25.04.2019, 22:06
Sie würde ihn bei passender Gelegenheit an seine Worte erinnern, wenn sie wieder einmal schlaflos auf dem Deck herum geisterte und sich weder vor dem Geschnarche der Männer, noch ihren verworrenen Gedanken retten konnte. Als Kind hatte sie die Abende geliebt, in denen die Männer der Insel an großen Lagerfeuern Geschichten erzählten, aus alten, längst vergangenen Zeiten. Fasziniert und aufgeregt war sie auf dem Baumstumpf hin und her gerutscht, bis die Müdigkeit sie übermannte und gegen ihren Bruder gelehnt einschlafen ließ. Oft genug sehnte sie sich nach eben diesen Tagen zurück, an denen ihr die banalsten Dinge wichtig gewesen waren. Ob sie die nächste Auswahlprüfung bestand, sich gegen ihre Cousins im Zweikampf behaupten und ihre Ausbildung zur Jägerin antreten konnte.
Ein fast schon trauriger Schatten legte sich über das matte Lächeln auf ihren Lippen. Fast schon abwesend nickte Skadi bei Liams Worten, spürte jedoch sehr deutlich den seltsamen Druck in ihrer Brust. Womöglich war an seiner Aussage mehr dran, als sie ahnte. Dass sie mehr als nur diese Rastlosigkeit gemein hatten. Doch tief in ihrem Inneren war es Balsam für ihre Seele, dass sie nicht die einzige war, die mit einem kleinen Loch durch die Welt lief.
All jene Gedanken streifte sie mit nur einer Bewegung von sich. Glitt vom Brunnen hinab und sehnte sich schlagartig nach Ablenkung. Spürte wie die Musik sie einlullte, zu sich lockte und ihr erlaubte wenigstens für einen Abend sie selbst zu sein. Nur sie selbst. Keine Jägerin, keine Rächerin der Schwachen, keine selbstbewusste, starke Frau, die sich durch nichts und niemanden klein kriegen ließ.
Ein warmes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, als sie Liams Euphorie bemerkte. Spürte den Anflug eines Auflachens in ihrer Kehle und folgte ihm tief in die Menge hinein. Ließ sich mit jedem Schritt von der Musik hinfort tragen und genoss jeden einzelnen Rhythmus, der bebend durch ihren Körper rauschte. Lange hatte sie sich nicht mehr so frei gefühlt wie jetzt. Ließ alle Sorgen und Bedenken hinter sich und tat das, was das Leben eines jeden Menschen ausmachte: leben!
Womöglich hatte sie nicht einmal Enrique jemals so losgelöst erlebt. Mit einer strahlenden Miene, die jeden Zweifel hinfort wischte. Die keinen Fremden glauben ließ, dass die Nordskov außerhalb dieses Festes schweigsam und emotionslos sein konnte. Dazu neigte Menschen zu verletzten, wenn sie eine Notwendigkeit darin sah. Dass sie sich in ihren Rachegelüsten verbiss, bis der rechte Zeitpunkt gekommen war. Nichts von alledem war auf ihrem Körper zu sehen. Als wäre sie schon immer jene schimmernde Persönlichkeit gewesen, die lachend durch die Menge tanzte, sich drehte und die Musik durch ihren Körper strömen ließ. Ihr Kopf war wie leergefegt von allem, füllte sich mit schillernden Farben und Düften, die sie an exotische Früchte erinnerten.
Nur langsam kam sie wieder in die Gegenwart zurück, als die Musik leiser wurde und sich dem schummrigen Licht der Lampions und Kerzen anpasste. Tief ausatmend drehte sie sich ein letztes Mal auf den Zehenspitzen herum – ehe sie verwirrt auf Liams Hand blickte. Der Kloß der sich schlagartig in ihrem Hals verfing, plumpste mit einem seltsamen Nachbeben in ihre Eingeweide. Irgendwie wirkte die sonst so taffe Nordskov… verunsichert.
Womöglich wäre es niemandem aufgefallen, der sie nicht 24/7 beobachtete. Doch Skadi vermied es peinlichst genau, berührt zu werden. Hasste das Gefühl auf ihrer Haut, wenn jemand mit seinen Fingern darüber strich, ohne dass sie es wollte. Selbst bei Enrique hatten sich ihre Nackenhärchen aufgestellt, kaum dass seine Arme sich tröstend um sie schlossen. Und dennoch fühlte sich die Dunkelhaarig seltsam benebelt. Magisch von dem Moment angezogen, der sich in ihrer Vorstellung zog wie Kaugummi.
Zaghaft, fast als könne Liam sie mit einem Schlag und einem spöttischen „Taha, reingefallen!“ von sich weisen, legte sie erste die Spitzen ihrer langen Finger auf seine Handfläche, ehe sie sie vorsichtig über die warme Haut gleiten ließ und dann ihre Hand gänzlich auf seine bettete.
Es fühlte sich merkwürdig an, wie ihr Körper in seinem Zug just nach vorn glitt und den wortlosen Anweisungen folgte. Der Lockenkopf musste ein verdammt guter Tänzer sein, wenn sie sich nicht eine Sekunden lang Gedanken darüber machen musste, wie sie sich angesichts der Nähe bewegen sollte. Legte nur wenig später wie selbstverständlich ihre freie Hand auf seine Schulter und mustert ihn nachdenklich. Schluckte kurz und sah dann an ihm vorbei in die Menge hinein.
Warm pulsierte das Blut auf ihren Wangen. Verlieh ihrem Gesicht eine gesunde, frische Farbe.
“Danke.“, huschte es leise durch ihre Lippen, während sie dem Takt der Musik folgte. Sah aus den Augenwinkeln zu Liam hinauf und bettete dann ihre brennende Wange gegen seine Schulter. Schloss für einen Moment die Augen und konzentrierte sich auf ihren Atem. Lauschte der Musik, den raschelnden Schritten und flüsternden Stimmen. Ließ jeglichen Anspannung aus ihren Muskeln verschwinden und hörte irgendwann das beständige Pochen hinter Liams Brust.