06.02.2019, 22:28
Von ihrer inneren Zerrissenheit bemerkte Lucien in diesem Augenblick überhaupt nichts. Denn Shanayas Körper reagierte genau wie damals, genau wie erwartet. Sie schmiegte sich in seine Berührungen, spannte sich auf die selbe angenehme Weise, wie sie zugleich weich zu werden schien und verlockte, verlangte geradezu nach mehr.
Die tiefgrünen Augen leuchteten dunkel und amüsiert, blieben nur einen Moment noch offen, bis die Schwarzhaarige den Kuss erwiderte und sich ihm ganz hinzugeben schien. Scheinbar wohlgemerkt. Denn ob sie den Genuss lediglich schauspielerte oder ihn zumindest zu einem kleinen Teil tatsächlich empfand, blieb dieses Mal ihr Geheimnis. Und ihn kümmerte es nicht.
Die Schwarzhaarige sollte allerdings wirklich aufpassen, was sie ihm versprach. (Anders herum wahrscheinlich genauso). Und sie hatte Glück, dass er nicht jedes Wort auf die Goldwaage legte. Andere Männer hätten das hier vielmehr als Einladung und nicht als Spiel verstanden – und sich dann nicht mehr so bereitwillig aufhalten lassen. Irgendwann traf sie mal auf jemanden, der ihr nicht so gut bekam. Aber im Moment war ja er da. Und seine Ziele waren andere.
Der zweite Beutel gab ein leises Klimpern von sich, als er danach griff – ein Klimpern wie von Metall auf Metall. Kaum hörbar, doch verdächtig laut in seinen Ohren. Lucien konnte nur hoffen, dass die kleine Schauspieleinlage die beiden Männer neben ihnen genug ablenkte, um das Geräusch nicht zu bemerken. Und tatsächlich war das, was folgte, nur ein weiteres vorsichtiges Räuspern, das weder ihn noch Shanaya sonderlich beeindruckte.
Der Dunkelhaarige musste sich ein Grinsen an ihren Lippen verkneifen, schob stattdessen nur vorsichtig den zweiten Beutel in ihre Umhängetasche, ohne den Kuss dabei zu lösen. Dann hob er die frei gewordene Linke, strich über ihre Hüfte hinauf zu ihrer Taille und legte die Hand schließlich an ihre Wange, um den Kuss noch intimer wirken zu lassen.
In diesem Moment schien dem Standbesitzer klar zu werden, dass er mit Räuspern hier nicht weiter kam. Sie mussten wohl zu sehr mit sich selbst beschäftigt sein, um ihre Umgebung überhaupt noch wahrzunehmen. Er entschuldigte sich also mit einem kurzen Blick von seinem Kunden und trat zu ihnen hinüber, streckte die Hand aus und tippte dem 21-Jährigen bestimmt auf die Schulter.
Erst jetzt – und nicht nur gespielt widerwillig – löste Lucien den Kuss, blinzelte und wandte dann mit einem genervten Ausdruck auf den Zügen den Kopf herum, ohne auch nur einen Hauch Abstand zwischen sich und Shanaya zu bringen. Doch der ältere Mann ließ sich davon kaum beeindrucken. Er räusperte sich ein zweites Mal.
„Ich bedaure, dass ich Euch unterbrechen muss, aber würdet ihr Eure Liebelei wohl an anderer Stelle fortführen?“
Hm, wie gewählt er sich ausdrücken kann, schoss es dem Dunkelhaarigen kurz, und unleugbar spöttisch durch den Kopf. Dann tat er zunächst verwirrt, bevor er in einen Ton jugendlicher Arroganz umschlug und sich ein dreistes Grinsen nicht verkneifen konnte.
„Hm.. Irgendeinen guten Vorschlag, was das angeht?“, fragte er den Standbesitzer rundheraus.