01.05.2019, 18:30
Alles an dieser Situation hätte ihr peinlich sein können. Der Umstand, dass ihr das laute Rülpsen von selbst durch die Kehle gerutscht war, ohne dass sie sich selbst davon hätte abbringen können, oder gar die Reaktion der noch Verliebenen, die mit geweiteten Augen zu ihnen hinüber sahen. All das hätte der Nordskov die Schamesröte ins Gesicht treiben können, sofern sie so etwas wie Scham besäße. Es mochte vielleicht dem Alkohol geschuldet sein, doch die Dunkelhaarige gab nicht’s darauf, was andere von ihr dachten. So gar nicht. Entweder man kam mit ihr klar oder ließ es bleiben. Da gab es keine Grauzone, in der sie sich auf Zehenspitzen stellte und hoffte, nirgendwo hinein zu geraten. Mit Ausnahme von Enrique – dessen Emotionen versuchte sie elegant zu umschiffen und ihm weder auf den Schlips zu treten, noch entgegen ihrer Intuition zu handeln. Es war durchaus anstrengend, doch der Leutnant konnte froh sein, dass es Skadi diese Mühe wert war. Ihre gemeinsamen Jahre auf der Morgenwind brachten einiges an Grundvertrauen und Emphatie mit, niemand konnte das wirklich von der Hand weisen.
Mit einem breiten Lächeln verfolgte Skadi jede Regung des Lockenkopfes, nahm ihm sogar noch halbwegs zielgerichtet den Krug aus den langen Fingern und nickte bei dem Versuch einen Schluck aus ihrem Humpen zu nehmen.
“Mh… das hat schon was von einem Schwerenöter.“, gab sie breit grinsend zu und unterdrückte den Anflug eines Kicherns. Der Alkohol stieg ihr mit jedem weiteren Zug zu Kopf. Ihren motorischen Fähigkeiten traute die Nordskov bereits nicht mehr und glaubte kaum, dass sie es bis zum Schluss vollkommen unbeschadet zum Schiff zurück schaffte. Doch ihre Gleichgültigkeit all dem gegenüber stieg dagegen ins Unermessliche. Ganz davon abgesehen hielt sie den Musiker für einen ehrenhaften Kerl, der sie ohne Fummelei oder Nötigung sicher auf die Sphinx zurück brachte. Eine Rarität in dieser Welt. Da hatte sie schon ganz gegensätzliche Kaliber von Männern vor der Nase gehabt.
“Die Freude ist ganz meinerseits.“, glitt es sichtlich zufrieden über ihre Lippen, während das dumpfe Geräusch ihrer aneinander schlagenden Tonkrüge von den Bewegungen der Umstehenden übertönt wurde. Es wurde allmählich Zeit aufzubrechen. Selbst der Schankwirt packte seinen letzten Reste bereits zusammen und wirkte nicht, als würde er für einen kurzen Plausch noch bei ihnen bleiben. Somit fasste Skadi den Entschluss, in die Nacht zu verschwinden. Schnappte sich ungefragt Liams freie Hand und zog ihn sanft, aber bestimmt mit sich. Trank im Gehen noch einen weiteren Schluck des goldenen Gesöffs und schwebte erstaunlich unfallfrei über den Markt hinweg.
“Die Nacht ist unser, mein Freund.“
- Zeitsprung –
Eine Weile waren sie durch die Straßen der Stadt geirrt und erreichten allmählich den dunklen Waldrand, den sie fast täglich passierte. Der Krug war bereits wieder gelehrt und in einem Beutel verschwunden, den sie an einem der anderen Marktstände entdeckt hatte und nun quer über ihrer Brust baumelte. Offensichtlich waren die Menschen hier noch unachtsamer mit ihrem Hab und Gut, als anders wo. Oder vergaßen in der Hektik und der Ausgelassenheit des Festes sämtliche Kostbarkeiten, die sie mit sich führten. Letztendlich war es der Dunkelhaarigen egal, der diese Unachtsamkeit nur zu Gute kam und die mal vor, mal neben Liam lief. Den Blick immer wieder in der Gegend umherstreifen ließ.
Wie ein Kind setzte sie zu einem Sprung auf einen umgestürzten Baumstamm zu, landet außergewöhnlich sicher auf ihren Beinen und balancierte – irgendwie betrunken und taumelnd – über den breiten Holzstamm. Ließ die Stadt hinter sich, dessen vereinzelte Lichtpunkte Herzschlag um Herzschlag erloschen und die zwei Piraten in der Dunkelheit zurück ließen.
“Ich hätte nie gedacht, dass jemand, der mir fast die Nase bricht, so nett sein kann.“
Mit einem verschmitzten Lächeln wandte sich der kurze Haarschopf zurück und taxierte Liam mit einem kecken Blick. Ihr war klar, dass bestimmte Umstände harte Maßnahmen erforderten, und doch hätte sie allgemein kaum geglaubt, dass es Menschen auf diesem Schiff gab, die ihr wohlgesonnen waren. Schließlich gehörte sie in vielen Köpfen nach wie vor zur Marine und es gab nur wenige, die sich die Mühe machten, sie kennenzulernen. Was vielleicht auch einfach daran lag, dass sie es selbst nicht sonderlich forcierte.