26.04.2019, 19:42
Er hatte wahrlich nicht für möglich gehalten, dass er dieses Leben mit einem dieser Menschen teilen würde. Für die meisten von ihnen boten Feste lediglich eine einfache Möglichkeit, an Gold zu kommen und die ausgelassenen, unvorsichtigen Menschen ganz nach alter Manier auszunehmen, wo sich nur die Gelegenheit bot. Dabei merkten sie nicht einmal, was ihnen entging – das Leben nämlich, welches sich zwischen Abenteuern und Schatzsuchen abspielte. Auch er war gerne auf Reisen, entdeckte die Welt und wollte jegliche Grenzen der Welt überschreiten – dabei fühlte er sich lebendig. Lebendiger aber fühlte es sich an, Musik zu machen, zu lachen und zu tanzen und sämtliche Sorgen hinter sich zu lassen. Zumindest für den Moment. Aber es reichte, um Energie zu tanken, um sich neuen Hindernissen zu stellen; zu vergessen, was war und sich auf das zu freuen, was noch kommen würde. Vielleicht war dieses Frühlingsfest gerade recht gekommen, um ihn aufzufangen – und wie es schien, schaffte es die Musik ebenso, Skadi zu erobern und sie für den Augenblick von alledem, was hinter ihnen lag, zu befreien.
Die Euphorie der Menge riss einen mit, kaum, dass man ein Teil von ihr war. Schon, als sie bloß am Rand gestanden hatten, war die Freude dieser Menschen deutlich zu spüren gewesen – jetzt ergriff sie einen in voller Wucht und animierte einen mehr und mehr dazu, sich im Klang der Musik zu drehen und zu wenden, ohne auch nur einen Gedanken an die Zeit zu verschwenden. Immer mal wieder hüpfte die kleine Gestalt Skadis durch sein Blickfeld, doch in erster Linie konzentrierte sich der Lockenkopf in diesem Augenblick auf sich selbst und die Klänge in seinen Gliedern. Erst, als die Melodie etwas abnahm und in den Hintergrund rückte, um eine neue Komposition darzubringen, ließ die Extase von ihm ab. Die langsameren Töne allerdings ließen ihn wie selbstverständlich die Hand einladend in die Richtung seiner Begleiterin strecken, um es den Menschen um sie herum gleichzutun. Die Funken der Fackeln stoben in der Dunkelheit um die Menge herum und erloschen im Schwarz der Frühlingsnacht, während ihre Herde tanzend gen Himmel züngelten. Was für ihn eine ganz selbstverständliche Einladung war zum Tanz war, schien der Nordskov allerdings nicht ganz so vertraut. Liam würde sie nicht zwingen, ganz gewiss nicht, aber vielleicht war sie bereit genug, sich diese Art von Brauch näher bringen zu lassen. Diese Art von Tanz hatte nichts derart intimes, sondern galt allein dem gemeinsamen Tanz zur Musik. Dass es Skadi allerdings dennoch bereits zu intim sein könnte, schloss er nicht. Das Lächeln auf seinen Zügen blieb fröhlich und abwartend und die Hand offen und einladend ausgebreitet, bis sich die Nordskov schließlich doch dazu entschied, die Einladung anzunehmen. Liam allerdings behielt ihr anfängliches Unbehagen im Hinterkopf, als er die Hand leicht um ihre schloss, als wäre sie zerbrechlich. Er hatte registriert, dass sie sich schwer damit tat; umso seichter war schließlich auf die Berührung oberhalb ihrer Hüfte, um sie richtig führen zu können. Er setzte die Hand absichtlich etwas weiter oben an als normal und wunderte sich dann doch, wie einfach und angenehm sie sich im Tanz führen ließ. Nach und nach schien die Scheu ein wenig von der jungen Frau abzulassen und der Spaß zu übernehmen. Ein letztes, ermutigendes Lächeln galt ihr, ehe er wieder die Augen schloss und die Musik übernehmen ließ.
Erst, als ihre Stimme sich sanft zwischen die Klänge der Instrumente mischte, blinzelte er. Fragend schoben sich seine Augenbrauen für einen Herzschlag zusammen, was Skadi allerdings unmöglich sehen konnte. Wofür er diesen Dank verdient hatte, erschloss sich ihm nicht wirklich, denn für ihn war all das hier etwas völlig Selbstverständliches. Trotzdem – wenn es ihr ein Bedürfnis war, war er bereit, es entgegenzunehmen. Besonders, weil es augenscheinlich so einfach gewesen war, ihr eine Freude zu machen. Hätte er Skadi bereits besser gekannt, hätte er das wahre Gewicht dieses kleinen Wortes vielleicht im Entferntesten erahnen können. Irgendwann vielleicht, wer wusste schon, was die Zukunft brachte. Im Augenblick jedoch war sie unbedeutend und nichtig. Das Hier und Jetzt zählte und hatte die beiden fest in seinem Griff. Statt einer wirklichen Reaktion auf ihren Dank also – was er ohnehin als unpassend empfunden hatte – legte er die bisher eher nur oberflächlich aufgelegte Hand an ihrer Hüfte vorsichtig fester auf, sodass es beinahe einem richtigen Griff entsprach. Und nachdem keine weitere Reaktion darauf hinwies, dass es ihr unangenehm war, gab er sich wieder der Zeitlosigkeit hin, der Musik und den flackernden Funken um sie herum, die mit all den Menschen gemeinsam tanzten und lebten.
Erst, als nach einer gefühlten Ewigkeit die Musik allmählich verstummte, löste sich die eine Hand von ihrer Taille und die andere von ihrer Hand. Ein ausgelassenes und fröhliches Lächeln lag auf seinen verschwitzen Zügen, während er den Blick kurz über die leicht zerstreuende Menge wanderte, bevor er auf Skadi zum Ruhen kam. Neugierig suchte er ihre Züge nach Anhaltspunkten ab, ob ihr diese Art von Zeitvertreib gefallen hatte. Vermutlich war der Sonnenaufgang nicht mehr allzu viele Stunden entfernt. Wenn sie also noch ein Bier wollten, um ihren Durst zu stillen, mussten sie sich vielleicht beeilen. Auf dem freien Platz der Musiker lagen sich ein paar Menschen glücklich und dankbar für das gemeinsame Spiel in den Armen, ehe die ersten Anstalten machten, aufzubrechen. Auch die Menschen aus der Menge verteilten sich langsam mehr und mehr. Liam steuerte wieder auf den Platz am Brunnen zu, an dem ihre beiden leeren Krüge darauf warteten, erneut gefüllt zu werden. Definitiv etwas, worum er sich gleich kümmern würde.