30.04.2019, 08:54
Manchmal war es ein Vorteil das Leben des anderen nicht zu kennen. Es verhinderte, dass Erwartungen und Vorstellungen mit der Realität zusammenkrachten und vollkommen deformierte Wahrheiten entstanden. In Skadis speziellem Fall war sie sogar einem mitleidigen Blick entgangen, sofern Liam auf ihre Geschichte ähnlich reagierte wie der Leutnant. Dieser hatte sich zwar angesichts ihrer „gleichgültigen“ Haltung schnell wieder gefasst, doch die Nordskov kannte den Musiker einfach nicht gut genug, um anderes zu erwarten. Sie war kein besonders gefühlsduseliger Mensch und kam auch nur selten mit Tränen und Trauer zurecht. Doch dieses kleine Wort, nur dieses eine war das Schlupfloch ihrer Emotionen.
Der Tonkrug fühlte sich angenehm kühl an, kaum dass sie ihn mit den Fingerspitzen berührte und gemeinsam mit dem Lockenkopf zum Schankstand schlenderte. Die Hitze flirrte immer noch um ihr Gesicht und verlieh ihren Wangen eine angenehme Röte. Kurz rückte sie den Saum ihrer hüfthohen Leinenhose zurecht und seufzte bei Liams Worten. Alles was man über die Marine im Volksmund sagte, stimmte. Sie waren verklemmt, besaßen mehr als nur einen Stock im Arsch und wurden giftig, wenn man ihre Autorität in Frage stellte. Wobei letzteres bei ihrem Vater ähnlich, wenn auch eher passiv aggressiv gewesen war. Doch anstelle eines überlegenen Zweitkampfes, ließen sich die Männer des „Gesetzes“ nur auf einen Monolog ihrerseits ein und verfrachteten einen in die dreckigsten Verliese.
„Gottvater bewahre... betrinken und herumhuren konnten sie, wenn sie an Land und allein waren. Aber auf dem Schiff sind sich ihre Köpfe fast gegenseitig in den Arsch geglitten...“
Tolle Formulierung, auch wenn es Wort für Wort so stimmte.
„Gegen den Muskelkater würden Wärme und Arnika helfen - wenn es sich nicht mehr aushalten lässt.“
Mit einem Lächeln blickte sie im Gehen zu ihm hinüber und fuhr mit beiden Daumen über den Rand ihres leeren Tonkrugs.
Sie kannte einige Kräuter, die oberflächliche Verletzungen und Schmerzen lindern konnten. In ihrem Training war es nicht selten vorgekommen, dass sie grün und blau ins Bett sank und sich am nächsten Morgen kaum mehr bewegen konnte. Dank ihrer Großmutter hatte sie zumindest am nächsten Tag nicht wie ein Waschlappen vor ihrem Vater gewirkt- oder sich am nächsten Trainingstag noch sämtliche Knochen, Muskeln und Sehnen gerissen, gebrochen oder gestaucht.
Mit einem dankenden Nicken, nahm sie wenig später den gefüllten Krug zurück und schmunzelte innerlich. Die Musiker schienen sich einen guten Stand in diesen Kreisen aufgebaut zu haben, wenn man ihnen kostenfreies Bier zur Verfügung stellte. Sollte sie bis zu ihrem nächsten Seegang also noch einmal den Wunsch nach Unterhaltung und einem blonden Gesöff verspüren, würde sie wieder hier her kommen und nach dem Lockenkopf suchen, an dessen Seite sie nun stand. Den Krug voraus gehoben, um mit ihm anzustoßen. Geräuschvoll schlugen die Gefäße aneinander und verklangen selbst noch, als sich Skadi einen großen Schluck gönnte. Gott, sie hatte kaum bemerkt wie sehr ihre Kehle brannte.
„War dir eigentlich von Beginn an klar, dass ich kein Mann war?“
Es war schneller aus ihr heraus gesprudelt als beabsichtigt. Doch während sie ihn beobachtete, fragte sie sich das. Nur wenige hatten eine derart ausgiebige Regung gezeigt wie Enrique. Wobei der 4 Jahre mit ihrer Maskerade gelebt hatte. Nicht 3 Tage, von denen sie eigentlich nur geschlafen und sich von ihren Verletzungen erholt hatte.
Dass der Verkäufer mit irritiertem Blick zu ihr hinüber sah, blendete Skadi aus. Auch wenn es ihr trotz seines Versuch zu wirken, als säuberte er die zurückgegangen Krüge, aufgefallen war.