02.02.2019, 17:44
Es dauerte nicht lange, bis Lucien bemerkt wurde und auch ihm entging das kurze, fast geschockte Innehalten des Diebes nicht. Unwillkürlich erinnerte er sich an ihre erste Begegnung auf der Sphinx, an diesen stechend-forschenden Blick, mit dem der Einäugige ihn gemustert... und wohl auch einzuschätzen versucht hatte. Und wieder drängte sich dem jungen Captain der Gedanke auf, diesen Mann besser im Auge zu behalten. Was er ihm ziemlich leicht machte, wenn er im Badehaus auf einen Plausch vorbei kam... Das war jedenfalls eines der letzten Dinge, mit denen Lucien gerechnet hatte.
Interessiert verfolgte er den Wortwechsel, der nicht weit von ihnen entfernt von Statten ging und konnte nur mit Mühe ein Auflachen unterdrücken. Die junge Brünette neben ihm bemerkte jedoch rasch, dass seine Aufmerksamkeit abgedriftet war, ließ von seinem Arm ab und beugte sich ein wenig zu ihm hinüber, um seinem Blick zu folgen. Dann huschte ein freches Lächeln auf ihre Lippen. Sie holte lautlos Luft, hielt kurz inne – und pustete ihm dann sanft ins Ohr. Lucien zuckte zusammen, das Wasser um ihn herum gab ein leises Glucksen von sich, das sich nahtlos mit dem des Mädchens mischte.
„Solltet Ihr nicht eigentlich nur Augen für mich haben?“ Der 21-Jährige schmunzelte über ihren gespielt eifersüchtigen Ton, wandte ihr die tiefgrünen Augen zu und suchte in seiner Erinnerung einen Moment lang nach ihrem Namen. Arela, hatte sie gesagt. „Ich habe nur gerade einen Bekannten entdeckt. Von dem ich nicht erwartet habe, ihn hier zu treffen.“
Der dunkle Haselnusston ihrer Augen leuchtete vergnügt, aber bevor einer von ihnen noch etwas dazu hätte sagen können, verrieten nahende Schritte, dass sie Gesellschaft bekamen. Zeitgleich hoben sie die Köpfe, doch während sich beim Anblick der anderen Kurtisane ein Hauch Ärger auf die weichen Züge des Mädchens legte, erschien auf Luciens Lippen ein angetanes Schmunzeln.
Arelas empörten Zwischenruf beachtete der junge Captain nicht. Bereitwillig nahm er die Arme vom Beckenrand, damit das Mädchen mit dem glänzend rotbraunen Haar genug Platz hatte. Eine Geste, die einer Einladung gleichkam. Als sie hinter ihm auf die Knie sank, legte er vorsichtig den Kopf in den Nacken und sah zu ihr auf, während sie kundig die Hände über seine Schultern abwärts wandern ließ. Willkommene Wärme breitete sich in seinen Adern aus, entfachte ein sehnsüchtiges Flattern in seiner Brust. Ganz von selbst reagierte sein Körper auf diese Berührung. Und wer war er, diese kleine Aufmerksamkeit abzuweisen?
Als sie fragte, ob sie sich zu ihnen gesellen durften, erschien deshalb ein kleines Lächeln auf seinen Lippen. Mit einem einladenden „Warum nicht?“ senkte er den Blick wieder und richtete ihn auf Ryan. Nur für einen kurzen Augenblick, als Jades forsch liebkosende Finger sich seinem Nacken näherten, legte sich der dunkle Schatten einer Erinnerung über seine Züge. Dämpfte seine Gelassenheit, sein Lächeln, den Schalk in seinen Augen und verschwand so schnell wieder, wie er gekommen war. Er entzog sich der Berührung nicht, nicht so, wie bei Shanaya vor einigen Tagen und nur den Bruchteil einer Sekunde später deutete nichts mehr auf irgendeine Art Unwohlsein hin.
Tatsächlich schien der Dieb nun der einzige zu sein, der dieser Situation nichts abgewinnen konnte. Seine Haltung verriet Widerwillen und er war drauf und dran, sich abzuwenden, als die Brünette zu Luciens Rechten ihn kurzerhand zurückhielt. „Nur zu, Meisterdieb. Gesell dich zu uns.“, unterstützte der Dunkelhaarige Arelas Bemühungen mit einer Spur arroganten Spotts in der Stimme. Sorgen, dass diese „Berufsbezeichnung“ hier auf allzu neugierige Ohren treffen könnte, hatte Lucien nicht. Was in diesem Etablissement gesagt oder getan wurde... blieb auch in diesem Etablissement. Und weder Jade, noch die junge Brünette, die sich des Diebs annahm und jeden weiteren Rückzieher seinerseits im Keim erstickte, würden darüber je ein Wort verlieren.
Der junge Captain vergewisserte sich nur kurz von der Überzeugungskraft der Brünetten, ehe er sich dem Mädchen zuwandte, dass es sich hinter ihm bequem machte. Sie veränderte geschickt ihre Position, ließ die Beine links und rechts seines Oberkörpers ins Wasser gleiten und wartete, bis er sich zurück lehnte, den vernarbten Rücken an ihren nackten Bauch schmiegte und für einige wenige Herzschläge genüsslich die Augen schloss. Seine linke Hand wanderte dabei unter der Wasseroberfläche zu ihrer Wade, strich liebkosend über die glatte, makellose Haus. Bis das Geräusch eines Körpers, der ins Wasser glitt, ihm verriet, dass Ryan inzwischen das Becken betreten hatte, und er die Augen öffnete. Zeitgleich mit Jades neugieriger Frage richtete Lucien die grünen Augen direkt auf den Mann ihm gegenüber und wog für einige Herzschläge die passende Antwort auf ihre Frage ab.
„Wir sind auf dem selben Schiff hier her gekommen.“, meinte er schließlich mit entspanntem Tonfall. Damit ließ er offen, in welcher Konstellation sie auf besagtem Schiff arbeiteten – und, ob ihre Reise danach noch gemeinsam weiter ging.
„Noch ein Schmugglerschiff?“, fragte Arela mit amüsiertem Unterton in der Stimme und schenkte Lucien einen kurzen Seitenblick. Sie hatte unmittelbar nach Ryan das hauchdünne Tuch abgestreift, das sie um die Taille gebunden hatte und glitt mit anmutigen Bewegungen und nahezu lautlos ebenfalls ins warme Wasser des großen Bassins. Doch nun galt ihr Blick ganz allein dem Dieb. Sie kam langsam näher, lehnte sich zugetan gegen seine Brust und legte die schlanken Arme um seinen Hals. „Wie aufregend.“, sagte sie gedämpft und klang dabei ehrlich interessiert.