Beutel klapperten wie eine kleine Kuhglocken. „Liam? Was tut man gegen Übelkeit und zu viel Alkohol? “ Am besten keinen trinken.
Vermutlich war es eine Mischung aus beidem. Wenn man Starkbier nicht gewohnt war, behielt man seine Angewohnheiten bei und hatte bereits mehr getrunken, als einem guttat, bevor man es überhaupt merkte. Sein Mitgefühl war ihr jedenfalls gewiss, während er sich heimlich glücklich schätzte, die letzten Tage einen gewissen Lernerfolg festgestellt zu haben. Gemeinsam mit viel Bewegung und einigen Mengen an Wasser zwischendurch hielt sich die Wirkung des Alkohols noch gut unter Kontrolle. Vielleicht war es also gar nicht so verkehrt gewesen, dass er sie zurück zur Sphinx begleitet hatte, wobei Liam dabei geflissentlich außer Acht ließ, dass er sie womöglich zum ein oder anderen Krug angestiftet hatte. Er wischte das Schilf beiseite und zog das Beiboot mit einem raschen Ruck aus seinem Versteck heraus und hinunter zum Strand. Ein sanftes Lächeln trat auf seine Züge, als er feststellte, dass sich die Jüngere inzwischen im Sand niedergelassen hatte. „Viel Wasser und Ausschlafen.“, entgegnete er, während er das Boot bis knapp vor die Wellen zog. Schließlich griff er an seinen Gürtel, löste eine kleinere, lederne Trinkflasche und hielt sie Skadi hin. „Und glaub mir, das Zeug ist teuflisch. Ich erinnere mich auch nicht mehr daran, wie ich am ersten Abend wieder zurückgekommen bin. “, räusperte er sich möglichst beiläufig und schenkte ihr ein aufrichtiges Lächeln. „Sollen wir noch kurz warten? Die Schauklerei der Wellen ist nicht unbedingt zuträglich.“
Irgendetwas scharrte schräg über ihrem Kopf. Skadi vermutete mehr, als dass sie wirklich die dunklen Augen danach Ausschau halten ließ, dass Liam das Boot gefunden hatte und es nun in Richtung Wasser schob. Seine Antwort war dennoch nicht zufriedenstellend. Skadi brummte und schob sich den linken Unterarm über die Augen. „Das kommt reichlich zu spät mein Lieber. Man könnte fast meinen, dass du mich absichtlich abgefüllt hast.“ Nicht, dass sie nicht auch in diesem Punkt ganz selbst die Frau gewesen war und sich Stunde um Stunde einen neuen Bierkrug geordert hatte. Aber man konnte ruhig darüber hinwegtäuschen, dass man etwas mehr als dringend zu verdrängen versuchte. Das Ploppen eines Korkens rückte ihre Aufmerksamkeit auf den Lockenkopf zurück, der sich nur schwer im Halbdunkel abzeichnete, nachdem sie ihren Arm wieder zurück û n den Sand gleiten ließ. „Wasser?“ Einen Moment musterte sie den Lederbeutel skeptisch. Hob ihn dann zaghaft zwischen seinen Finger zu sich und schnupperte daran. Der erste Schluck fühlte sich wie eine Erleichterung in ihrer Kehle an. „Definiere kurz...“, entgegnete die Nordskov bitter lächelnd. „Ich glaube, dass ich dir auch noch in 2 Stunden über der Reling hängen werde. “
Das Lächeln auf seinen Lippen musste hörbar für sie sein. Armes Mädchen, aber das hatte sie sich selbst eingebrockt, denn er war als flüchtige Bekanntschaft mit Sicherheit nicht in der Position, bezüglich Alkohols auf sie aufzupassen. Ihre Unterstellung nahm er deshalb mit Humor. „Du meinst, ich habe dich abgefüllt, um dir dann durch den Wald zum einsamen Strand zu folgen? Vielleicht ja doch.“ Er zuckte mit der Schulter, als bestünde tatsächlich die Möglichkeit, dass sie Recht hatte, bis er schnaubend den Kopf schüttelte. „Dein Glück, dass du ausgerechnet an mich geraten bist.“Oder Pech, wenn man den Fall in Betracht zog, dass ihr ein derartiges Spielchen gerade vielleicht gar nicht so unrecht gewesen wäre, aber auf den Gedanken kam Liam nicht. Jetzt jedenfalls klang er bereits wieder überzeugend ehrlich, als könne er keiner Fliege etwas zuleide tun. Wer wusste schon, wie ungehobelt sich manch anderer Mann – nicht nur auf die Sphinx bezogen – in seiner Haut verhalten hätte. Ihr Misstrauen brachte ihn abermals zum Schmunzeln. Ob sie trank oder nicht, blieb ihr überlassen, ihre Vorsicht allerdings nahm er positiv zur Kenntnis. „Reines Wasser.“, versicherte er ihr dennoch gut gemeint und steckte den Korken vorerst in die Tasche. Die Flasche sollte sie am besten behalten, bis sie zurück an Bord der Sphinx waren. „Ich habe auch noch zwei Stündchen Zeit, so ist es nicht.“, zwinkerte er und ließ das Beiboot schließlich zu Wasser. „Nun dann, Mylady.“ Mit einem Fuß hielt er das Boot davon ab, zu treiben, während er Skadi eine Hand hinhielt, um ihr möglichst ohne nasse Füße auf ihre Fähre zu helfen, bevor er die Jolle weiter ins Meer schieben würde.
Ein süffisantes Grinsen huschte über Skadis Lippen, die fast schon eindeutig demonstrierten, was sie von Liams Aussage hielt. War ja schon fast ekelhaftig wie zurückhaltend und wohlerzogen er war. Schade für ihn. Denn die Nordskov war gerade - abgesehen vom bitteren Magen - in der richtigen Stimmung für mehr als seichtes Vorgeplänkel. Somit blieb ihr nichts weiter als mit den Schultern zu zucken und einige Hiebe vom Wasser zu nehmen. „Mylady...“ Skadi grunzte amüsiert und reichte Liam erst die Flasche, bevor die seine Hand ergriff und sich auf die Beine ziehen ließ. Eigentlich wäre sie lieber bis zum nächsten Morgen am Strand geblieben. Doch der Lockenkopf schien es verdammt eilig zu haben, zurück aufs Schiff zu kommen. So gut wie er jedoch versuchte sie trocken ins Boot zu hieven, zerstörte sie seine Bemühungen und latschte fast schon absichtlich mit den nackten Füßen ins Wasser. Kicherte und stand letztlich mit ausgestreckten Armen und ums Gleichgewicht kämpfend im Kahn. „Was wohl passiert wenn ich...“ Immer wieder verlagerte sie ihr Gewicht von einer Seite zur anderen. Setzte sich dann jedoch schnell an die andere Seite und ließ den Kopf rücklings auf der Sitzbank nieder. „Jetzt hätte ich gern Trevors Suffkopf... dem dreht sich bestimmt nicht alles, wenn er einen über den Durst trinkt. “
Manche Verhaltensweisen konnte man eben nicht ablegen. Aber Liam war auch nicht der Typ Mensch, der sich für etwas schämte. Er war, wie er war und entweder man hatte kein Problem damit oder fühlte sich frei, die Zeit nicht mit ihm zu verschwenden. Was Skadi betraf, nahm er ihr Amüsement ganz gewiss nicht höhnisch auf. Er wusste nicht viel über sie oder ihre Herkunft, ihr Leben – viele Dinge, auf die seine Mutter Wert gelegt hatte, kamen bei den einfachen Menschen steif an, erlernt und gespielt. Im Oberstand war es das vermutlich auch, doch der Lockenkopf war lediglich Respekt vor seinem Gegenüber gelernt worden. Mit einem zufriedenen Ausdruck auf den Zügen entgegnete er also ihren Blick, verzog die Lippen leicht und nahm die Flasche entgegen, ehe Skadi möglichst unelegant ins Wasser stolperte und seinen zuvorkommenden Versuch zunichtemachte. Kurz darauf, kaum, dass sie ihren Platz in der Jolle bezog, brachte sie sie auch schon fast zum Kentern. Ob absichtlich oder nicht konnte der Lockenschopf in diesem Moment tatsächlich nicht abschätzen. Abschätzend beobachtete er die Kurzhaarige, wartete, ehe er es wagte, das Beiboot weiter aufs Meer zu schieben. Nüchtern wäre es vielleicht kaum ein Problem gewesen, sie wieder aus den Wellen zu fischen, aber in seinem jetzigen Zustand wollte er nicht wirklich herausfinden, ob es wirklich so einfach war, wie er es sich einbildete.
Zwischen ‚nüchtern‘ und ‚betrunken‘ kam nämlich immer noch die Spanne, in der man betrunken war, sich aber noch ziemlich nüchtern fühlte – bis man sich selbst das Gegenteil bewies. „… Ich fürchte eher, dass sich bei Trevor dauerhaft etwas dreht.“ – Indem man beispielsweise Dinge sagte, die man nüchtern… weniger verfänglich ausgedrückt hätte. Wer ihn kannte, wusste, dass Liam Dinge nur selten böse meinte. Kaum, dass die Wellen ihm knapp über die Knie reichte, kletterte er der Nordskov ins Boot hinterher und kramte das Ruder hervor. „… Ich glaube, ich hab‘ ihn noch nie betrunken erlebt. Mir fällt’s gerade schwer, mir auszumalen, wie sich Trevor unvernünftig verhalten könnte.“ Also – unvernünftiger, verstand sich. Betrunken eben.
Dauerhaft etwas dreht. Skadi versuchte es sich vorzustellen, während sie in den schimmernden Sternenhimmel starrte, der ganz leichte Schlieren zog. Erst dann begriff sie, was Liam damit wirklich meinte. Und schnaubte amüsiert. So konnte man es natürlich auch ausdrücken. „Es ist eben immer schwer sich etwas schlimmer vorzustellen, als es ohnehin schon ist. Als wäre man dabei sich auszumalen, wie es war, noch ... mehr tot zu sein.“ Was per se schon kaum möglich war. Aber das war ja auch nicht die Aussage, die sie damit unterstreichen wollte. „War aber trotzdem ein schöner Abend.“ Murmelte die Nordskov nach einer angenehmen Pause, in der sie aufmerksam den kleinen Wellen am Bug lauschte und die Augen schloss. Im Liegen ließ sich diese Überfahrt etwas besser ertragen als sitzend. Vor allem, wenn sie ihrem Kopf vollkommene Dunkelheit schenkte.
Es schien Ruhe in ihren Zustand einzukehren, was Liam ehrlich freute. Die Übelkeit war – seiner Meinung nach – die unangenehmste und unnötigste Nebenwirkung von Alkohol, wohingegen der Schwindel allein manchmal eigentlich sogar ganz witzig war. In dieser Nacht war das Meer aber gottseidank auch ruhig und friedlich und gestaltete ihre Überfahrt angenehm sanft. „Hm. In diesem Fall gibt’s allerdings einen recht einfachen Weg, es herauszufinden.“ schlug er unscheinbar vor. In seinem Hinterkopf sammelte sich Vorfreude auf einen betrunkenen Trevor. Man glaubte ihm ja bereits jetzt kaum, dass er nüchtern war bei all dem, was er so trieb. Und während Liam sich weiterhin recht unerfolgreich vorzustellen versuchte, inwiefern Alkohol ihren Kindskopf verändern würde, kehrte eine angenehme Stille zwischen ihnen ein. Eine Stille, die ganz den Wellen gehörte, die sich gegen das Holz lehnten, während das Ruder die Wasseroberfläche wieder und wieder durchbrach. Skadis Stimme war es, die sich unauffällig dazwischen mischte und Liam zurück ins Hier und Jetzt holte. Sein Blick verlor sich von ihrem Ziel und kam wieder auf ihrer Gestalt zum Stehen, die sich in der Dunkelheit kaum vom Rest ihrer Umgebung abhob. Ihre rundliche Nase konnte er vielmehr nur erahnen, während es wirkte, als wäre sie längst eingeschlafen, hätte sie nicht eben noch mit ihm geredet. „Das kann ich nur zurückgeben.“, lächelte er zurück. „Ich hatte seit langem keine derart gute Tanzpartnerin mehr.“
Skadi schmunzelte in der Dunkelheit. Bettete beide Hände auf ihrem Bauch und reckte den Kopf von einer Seite auf die andere. „Es war befreiend sich mal normal bewegen zu können. Nach 5 Jahren, in denen man tut als hätte man rohe Eier zwischen den Beinen... tja... da rostet man schon ein wenig ein.“ Die Vorstellung, wie Enrique mit einer heißen Sohle übers Parkett flitzte, ließ sie schlagartig auflachen und giggelnd die Augenlider aufschlagen. „Kannst du dir de Gúzman tanzend vorstellen?“ Höchst wahrscheinlich tat sie ihm sogar Unrecht damit. Denn sie mochte ihn - ganz offensichtlich - genau so, wie er war. Selbst wenn es da noch eine Seite an ihm gab, die ihr wohl am besten gefiel, bei der er nur nicht bereit war sie immer heraus zu lassen.
Ein kurzer amüsierter Ton verließ seine Kehle, selbst wenn er ihre Aussage anfangs etwas überspitzt fand. So lange jedenfalls, bis ihm wieder einfiel, dass sie sich unter Marinesoldaten aufgehalten hatte, bei denen – vermutlich – jeder einzelne dem anderen etwas vorzugaukeln versuchte, was er nicht hatte. Vielleicht war sie deshalb auch so lange nicht aufgefallen. „Dann bin ich gespannt, was unter dem Rost zum Vorschein kommt.“, hieß seine versteckte Einladung, kurz bevor Skadi in unergründliches Gelächter ausbrach. Doch sie ließ ihn nicht lange im Dunkeln und legte seine Stirn mit ihrer Vorstellung in Falten. Der Name sagte ihm auf Anhieb nichts, aber aus dem Zusammenhang heraus vermutete er, dass sie wahrscheinlich den ehemaligen Offizier meinte. Einen recht steifen, bislang eher spaßlosen Mann, wie Liam fand. Allerdings hatte er auch nicht wirklich viel mit ihm zu tun gehabt bisher. Deshalb überlegte er auch kurz, bevor er zu einer Antwort ansetzte. „Recht steif, vermutlich.“ Wörtlich blieb er allerdings trotz Bedenkzeit bei seinem ersten Gedanken. „Erzähl‘ mir nicht, dass ihr bei der Marine Tanzabende veranstaltet habt.“ Vielleicht war es ja eine Fangfrage gewesen und Skadi offenbarte ihm gleich, dass er einen nutzlosen Orden nach dem anderen abgestaubt hatte.
Recht steif. Skadis Schmunzeln weitete sich zu einem penetranten Grinsen. Froh darüber, dass Liam es kaum sehen konnte und ohnehin mit Rudern beschäftigt war. Sofern er nicht innehielt, um über seine Worte nachzudenken und erst dann wieder das hölzerne Paddel ins Wasser tauchte, als die Dunkelhaarigen kurz den Kopf hob, um energischen einen Schwall Übelkeit hinab zu schlucken. „Ts... wenn du unter Tanzabenden Besäufnisse an Land verstehst, die meist mit einer Prostituierten auf irgendeinem Tavernenzimmer geendet haben.“ Und auch wenn es nicht die tatsächliche Übelkeit war, die sich unter ihre Worte mischte, war Skadis Abneigung gegen diese Erinnerungen deutlich heraus zu hören.
Tatsächlich vergaß er kurz zu rudern, während seine Fantasie etliche in Uniform gekleidete Männer mit finsterer Miene formte, die elegant und leichtfüßig über den Boden glitten, als hätten sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht. Liam wusste, wie Gesellschaften waren. Wie man tanzte und wie man sich zu benehmen hatte, wenn einem etwas an dem Neid der anderen lag. Aber wie man es auch drehte und wendete: er bekam das blinde Gehorsam nicht mit der Lust und dem Vergnügen einer richtigen Gesellschaft verbunden. Viel mehr musste er darauf achten, nicht zu lachen, während er sich Enrique - mürrisch blickend - zwischen kichernden Mädchen vorstellte, die insgeheim darauf hofften, von ihrem Auserblickten zum Tanz gefordert zu werden. Zum Glück ließ Skadi etwas Luft aus dieser Vorstellung und das Rudern seinerseits wurde wieder regelmäßiger. Das Bild, mit dem sie seinen Gedanken ersetzte war nämlich nicht mal annähernd so amüsant. „... Klingt doch traumhaft.“ Leider klang es nach dem, womit sich Seemänner gerne ihren Landgang versüßten, womit aber auch wieder bewiesen war, dass die Marine keinen Deut besser war als jeder andere Mann. Aber man hörte dem Lockenschopf an, dass sich seine eigene Meinung wohl nicht gänzlich mit seiner Aussage deckte. „Und du bist nie Gefahr gelaufen, dass deine Tarnung im betrunkenen Zustand auffliegt?“ Nicht, wenn man keinen Schluck anrührte. Aber gerade ging er von sich selbst aus und - Himmel - er hätte schon sehr krank sein müssen, um einem Schluck zu widerstehen, wenn er schon in greifbarer Nähe war.
Die dunklen Augen huschten kurz zur Seite und umrissen die Silhouette des Älteren im Halbdunkel. Fast verlor sich ein schwaches Lächeln auf ihren Lippen. Dann richtete sie sich aus ihrer liegenden Position auf, und seufzte. Die Übelkeit war wohl immer noch nicht gänzlich verschwunden. „Das hätte bedeutet selbst betrunken oder mit denen unterwegs gewesen zu sein.“ und so leichtfertig war sie nicht. Ihrer Tarnung und Laune zuliebe. Wenngleich es bedeutet hatte, als der prüde und unspaßige Kollege zu gelten. „Aber bei deren Alkoholpegel hätte ich sogar meine Bandage abnehmen können, ohne dass sie sich daran hätten erinnern können.“ Nur langsam glitt die Nordskov wieder auf den Boden zurück und platzierte ihre Füße neben Liam auf die Sitzbank. Begann leise vor sich hin zu summen und den Wellen zu lauschen, die Liam mit dem Paddel im Wasser schlug. Beinahe wäre sie eingeschlafen. In der angenehmen Stille, die zwischen ihnen herrschte. Auf ihrem Weg zum riesigen Schatten des Schiffes.