22.04.2019, 22:39
Beinahe wäre ihr ein Lachen durch die Kehle ins Freie gerutscht. Doch angesichts des vorher so ernsten Themas beließ es Skadi dabei, ihre Augenbraue hinauf zu ziehen und mit einem allwissenden Schmunzeln aufzuwarten. Lucien gehörte also genauso wie sie zur Sorte Mensch, die für Spaß ohne Verpflichtungen zu haben war. Wobei das wohl auf einen Großteil der Bevölkerung zutraft und eher jene in der Minderheit waren, die sich noch für die einzig wahre Liebe für „Immer und Ewig“ begeistern konnten. Pf. Was für ein Blödsinn.
Stück für Stück führte sie ihr Weg weiter voraus, wenn auch nur langsam. Keiner von ihnen schien eine besondere Eile an den Tag zu legen. Schließlich war es ein netter Zeitvertreib nach Überbleibseln fremder Kulturen Ausschau zu halten. Niemand hetzte sie – es gab keinen Grund akribisch nach Indizien zu suchen.
Für einen kurzen Moment presste Skadi ihre Lippen aufeinander, als Luciens Antwort erst ihren Kopf und dann ihre Brust durchquerte. Sie konnten sich auf mehr als einer Ebene helfen – womöglich das Überleben des jeweils anderen sichern, ohne dass es ihnen wirklich bewusst war. Zumindest für Skadi konnte die Sphinx ein neuer Lebensinhalt werden, der ihr dabei half jenen Teil der verschollenen Mitglieder ihres Clans zu finden, den sie ohne Leichnam hatte beerdigen müssen. Vor allem ihren Vater, der bereits Monate zuvor nicht mehr wiedergekehrt war.
Gerade als die ersten Bilder aus ihren dunklen Erinnerungen an die Oberfläche gespült wurden, wischte sich Skadi unwirsch einzelne Haarsträhnen aus dem Gesicht. Jetzt würde sie dieses Kapitel ihres Lebens NICHT aufschlagen. Das konnte sie tun, wenn sie einem ihrer Widersachen gegenüber stand und all ihre Wut und Hass brauchte, um zu jener Jägerin zu werden, die nichts mehr mit der Frau gemein hatte, die sich um andere sorgte – ganz gleich wie schroff und rau ihre Art zuweilen sein konnte.
“Ich bin ehrlich zu dir… ich habe keine Ahnung was ich tun werde. Jetzt wo ich all die Jahre auf diesen Mord hingearbeitet habe… ist da einfach nur ein Loch.“
Wie zur Untermalung ihrer Worte, setzte sie einen großen Schritt über eine tiefe Lücke im Boden, die von groben Gesteinsbrocken und losen Grasnarben umschlossen war. Erhob das dunkle Haupt und musterte Lucien von der Seite. Sie erwartete nicht, dass er verstand wie sie sich fühlte. Auch wollte sie kein Gespräch darüber beginnen, wie bei einem Kaffeekränzchen. Doch als Kapitän sollte er um den Umstand wissen, dass sie gerade kein Ziel im Leben besaß und sie zu einer wackligen Konstante werden konnte. Zumindest wenn es um den Verbleib auf der Sphinx ging.
Vorsichtig, fast schon zaghaft umkreisten die langen Fingerkuppen die kleinen Ornamente auf dem Gestein, vor dessen Überresten sich Skadi in die Knie begeben hatte. Die gerade Linie, die von ihrer Seite weg führte, erweckte den Eindruck, als gehörte dieses Teilstück zu einer alten Hauswand. Womöglich ein Wachturm oder doch ein Gutshaus? Darüber konnte ihnen Shanaya sicherlich mehr Auskunft geben.