01.05.2019, 15:07
Es gehörte viel dazu, sich seinen ‚Feinden‘ näher zu fühlen als denen, mit denen man zuvor sein Leben verbracht hatte. Andererseits klang es in Skadis Fall eher danach, dass sie auf jemanden gewartet hatte, der denselben Feind besaß wie sie. Einen Verbündeten, der ihr die Mannskraft verlieh, die ihr bis dahin gefehlt hatte, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Im Grunde war es Zufall gewesen, dass sie ausgerechnet das Marineschiff begleitet hatte, auf dem Talins Bruder transportiert worden war. Manch einer hätte es auch Schicksal genannt, doch Liam war eher ein Freund davon, selbstbestimmt durch die Welten zu ziehen und sich von Zufällen treiben zu lassen, statt an irgendetwas Größeres zu glauben, was einen lenkte. Aber ganz egal ob Zufall oder Schicksal – es war gut so, wie es gekommen war. Allein schon dieser Abend war es wert und wenn ähnliche Unternehmungen folgen würden, wäre er bestimmt der letzte gewesen, der dazu Nein gesagt hätte. Und auch das neugewonnene Mitglied der Crew schien mit ihrer geänderten Lage alles andere als unglücklich.
Liam hatte bereits die Hand ausgestreckt, um ihren Krug entgegenzunehmen, als schlagartig Stille um sie herrschte – und mitten hinein Skadis auslandender Rülpser ertönte, der seinesgleichen suchte. Im ersten Moment entgegnete er ihren schockierten Blick voll Überraschung, ehe er zu einem anerkennenden Nicken ansetzte und das Lachen schließlich nicht mehr unterdrücken konnte. Auch die Kurzhaarige nahm es mit Humor und brach in Gelächter aus, während die umstehenden Gespräche allmählich wieder zögerlich in Gang kamen. Oh, hätte der Lockenkopf die Munition gehabt, hätte er ganz gewiss versucht, einen draufzusetzen. So aber ging der Sieg konkurrenzlos an sie. Noch immer lachend nahm er ihr nun den Krug aus der Hand und wandte sich die wenigen Schritte um, um Nachschub zu besorgen. Auch, wenn er ihr bereits den Rücken zugedreht hatte, nahm er ihre Frage wahr. Auf seinen Zügen zeichnete sich ein glückliches Lächeln ab, während er die leeren Becher abermals gegen volle tauschte und dem Schankwirt die Erlaubnis entlockte, die Krüge erst morgen wieder zurückzugeben. Zum Glück hatte er selbst wohl reichlich seines Bieres verzerrt und ging lasch genug mit seinem Besitz um, um im Zweifel auch mit zwei Krügen weniger zufrieden zu sein. Mit einem dankbaren Nicken wandte sich Liam wieder um, hielt Skadi nun den dritten Krug voll Starkbier entgegen und gab sich der Leichtigkeit hin, die ihm mehr und mehr in den Kopf zu steigen schien.
„Jup, kein Problem.“, versicherte er und lehnte sich noch einen Augenblick an den Tresen. Ihre Bitte hatte er hingegen so locker genommen, wie sie vermutlich gemeint gewesen war und hatte definitiv nichts dagegen einzuwenden. „Du wirst mich sowieso nicht so schnell los. Bis ‚nach Hause‘ ist es so oder so noch ein Stück und wenn ich dir in zehn oder zwanzig Metern Abstand folgen müsste… käme ich mir irgendwie kriminell vor.“
Er schmunzelte breit und zufrieden und hielt den Krug wieder in die Höhe, um mit ihr auch auf dieses Bier anzustoßen.
„Schön jedenfalls, dich kennenzulernen, Skadi.“
Denn die vergangene Zeit an Deck konnte man kaum ‚kennenlernen‘ nennen. Liam behauptete von kaum jemandem an Deck, ihn wirklich zu kennen. Flüchtig vielleicht, aber nicht so, dass man sich wirklich gegenseitig einschätzen konnte. Und vielleicht war das hier der Anfang davon, das zu ändern.