08.03.2020, 17:05
Dass sie nicht ewig davon laufen konnten, war ihm durchaus bewusst. Aber er hoffte, dass sie es wenigstens lang genug konnten, bis sie eine zündende Idee hatten, diese erneute Verfolgungsjagd irgendwie lebend zu überstehen. Sein unfreiwilliger Begleiter hatte zwei Pistolen - geladen, wenn er sich recht entsann -, aber bis er sie sinnvoll einsetzen konnte, mussten sie genug Abstand bekommen, um den dritten von ihnen abfangen zu können, bevor er ihnen gefährlich werden konnte. Allerdings waren sie ihnen bereits zu dicht auf den Fersen, als dass es etwas gebracht hätte, in eine der Gassen abzubiegen, um ihnen eine Falle zu stellen. Sie hatten schlicht und ergreifend nicht genug Zeit dafür. Aber diese Hetzjagd bis zum Hafen würden sie auch unmöglich durchhalten. Ganz davon abgesehen, dass es ungewiss war, ob dort wirklich jemand war, der ihnen behilflich sein konnte.
Was Liam nicht auffiel, war, dass die Rettung bereits von oben her lauerte. Hastig flog sein Blick von der einen zur anderen Seite ihres Pfades und hoffte, irgendwo einen helfenden Gedanken aufzutreiben, als sich die Geräuschkulisse hinter ihnen plötzlich änderte. Liam warf den Kopf über die Schulter und wurde automatisch – aber unbeabsichtigt – langsamer. Einer der Männer ging keuchend an der nächsten Wand zu Boden, der zweite stoppte ruckartig und suchte etwas, oder eher jemanden. Sein Komplize war ebenso stehengeblieben, fürchtend, dass sie sie in einen Hinterhalt lockten und das Spielchen herumdrehten. Der Lockenkopf versuchte angestrengt einen Schatten hinter ihnen zu erkennen. Irgendetwas, was ihm gesagt hätte, dass dieser Angriff nicht nur zufällig zu ihren Gunsten ausgefallen war. Als er hinter den Männern nichts erkennen konnte, hob er den Blick und sah die dunkle Gestalt über ihnen nur wenige Herzschläge, bevor sie auf dem hinteren der Männer niederging wie der Tod persönlich. Liam atmete sichtlich auf, als er Josiah erkannte, der sich grimmigen Blickes aufrichtete und den dritten ihrer Verfolger ins Visier nahm. Die Erleichterung war kaum in Worte zu fassen, dass der Attentäter auf ihrer Seite war. Das Blickduell vor ihren Augen zog sich in der angespannten Atmosphäre gefühlt unangenehm in die Länge. Der Lockenkopf blinzelte, als ihm die unscheinbare Bewegung des Kopfgeldjägers in seinem Rücken auffiel, als würde er nach etwas Bestimmtem in seinen Sachen kramen. Noch ehe er sich dessen selbst bewusst war, hatte er sich in Bewegung gesetzt, um dem Verbliebenen unsanft den Fuß in die Kniekehlen zu rammen und ihn somit zu Boden zu zwingen. Fast in der gleichen Bewegung versenkte er die Klinge seines Degens in ihrem Angreifer, sodass auch sein Oberkörper zu Boden klappte. Ruhe legte sich über die Gasse, während nebensächlich allmählich der Geruch von Rauch durch die Straßen kroch.
Liam hielt die Luft an, als er seine Waffe wieder hervorzog und die Klinge bewusst außerhalb seines Sichtfeldes hielt. Er vermied auch einen Blick auf den leblosen Körper vor seinen Füßen, obwohl er wusste, dass es das einzig Richtige gewesen war, wenn sie überleben wollten. Diese Kopfgeldjäger interessierte es nicht, wen sie vor sich hatten. Und entweder man kam ihnen zuvor oder fand hier ein ruhmloses Ende. Es änderte allerdings nichts daran, dass ihm das Töten nach wie vor zuwider war und eine Ausnahme blieb. Eine Ausnahme, wenn es keinen anderen Ausweg mehr gab. Auch der Fremde, der sich auf ihre Seite geschlagen hatte, kam näher. Liam warf ihm einen flüchtigen Blick zu, ehe er sich an Josiah wandte. Er schien glücklicherweise größtenteils unverletzt, während sein eigener Ärmel mittlerweile ein dunkles Rot angenommen hatte.
„Danke.“, beließ er es knapp und wohl wissend, dass dem Attentäter jedes weitere Wort des Dankes zu viel gewesen wäre. „Weißt du etwas von den anderen?“
Langsam setzte er zwei Schritte rückwärts, um nicht unnötig lange an einem Ort zu verweilen. Sie mussten zur Sphinx zurück. Erst jetzt viel ihm der helle Lichtschein in Josiahs Rücken auf. Er knirschte mit den Zähnen und kämpfte die erneut aufkommende Übelkeit herab.
„Die scheinen keine Mühe zu scheuen, uns wie Ratten zusammenzutreiben.“
Der Rauch stieg in einer finsteren Wand gen Himmel. Eigentlich musste man ihnen diese Einsatzbereitschaft hoch anrechnen. Nicht jeder setzte sein eigenes Dorf in Brand, um ein paar Verbrecher zu fangen. Ihnen schien wirklich viel an ihrem Tod zu liegen.
„Das ist - “ Ihm fiel jetzt erst auf, dass er den Namen seines unbekannten Begleiters immer noch nicht kannte. „Er ist auf unserer Seite und sucht ebenfalls einen Ausweg aus diesem Loch.“
Inzwischen hatte er sich wieder herumgewandt, um der Straße weiter in die Richtung zu folgen, in der der Hafen liegen musste. Schnellen Schrittes, aber einen weiteren Dauerlauf würde er voraussichtlich nicht mehr allzu lange durchhalten.