30.04.2019, 22:29
Selbst, wenn er schwieg, sah man seinen Zügen recht genau an, dass er völlige Zustimmung für das empfand, was Skadi so treffend in Worte fasste. Ebenso hatte er keinerlei Grund, zu verbergen, dass ihr für diese eloquente Wortwahl zumindest mal ein anerkennendes Nicken gebührte. Manchmal war eine blühende Fantasie auch eine Last. Zum Glück gewann die junge Frau den Kampf um seine Aufmerksamkeit dieses Mal und ersparte ihm genauere Szenen vor seinem inneren Auge. Stattdessen weckte sie mit ihrem Tipp ein ganz anderes Interesse in ihm. Überrascht schaute der Lockenkopf zu ihr hinüber und obschon man seine Worte auch durchaus abwertend hätte werten können, war nicht zuletzt der neugierige Ausdruck in seinen Augen Beweis genug dafür, dass es nicht so war. Aber mittlerweile hatte Skadi ohnehin genug Gelegenheit gehabt, einen Einblick von ihm zu erlangen. Er war nicht unbedingt ein Buch mit sieben Siegeln, mehr das leichtverständliche Tratschblatt für jedermann mit einer gewissen Vorliebe für allerlei Witz. Oder anders gesagt: Liam war ein offenes Buch, welches keinen Grund darin sah, sich zu verstellen. Entweder man nahm ihn, wie er war oder man konnte getrost auf ihn verzichten.
„Oho, eine Kräuterfee also.“ Seine Augenbrauen schoben sich für einen Sekundenbruchteil mit einem Hauch Überraschung in die Höhe. „Im Augenblick wäre das wohl eher ein Kampf gegen Windmühlen. Aber wenn das Fest hier vorbei ist, komme ich darauf zurück.“
Sie konnte es als Drohung verstehen, wenn sie denn so wollte; oder aber als weiteres Versprechen, auf das gleich darauf schon ihre gefüllten Krüge miteinander anstießen. Im Moment aber war wohl weitere Bewegung das beste Hilfsmittel, um nicht morgens bewegungslos in der Hängematte liegenzublieben. Das nämlich wollte er unter keinen Umständen. Egal, wie stark die Schmerzen auch sein würden – er würde sich keinen Tag dieses Festes entgehen lassen, bevor sie wieder in See stachen. Und hey, wenn es ihr gefallen hatte, sollte sie sich herzlich eingeladen fühlen, es ihm gleich zu tun. Die Pause, in denen sie ihre Krüge zum Mund hoben, währte nicht lange, war Liam aber auch nicht wirklich als solche vorgekommen. Lange jedenfalls ließ er die Kurzhaarige nicht auf eine Antwort warten.
„Nein, war es nicht. Woher denn auch?“, entgegnete er wahrheitsgemäß und erwiderte ihren Blick. „Wobei -“ Der Zeigefinger seiner Krughand hob sich, als wäre ihm gerade etwas eingefallen. „- ich mir gedacht habe, dass irgendetwas mit dir nicht stimmen konnte. Oder mit Kaladar, wie man’s nimmt.“ Dieses Mal war das verschmitzte Lächeln auf seinen Zügen Vorbote seiner Gedanken, während er Skadi kurz auf die Folter spannte. „Männer nämlich vergreifen sich nicht an den sensibelsten Teilen eines anderen Mannes. … Also, es sei denn sie sind extrem feige oder -“ Liam zuckte beiläufig mit den Schultern. „zu sehr davon angetan.“
Wenn sie verstand, was er meinte. Es gab kaum unangenehmere Schmerzen als diese. Es gab stärkere, zweifellos, aber nur wirklich wenig konnte man mit einem Hieb ins Gemächt vergleichen. Und als Mann hielt man sich auch in den brenzligsten Situationen an dieses unausgesprochene Gesetz – es sei denn, man war ein feiger Junge, dem Flucht wichtiger war als diese Art von Ehre. Seiner Stimme konnte man entnehmen, dass für ihn kaum etwas dabei war. Skadi hatte mit Sicherheit ihre Gründe gehabt und wenn er ehrlich war, konnte er sich weitaus besseres vorstellen, als sich als Mann verkleidet auf ein Marineschiff zu schleichen. Aber wenn sie nun schon dabei waren, kam ihm ebenfalls eine Frage, die ihn interessierte. Vorher aber nahm er einen weiteren Schluck Bier.
„Warum hast du dich offenbart?“ Den Kopf leicht zur Seite gewogen, lag sein Blick neugierig auf ihren noch immer rötlichen Zügen. „Ich meine, du hättest noch ein paar Tage das Schauspiel mitspielen können und kaum hätten wir die Insel erreicht, hättest du dich aus dem Staub machen können. Du hättest nichts zu verlieren gehabt.“
So jedenfalls war sein Gedanke. Die wahre Antwort darauf aber kannte wohl nur Skadi allein. Vermutlich hätte sich Liam selbst mit einem Schulterzucken zufrieden gegeben und ihr geglaubt, dass es eine spontane Aktion gewesen war. Aber vielleicht lag ja doch mehr dahinter.