25.04.2019, 02:00
Leise verbarg sich das Grinsen hinter dem Tonkrug, den Skadi an ihre Lippen hob. Liams Antwort besaß diese unermessliche Leichtigkeit, die irgendwie sein ganzes Wesen widerspiegelte. Nicht im Traum hätte sie daran gedacht, dass eben jener Kerl so positiv und geistreich war, der ihr noch vor einigen Tagen ein Messer an die Kehle gehalten hatte. Sicherlich erforderten gewisse Umstände ungewöhnliche Maßnahmen. Doch der erste Eindruck eines Menschen war manchmal nur schwer wieder gut zu machen.
Skadi indes konnte sich gut vorstellen, dass jedes Mitglied der Sphinx ihre Anwesenheit mit Vorsicht genoss. Bisher hatte sie niemandem einen Grund für Beunruhigung gegeben, was aber nicht gleichsam bedeutete, dass man ihr vertraute. Diese gewahrte, aber höfliche Distanz galt wohl als eine Art "Schutzzone", die ihr zwar erlaubte sich frei auf dem Schiff zu bewegen, doch noch lange keine Privilegien einräumte. Skadi wusste, dass sie sich beweisen musste, wenn sie Teil dieser Crew werden wollte. Doch nach wie vor war sie sich nicht sicher, ob sie das überhaupt konnte. Ob das wirklich ihr Plan war. Für die Zukunft. Immer noch klaffte dieses Loch in ihrer Brust, das sie nachts leise zischeln hören konnte, zwischen den lauten Schlafgeräuschen der anderen und dem leisen Plätschern vereinzelter Wellen gegen den hölzernen Rumpf des Schiffes.
Fast hätte sie sich an ihrem Bier verschluckt, als Liam einen groben Schätzwert abgab und nachdenklich den Kopf zur Seite kippte. Verspielt tanzte eine seiner Locken im flackernden Licht der Fackeln und Kerzen um sie herum. Wurde jäh von den braunen Augenpaaren fixiert, die sich unter der flachen Hand hervortaten, die gerade noch ihre Lippen versiegelt hielt. Von dem kostbaren Gebräu würde sie nicht einen Tropfen verschwenden!
"Das ist eine Menge.", brachte Skadi unter einem kurzen, aber heftigen Husten hervor und kniff unter einem plötzlichen Krampf in ihrer Brust das linke Auge zusammen.
"Aber jedes gute Instrument hat wohl seinen Preis." Der alte Bogen ihres Vaters, den sie mittlerweile überall bei sich trug musste damals, vor seinem halb versteinerten Zustand, ein Vermögen wert gewesen sein. Jetzt diente er nur noch als Schlagstock und gut gehütetes Andenken an ihre Herkunft.
Das leise dumpfe Aufsetzen des Tonkrugs vermischte sich schlagartig mit dem aufkommenden Trubel um sie herum. Während Liam seine Trommelkünste zum Besten gab, schien es, als wollten die Umstehenden zu einem neuen Tänzchen ansetzen.
"Mir würde auch ein wenig Gesang ausreichen... oder wenn du mir etwas aus deinen Büchern vorliest."
Ein breites Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab. Spätestens jetzt dürfte klar sein, dass sie ihn sehr wohl in den letzten Tagen beobachtet hatte. Wie so jeden an Board des Schiffes. Nicht etwa, weil sie böse Absichten verfolgte, sondern vielmehr um sich darüber im Klaren zu werden, mit wem sie Tag ein Tag aus auf wenige Quadratmeter eingepfercht war. Was damals als Kind zu ihrem Training gehört hatte, sorgte heute nunmehr dafür, dass sie sich relativ problemlos in einer Gruppe eingliedern konnte - sofern sie das wollte. Andernfalls würde es ihr wie einem Fremdkörper ergehen, der alsbald ausgestoßen und über Board geworfen wurde. Und wenn Skadi ehrlich war, gab es den ein oder anderen Charakter auf dem Schiff, der häufiger ihre Aufmerksamkeit auf sich zog, als der Rest. Und das nicht nur, weil sie die Jagd auf dem Festland vermisste und gern beobachtete.
Bei seiner Frage presste Skadi die Lippen aufeinander und stellte den nun leeren Tonkrug neben seinen. Verharrte kurz in einer nachdenklichen Pose, ehe sie sich halb auf dem Brunnen herum drehte und ein Bein am Rand hinab baumeln ließ.
"Irgendwie schon..." Was als Aussage geplant war, klang vielmehr nach einer Frage. Und entweder setzte sich der Alkohol gerade in ihrem Blut frei und schoss wie ein Torpedo durch ihren Kreislauf, oder sie fühlte sich "sicher" genug, um offen und ehrlich mit dem Musiker zu sein.
"Nach all den Jahren bei der Marine habe ich gerade nichts mehr, was mich irgendwo hinführt oder zurück hält. Ich bin quasi... frei?"
Diese Worte allein auszusprechen versetzte ihrem Magen einen heftigen Schlag. Dennoch schluckte Skadi die aufkommende Säure hinab.
"Nun..." Ein tiefer Atemzug klärte die gefühlsduselige Miene, die Skadi für ein paar Sekunden aufgesetzt hatte und verschwand gänzlich unter einem energischen Blinzeln. "... zumindest werde ich so lange bleiben, bis ich einen Plan habe."
Allmählich schwoll der Klang der Musik an und setzte eine liebliche Melodie in die Luft frei. Brachte erst Skadis Fußspitzen zum Wippen und letzten Endes ihres Fingerspitzen. Vielleicht war es Zeit diesen Trübsinn abzukürzen und sich den etwas schöneren Dingen des Lebens zu widmen. Ausgelassen zu sein und alles zu vergessen, was wie ein Hinkelstein auf der Seele lag.
Und somit glitt der zierliche Körper der Nordskov langsam vom kalten Stein des Brunnens und löste eine kleine Staubwolke aus, kaum dass ihre Füße den Boden berührten.
"Lust zu Tanzen?" Mit erhobenem Kopf blickte Skadi in das braun gebrannte Gesicht ihres Begleiters. Lächelte sogar ein weniger entspannter als zuvor und lauschte beiläufig der Musik in ihrem Rücken. Spürte wie sich ihre Füße und Hände automatisch zum Takt bewegten und alsbald nicht mehr darauf warten konnten, durch die Luft zu wirbeln.