04.06.2016, 19:47
Da war etwas an ihrem Blick, das ihn irritierte. Einmal, weil das Blau so strahlend klar war, zweimal, weil sich dahinter so viel verbarg. Er zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass sie vom breiten Grinsen sofort in ein Zähnefletschen umschlagen konnte. So klein sie auch sein mochte, da war mehr. Sonst würde sie sich auch nicht einfach hier herumtreiben, außer Sichtweite ihrer Mannschaft. Gerüchte machten die Runde. Halsabschneider und Frauenschänder waren kein Phänomen einzelner Städte. Die gab es überall, wenn man nicht Acht gab. Aber jüngst sollten barbarische Morde begangen worden sein. Sie traute sich ja was, hier so offen als junges Mädel aufzutreten. Ob da ein gewisser… Wahnsinn dahinter stand?
Er zwang seine Mundwinkel etwas auseinander, als sie ihm zuzwinkerte und damit wirkte, als teilten sie ein Geheimnis miteinander. Greo fragte sich, ob er überhaupt wusste, um was für ein Geheimnis es sich handelte.
„Kann es sein, dass ich hier nichts mehr zu melden habe?“
fragte er zwischendurch leise und erwartete nicht einmal eine Antwort darauf, denn die kannte er schon. Ihm drängte sich der Verdacht auf, dass sie ihn einkassiert hatte. Das hinterließ einen säuerlichen Geschmack auf seiner Zunge. Das war ihm zu vertraut, wie ein Déjà-vu.
Drum schüttelte er nur kaum merkbar den Kopf, während sie sich beim Reden die Haare bearbeitete, was eine fruchtlose Angelegenheit war, weil der Regen nach wie vor vom Himmel surrte und sich entschlossen an sie klammerte. Sie störte sich nicht wirklich daran. Sie war wohl nicht zimperlich.
Immer noch die Hände auf dem Hut zusammengefaltet runzelte er die Stirn, als sie ihn zu erklären begann. Ihren prüfenden Blick quittierte er lediglich mit einem stummen Zurückstarren, mit seinen ungleichen Augen ihre blauen Iriden durchbohrend, als ob er dadurch Zugang zu dem bunten Wunderland hatte, was dahinter fleißig weiterspann.
Weil er so darauf konzentriert war, ihre Gedankengänge nachzuvollziehen, verpasste er fast den Anschluss, als sie auf die Taverne deutete. Nur mit Mühe konnte er sich dazu zwingen den Blick von ihr ab und auf die Tür zu heften, die – ganz sicher – mit einem Male die ein Höllentor aussah.
Das konnte sie unmöglich von ihm verlangen. Andererseits: wenn er mit dieser Talin sprechen wollte, musste er das tun. Er hatte durchaus vor, ihr dieselben Fragen noch einmal zu stellen, in der Hoffnung, diesmal die Antworten zu bekommen, die er sich erhoffte. Von der Hupfdohle fühlte er sich in dieser Hinsicht nur vage abgespeist, damit sie ihn noch mehr ködern konnte. Es war ihr zwar gelungen, allerdings machte ihn das auch ziemlich misstrauisch,ganz gleich, wie sympathisch sie daherkam.
Einen Augenblick lang sah er sie nur ruhig an, dann löste er den rechten Arm und machte eine elegante Bewegung Richtung Eingang der Taverne.
„Dann nach der Dame, wenn’s genehm ist.“
[Vor der Taverne, Shanny]