31.05.2020, 16:40
We've all got battle scars
Mittag des 11. Mai 1822
Lucien Dravean & Shanaya Árashi
Shanaya erwachte mit rasendem Herzen, gejagt von unzähligen Alpträumen, die sie heimgesucht hatten. Ihr Geist versuchte hinterher zu kommen, all die Eindrücke zu ordnen, die mit einem Mal über ihr zusammen schlugen. Eine eiskalte Angst schnürrte ihr für einige Momente die Kehle zu. Wo war sie? War sie auf einem Schiff? Und wenn ja... auf welchem? Das Gesicht, das in ihren Träumen immer wieder mit einer hämischen Grimasse über ihr erschienen war, hatte ihre Wahrnehmung gestört. Sie wusste nicht, wo sie war, was Traum und was Wirklichkeit war. In diesem Moment schien nur der Schmerz real zu sein, der ihr Bein lähmte und sie an das erinnerte, was wenige Stunden zuvor geschehen war. Aber hatte sie es wirklich bis zur Sphinx geschafft? War sie in Sicherheit? Erschöpft blinzelnd ließ sie den Blick durch den Raum wandern, versuchte etwas Vertrautes zu erkennen. Sie befand sich nicht hinter Gitterstäben, konnte sie also auf dem Schiff ihres Bruders gelandet sein? Langsam und vorsichtig schob sie das gesunde Beine unter der Decke hervor, die ihren Körper halb bedeckte. Es gab nur einen Weg, Klarheit in ihren verschleierten Zustand zu bringen. Sie hörte Stimmen von irgendwoher, sie würde nachsehen müssen. In der Hoffnung, ein vertrautes Gesicht zu entdecken. Mit kalten, zittrigen Fingern schob sie die Decke von ihrem Körper, wobei ihr Blick auf die blutige Bluse fiel, die ihren Körper bedeckte. Alles in ihr krampfte sich bei diesem Anblick zusammen, fachte nur noch mehr das Verlangen an, herauszufinden, wo sie war. Es dauerte unendlich viele, schmerzhafte und kräftezehrende Sekunden, bis sie ihren Oberkörper einigermaßen aufgerichtet hatte. Sie konnte ihre Waffen nicht sehen, im Notfall war sie vollkommen wehrlos. Und die Erschöpfung, die sich nach dieser kleinen Bewegung durch jede Faser ihres Körpers zog, wollte sie zurück auf die Liege befördern. Sie stützte den Ellenbogen auf ihr gesundes Bein, lehnte das blasse Gesicht auf ihre Hand. Sie konnte sich nicht beruhigen, ihr Herz schlug noch immer schmerzhaft vor Erschöpfung und der Angst, dass sie nicht dort war, wo sie sein wollte. Aber sie kam kein Stück weiter, ihr Körper wehrte sich gegen jede weitere Bewegung. Egal, wie viel Kraft sie dafür aufbrachte.
Er solle sie ausruhen lassen, hieß es. Sie brauche vor allem Ruhe. Schön und gut, die würde er ihr lassen – sobald er wusste, was passiert war. Lucien ignorierte die Stimmen, die ihn zurück halten wollten, machte sich unbeirrt auf den Weg ins Lazarett. Talin hatte ihm am Morgen berichtet, wie sie Shanaya gefunden hatte. Doch bis die Sphinx den Hafen verlassen hatte, erhielt der Dunkelhaarige keine Gelegenheit, nach der jungen Frau zu sehen. Viel wichtiger war, dass sie pünktlich ausliefen. Mehr noch, nachdem sie erneut angegriffen worden war. Ob von dem gleichen, wie noch zwei Tage zuvor würde sich zeigen. Inzwischen war es Mittag. Die Sonne fand allmählich zu ihrer ganzen, frühsommerlichen Kraft und brannte sich jedem Mann und jeder Frau unbarmherzig in den Nacken, sodass sie über die dicken, wattigen Wolken nur froh sein konnten, hinter denen sie sich immer wieder verbarg. Trotzdem hatte Lucien sein Hemd ausgezogen und mit freiem Oberkörper gearbeitet, sodass er jetzt, in der Kühle des Zwischendecks, unangenehm erschauderte. Er befreite sein Hemd vom Gürtel, ohne langsamer zu werden, fuhr sich mit dem robusten Leinenstoff kurzerhand über Kopf und Nacken, um den größten Schweiß loszuwerden und schüttelte das Kleidungsstück dann aus, um es sich wieder über den Kopf zu streifen. In dem Moment, in dem es auch die letzte Narbe auf seinem Rücken wieder verbarg, erreichte er das Lazarett, hob die nunmehr freie Linke und klopfte leise an. Leise, weil er sie nicht wecken wollte, falls sie noch schlief, aber deutlich genug, damit sie nicht erschrak, wenn er einfach herein platzte. Auf eine Erwiderung wartete er jedoch nicht, schob sich durch den Vorhang, der ihr einen Hauch Privatsphäre bot, und trat ein. Sie schlief nicht mehr. Im Gegenteil. Sie sah eher so aus, als wollte sich demnächst loslaufen. „Wo genau soll's denn hin gehen?“, entschlüpfte ihm die Frage unwillkürlich. Zwar mit leisem Tadel darin, aber nichts desto trotz auch sanfter Belustigung. Er konnte nichts dagegen tun, dass sich Erleichterung wohlig durch seine Brust fraß und den Gedanken, dass er sie eigentlich rigoros zurück in die Waagerechte verbannen sollte, deutlich abmilderte.
Shanaya hörte das leise Klopfen, wenn auch eher als dumpfes Geräusch. Sofort spannte sich ihr Körper an, ihr Verstand wollte sie dazu bringen, aufzuspringen, sich in Sicherheit zu bringen. Und trotzdem wusste die Schwarzhaarige, dass sie nicht weit kommen würde. Mit aller Kraft hielt sie ihren Oberkörper aufrecht, hob leicht den Kopf aus der Hand um zu sehen, wer eintrat. Einen Moment noch blieb der Ausdruck von kühlem Widerstand und Erschöpfung auf ihrem Gesicht, ehe sich ersteres in eine Wärme änderte, die voller Erleichterung lag. „Luc...“ Die junge Frau erschrak beinahe davor, wie leise ihre eigene Stimme war, hielt den Blick aber auf den Dunkelhaarigen gerichtet. „Ich bin... auf der Sphinx...“ Die Sorge fiel wie ein schwerer Stein von ihr ab, ließ sie vorsichtig durchatmen. Ihr Körper regte sich noch nicht, die blauen Augen musterten nur durchgängig ihren Captain. Auf seine Frage ging sie nicht wirklich ein, jetzt wo er hier war, ihr mit seiner Anwesenheit gezeigt hatte, dass sie an dem einzigen Ort war, wo sie sein wollte, sackte sie ein wenig in sich zusammen. Sie entspannte sich, atmete tief durch, um ihren aufgewühlten Körper zu beruhigen.
Lucien hatte ohnehin mit keiner Antwort gerechnet. Seine Frage war ja ohnehin mehr eine Begrüßung als alles andere gewesen. Er dachte also schon nicht mehr daran, als Shanaya aufblickte und kühle Distanz von plötzlichem Erkennen abgelöst wurde. Und Erleichterung. Ehrlich gesagt konnte er sich denken, was in ihrem Kopf vor sich ging. Welche Angst sie bis zu dem Moment heimgesucht hatte, als er eintrat. Von innen sahen alle Bordwände gleich aus. „Bist du.“, erwiderte er deshalb sanft und in die grünen Augen trat ein Ausdruck tiefer Wärme. Er setzte sich wieder in Bewegung, trat langsam zu ihr an die Liege und ließ sich neben ihr halb sitzend, halb stehend darauf nieder. Dann hob er die Hand, legte sie sanft an ihre Wange und gestattete sich ein Lächeln. „Wir sind inzwischen wieder auf dem Wasser.“ Wie von selbst strich sein Daumen über ihre weiche Haut. „Talin hat dich in der Nähe des Hafens gefunden... Was genau ist passiert?“
Die sanfte Stimme des Dunkelhaarigen sorgte noch einmal für Entspannung in ihren Muskeln. Der Schmerz in ihrem Bein verriet ihr, dass es sich hier nicht um einen Traum handelte, Lucien war wirklich hier und sie in Sicherheit. Sie hätte nicht gewusst, was sie sonst hätte tun sollen. Mit müdem Blick beobachtete sie die Bewegungen des Mannes, versuchte möglichst ruhig zu atmen, während er zu ihr trat und sie schließlich den Blick hob, als er neben ihr zum Stehen kam. Seine warme Hand an ihrer kalten Wange ließ sie die Augen schließen, als wolle sie diese Berührung voll auskosten, und ihre eigene auf seine legen. Sie lauschte seinen Worten, gab ein leises, wohliges Brummen von sich. Sie hatte sich das Ganze also nicht nur eingebildet. Und seine Frage... wäre ihr müder Verstand schneller gewesen, hätte sie vermutlich damit gerechnet. Sie lehnte sich jedoch noch einen Moment in seine Berührung, genoss diese warme Ruhe, ehe sie die Augen aufschlug. Ihr war selbst nicht ganz wohl bei dieser Frage, es... passte ihr einfach nicht. Aber sie selbst hätte nicht die Kraft dazu gehabt. „Würdest du mir... etwas zu trinken holen? Irgendetwas...“ Jetzt, wo die Erleichterung kam, spürte sie ihre trockene Kehle. „Dann erzähle ich dir alles...“ Ein bittendes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, mit dem sie den Dunkelhaarigen bedachte, als sie die eigene Hand kraftlos wieder sinken ließ.
Nach und nach entspannte sie sich wieder sichtlich, schien mit dem Gedanken, auf der Sphinx, auf dem offenen Meer und in Sicherheit zu sein, aufzusaugen wie ein Schwamm das Wasser. Und sie ließ die leichte Blöße zu, als er sie sanft berührte, schmiegte sich in seine Hand hinein und entlockte ihm ein weiteres Lächeln. Er drängte sie nicht, zu antworten. Und auch, als sie ihn gleich darauf um Wasser bat, nickte er lediglich und ließ langsam die Hand sinken, ohne auf eine Erklärung zu bestehen. Die würde schon noch kommen, nach ihren eigenen Worten. "Ich hol dir was. Leg dich wieder hin, es gibt keinen Grund, irgendwo hin zu stürzen.", meinte er lediglich amüsiert. "Nur nicht wieder einschlafen.", hängte er noch hinten dran. Dann ließ Lucien den Blick durch den Raum schweifen, entdeckte auf der schmalen Kommode, die an der Schiffswand befestigt war, einen Krug und einen Messingbecher, die wohl genau für jenen Moment bestimmt waren, da der Patient erwachte, und stieß sich vom Bett ab, um ihr etwas von dem Wasser zu holen. Für einen kurzen Augenblick war das Plätschern der Flüssigkeit, die sich in den Becher ergoss, das einzige Geräusch neben knarzendem Holz und rauschenden Wellen, dann wandte sich der Dunkelhaarige wieder der Pritsche und Shanaya zu und reichte ihr den Becher, ließ dabei wachsam den Blick über ihre erschöpften Züge huschen und beschloss schon für sich selbst, sie nicht länger als nötig zu behelligen.
Lucien sagte zuerst Nichts, sodass Shanaya die Augen geschlossen hielt. Sie fühlte der Wärme seiner Berührung nach, die ihr nach und nach die Unruhe nahm, bis sie vollkommen verraucht war. Die Worte des Dunkelhaarigen ließen sie leicht brummen, aber sie widersprach nicht. Er hatte Recht, das wusste sie. Wenn auch erst mit seinem Erscheinen vollkommen sicher. Dass sie nicht wieder einschlafen sollte, entlockte der jungen Frau ein leises Schnaufen. In diesem Moment fühlte sie sich zu erschöpft, um ihren Körper überhaupt wieder in eine andere Position zu befördern. Vielleicht schlief sie einfach im Sitzen ein. Lucien hielt sein Wort, kam mit einem Becher zu ihr zurück und mit zittrigen Fingern nahm die Schwarzhaarige das Gefäß entgegen, hob es an die Lippen und trank wenige, kleine Schlücke. Aber es half, zumindest gegen die trockene Kehle. Einige Momente ließ sie sich noch Zeit, ehe sie den blauen Blick auf ihren Captain richtete. Ihre Stimme war leise, vielleicht gerade so, dass er sie verstehen konnte. „Ich habe meinen Kompass verloren, als ich Bláyron begegnet bin. Ich wollte ihn wiederholen... zwei seiner Männer haben mir aufgelauert.“ Ihr Inneres verkrampfte sich leicht bei diesen Worten, lockten sie eine bekannte Wut in ihr Bewusstsein. „Einer von ihnen fand es lustig, mir ins Bein zu schießen. Der andere hat mich zu Boden geworfen und neben die Schusswunde seinen Degen gestochen.“ Ihr Blick glitt kurz an ihr runter, betrachtete die blutige Bluse, ehe sie Lucien wieder direkt in die grünen Augen blickte, jedoch schwieg. Das war eine grobe Zusammenfassung, zu mehr fühlte sie sich kaum fähig.
Dass Shanaya immer noch nicht lag, als Lucien sich wieder zu ihr umdrehte, entlockte ihm zunächst nur ein leises Seufzen. Doch er schwieg, beobachtete sie lediglich dabei, wie sie ein paar vorsichtige Schlucke trank. Nicht viel, aber wenigstens etwas. Danach setzte sie zu der Erklärung an, auf die er wartete - was ihm allerdings ein weiteres Seufzen entlockte. Hatte er nicht gerade etwas von hinlegen gesagt? Trotzdem schwieg er auch dieses Mal, unterbrach sie nicht, sondern wartete, bis sie geendet hatte, bevor er ihr schließlich den Becher wieder abnahm und auf dem Boden abstellte. "Du sollst dich hinlegen.", beharrte er, legte die freie Hand auf ihre Schulter und drückte Shanaya zurück in die Waagerechte. "Ist doch nicht so schwer." Und erst, als er ihr geholfen hatte, auch die Beine wieder hoch zu legen, lehnte Lucien sich schließlich mit der Hüfte gegen die Pritsche, um die Schwarzhaarige anzusehen. "Was ist mit Bláyron? War er wieder da?" Es überraschte den jungen Captain beinahe, wie nüchtern er dabei klang. Wie ruhig er sie dabei ansah. Wo er sich doch innerlich alles andere als ruhig fühlte. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Ihre erschöpften Züge, die blutige Bluse, das zerschossene Bein. Nur die gerunzelte Stirn verriet seine Sorge und einen Anflug frustrierten Ärgers.
Shanaya wusste nicht, was sie auf ihre Worte für eine Reaktion erwartete. Was Lucien dann tat, hatte sie jedoch nicht erwartet. Das letzte Wort war über ihre Lippen gekommen, der Becher aus ihrer Hand verschwunden, als sie die Hand des Mannes an ihrer Schulter spürte, den Druck, mit dem er sie wie ein Blatt im Sturm zurück auf die Liege drückte. Ihr Körper spannte sich an, als wolle sie sich dagegen wehren. Aber es war nicht mehr als ein kurzer Widerstand, der ihr nur noch mehr Energie raubte. Es war zwecklos. Wieder kam ihr ein Brummen über die Lippen. Nun wieder in liegender Position konnte sie ihre angestrengten Muskeln lockern, auch wenn sie sich so unwohl fühlte. Sie schloss die blauen Augen, öffnete sie erst wieder, als eine weitere Frage an ihre Ohren drang. Mit einem Ton, der ihr Herz ein wenig schneller schlagen ließ – wieso auch immer. Sie unterließ ein Kopfschütteln, antwortete nur mit leiser Stimme. „Ich habe ihn zumindest nicht gesehen.“ Shanaya rollte sich ein wenig zusammen, ließ den Blick nun ins Nichts gleiten.
Sie leistete nur kurz Widerstand, ließ sich dann doch von ihm zurück auf die Pritsche drücken und starrte nun halb zusammengerollt in die Leere vor sich, als sie auf seine Frage antwortete. Sie hob den Blick nicht, um ihn dabei anzusehen und rollte sich halb zusammen wie ein geschlagener Hund. Ein Bild, das den Dunkelhaarigen schließlich seufzen, ihn weicher werden ließ. Er schloss für einen Moment die Augen, erlaubte sich ein leicht ironisches Lächeln, das sie ohnehin nicht sah. Talin gegenüber Sorge und Wut zu äußern, war für ihn so selbstverständlich wie atmen. Bei Shanaya jedoch... war ja alles irgendwie ein bisschen anders. "Entschuldige, kleine Sirene." Die grünen Augen richteten sich wieder auf Shanaya und er streckte die Hand aus, um ihr sacht eine Haarsträhne hinters Ohr zu streichen. "Ich bin wohl nicht besonders einfühlsam, wenn ich das Bedürfnis habe, jemanden umzubringen." Ein flüchtiges Lächeln begleitete seine Erklärung und wieder nahm er sich einen Augenblick Zeit, um ihre erschöpften Züge zu mustern. "Wie fühlst du dich?"
Einen Moment schloss Shanaya die Augen, lauschte nur auf die leisen Geräusche des Schiffes. Sie versuchte irgendwie auf das zu horchen, was in ihrem Inneren vor sich ging. Es fühlte sich an wie ein leises Flüstern, das verstummte, als Luciens Stimme wieder durch den Schleier zu ihr durch drang. Unter der plötzlichen Berührung zuckte die Schwarzhaarige zusammen, entspannte sich aber sofort wieder, als ihr heller Blick zu Lucien wanderte. Sie blinzelte, lächelte dann schwach aber ehrlich über die Worte des Mannes. „Dann hoffe ich Mal, dass du damit nicht mich meinst.“ Mit einem kleinen Scherz hoffte sie, ihr Zusammenzucken überspielen zu können. Diese sanfte Berührung lockte wieder etwas aus ihrem Innersten heraus, das sich wie endlose, kleine Blitze in ihrem Körper anfühlten. Trotz der Erschöpfung. Mit seinen Worten schloss sie noch einmal die blauen Augen, atmete einmal tief durch und suchte dann wieder den Blick des Dunkelhaarigen. „Mir ist kalt. Und ich will jetzt schon nicht mehr rum liegen.“ Und sie war so endlos müde, wollte diesen Moment, seine Gesellschaft und seine Wärme voll auskosten.
Lucien fing ihren Blick auf und lächelte wieder, dieses Mal deutlich sanfter - aber auch eine Spur amüsiert. "Nein, dich meine ich bestimmt nicht.", versicherte er ihr, hielt derweil in der Berührung nicht inne und strich ihr immer wieder sanft durch die vereinzelten Haarsträhnen direkt an ihrem Ohr, die längst alle ordentlich nach hinten gekämmt waren. Ihre Ungeduld war irgendwie niedlich. "Ich fürchte, dir bleibt für's Erste nichts anderes übrig. Gregory sagte, er hätte die Kugel entfernt und alles genäht, aber stehen solltest du deshalb noch lange nicht." Langsam zog er die Hand zurück. "Du siehst müde aus... Ich hol dir eine Decke und was Frisches zum Anziehen, in Ordnung? Und wir reden später nochmal über das, was passiert ist." Er hatte immer noch Fragen - wie immer, eigentlich. Erkannte aber auch, wie sinnlos es war, sie damit weiter zu behelligen. Das Wichtigste hatte sie ihm zumindest erzählt: Dass es dieses Mal - wahrscheinlich - nicht Bláyron gewesen war. Nur ein paar seiner Leute.
Luciens Berührungen entspannten Shanaya, ließen ihre Atmung ruhiger und ihren Geist erschöpfter werden. Als reichte seine Anwesenheit aus, um ihr ein wenig von der Sicherheit zu geben, nach der sie sich in diesem Moment sehnte. Selbst wenn er ihr Ohr berührte, blieb die junge Frau ruhig, schloss die Augen, als würde sie jeden Moment einschlafen. Als Lucien dann von ihrer Wunde sprach und der Geduld, die sie im Moment brauchte, schnaufte die Schwarzhaarige leise. Sie wusste es, aber das machte das Ganze nicht besser. „Kriechen ist also in Ordnung?“ Ein vielsagender Blick galt dem Dunkelhaarigen, als er die Hand zurück zog und damit wieder ein Teil der Wärme von ihr wich. Sie biss fest die Zähne aufeinander. Mist. Auf seine nächsten Worte hin nickte Shanaya, sie hätte nur gelogen, hätte sie ihm widersprochen. Und trotzdem... Irgendetwas in ihr wehrte sich gegen den Gedanken, dass er gehen würde. Sie schluckte, richtete den warmen Blick direkt auf die Augen des Mannes. „Würdest du... hier bleiben, bis... ich eingeschlafen bin?“ Vielleicht hörte er in ihrer Stimme die leise Angst vor dem Allein sein in diesem Moment.
Er konnte sich das leise Lachen auf ihr mürrisches Schnaufen nicht verkneifen. In die tiefgrünen Augen trat ein Anflug sanfter Wärme. "Nein.", erwiderte er mit unbekümmerter Sachlichkeit auf ihre wahrscheinlich ohnehin nicht ganz ernst gemeinte Frage und schenkte ihr ein Lächeln. Sie würde sich wohl damit abfinden müssen, liegen zu bleiben, bis ihre Verletzungen verheilt waren. Sonst fesselte er sie persönlich an diese Liege. Das letzte, was er gebrauchen konnte, war ein Crewmitglied, dass eher hinderlich als hilfreich über's Schiff kroch. Doch als Shanaya das Wort wieder ergriff, wurden seine Züge weicher. Die Belustigung verschwand aus seinen Augen und er nickte leicht. Die Decke konnte er ihr auch noch holen, wenn sie schlief. Er stieß sich von der Liege ab, zog mit dem Fuß den Stuhl heran, der am Arbeitstisch stand und rückte ihn etwa auf ihrer Kopfhöhe zurecht, bevor er sich rittlings darauf nieder ließ. Die Arme verschränkte er auf der Lehne, lehnte das Kinn darauf und sah die Schwarzhaarige wieder an. "Mach die Augen zu. Ich bleibe hier."
Nur ein neuerliches, müdes Schnaufen drang über Shanayas Lippen, als ihr Captain mit einem schlichten Wort antwortete. Nein, natürlich nicht. Auch wenn der Gedanke, sich wenigstens so zu bewegen, zu verlockend war. Aber... das Bild, wie der Dunkelhaarige sie zurück auf diese Liege schleifte, kam ihr dann doch zu real in den Sinn. Vermutlich würde es das Ganze auch nur hinaus zögern, bis sie wieder stehen konnte. Der Weg dorthin würde anstrengend genug sein. Also beobachteten die blauen Augen, die halb geschlossen waren, nur die Bewegungen des Dunkelhaarigen, wie er mit sanfter Miene nickte und sich schließlich auf einem Stuhl sinken ließ, sie aus seinen grünen Augen anblickte. Ihr Herz machte einige schnelle Sprünge, wurde von seinen Worten jedoch wieder etwas ruhiger. Er beruhigte sie, dass er blieb, so war sie nicht allein, wenn die Müdigkeit sie übermannte. „Wer steht am Steuer, wenn du hier bist?“ Leise Belustigung schwang in Shanayas Stimme mit. Sie fragte nicht wirklich aus Interesse – sie konnte es gerade eh nicht ändern – aber sie wollte irgendwie ein ein kleines Gespräch am Laufen halten, bis sie einschlafen würde. Und das schien ihr ein gutes, unverfängliches Thema, mit dem sie wie auf Geheiß die Augen schloss und ruhig auf eine Antwort wartete. Dankbar, dass sie Luciens Blick auf sich wusste.
Ein flüchtiges Lächeln spielte um seine Mundwinkel, als sie ihm mit einem erstaunlich friedlichen Ausdruck entgegen sah - statt die Augen zu schließen und zu schlafen, wie sie sollte. Wenn er es nicht besser wüsste, hätte er ihr unterstellt, sie versuche sich mit einem Gespräch wachzuhalten. Doch der Dunkelhaarige behielt seine Gedanken ausnahmsweise für sich, antwortete stattdessen auf ihre Frage. „Ceallagh, glaube ich.“, meinte er mit reichlich unbedarfter Tonlage und in den grünen Augen leuchtete einen Moment lang sanfter Schalk auf. Er hatte den Blonden zumindest gebeten, zu übernehmen. Ob sie am Ende noch auf Kurs waren, sah er ja später. Aber das sollte dieses Mal nicht ihre Sorge sein. Lucien verlagerte leicht sein Gewicht, streckte die Hand aus und strich ihr sacht das Haar aus der Stirn. „Wir reden später weiter, in Ordnung?“
Shanaya öffnete noch einmal eines ihres blauen Augen, um Lucien bei seiner Antwort einen versucht vielsagenden Blick zu zuwerfen. Es blieb jedoch nur bei einem kurzen, vorwurfsvollen Blick, ehe ihre Augen wieder zu fielen. Ihr lag etwas passendes auf der Zunge, aber die Schwarzhaarige schluckte es herunter, es änderte so oder so nichts. Lucien würde sie nicht an Deck lassen – und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, würde sie es vermutlich nicht einmal bis zur Treppe schaffen. Also schluckte sie auch ein Brummen auf die letzten Worte des Mannes herunter. So sehr ihr Verstand sich auch gegen den Schlaf wehrte, er selbst und der Rest ihres Körpers dämmerten längst hinter einem dichten Nebel, aus dem die sanfte Berührung des Dunkelhaarigen sie nur noch einmal kurz hervor lockte, um ein hauchzartes „Danke“ zu wispern, kurz mit den Fingern über die Hand des Mannes zu streichen, ehe sie sich schließlich dem drängenden Verlangen in ihrem Körper nachgab und in einen ruhigen und traumlosen Schlaf fiel.