08.07.2019, 10:08
„Akzeptiert!“, flötete Trevor, schwang sich auf das nächsthöhere Fass und streckte Scortias die Zunge heraus.
„Und wenn ich gewinne, übernimmst du meinen für eine Woche! Und außerdem krieg ich deinen Nachtisch, mein Einsatz muss nämlich höher sein, weil ich der erfahrenere Fassbalancierkünstler von uns beiden bin – das ist Fairness und so!“
Er hielt kurz inne, den Zeigefinger erhoben, und runzelte langsam die Stirn, als sei ihm da gerade eine Unstimmigkeit aufgefallen. Oh hey, wenn er den Kopf schief legte und das eine Auge zukniff und das andere auch ein bisschen, aber nur ein bisschen, dann sah es so aus, als würde der Finger in der Luft schweben! Er lies ihn hin und herfliegen, erst ein bisschen und dann schneller und noch schneller und dann so schnell – er war wirklich gut darin! –, dass er ihn im Halbdunkeln zwei Mal sah, und dann drei Mal und dann vier Mal, so als hätte er vier Hände und die würden alle vor seiner Nase herumtanzen und ihm Lebensweisheiten vermitteln wollen!
Inzwischen kicherte er so sehr, dass er Probleme hatte, den fliegenden Fingern auf das nächsthöhere Fass zu folgen. Aber er musste doch! Er hatte eine Wette zu verlieren! Oder zu gewinnen? Egaaaal, alles dasselbe! Beim zweiten Versuch schaffte er es, sich immerhin mit dem größten Teil des Oberkörpers auf das Fass zu hieven und dann musste er nur noch ein ganz kleines bisschen mit den Beinen strampeln, und tadaaa! Die gesamte Pyramide erzitterte und Trevor schaukelte ein bisschen hin und her, aber keiner von beidem fiel um. So machte man das als Fassbalancierkünstler! Trevor grinste stolz und wollte gerade seinen unsichtbaren Hut ziehen, um den Applaus gebührend entgegen zu nehmen, als Aspens Stimme ihn erreichte.
„Sissywer?“, wiederholte er kurz verdutzt. Hatte er noch nie gehört. Musste ein Fassblancierer unter seiner Liga sein. Oder aber– Statt eines imaginären Hutes zupfte er jetzt unsichtbare Rockzipfel in die Höhe und piepste: „Aber niiiicht doch, einer Dame macht man das keine Konkurrenz! So etwas Unschiiiiickliches!“
Er drehte eine besonders elegante Pirouette, damit Aspen sein wunderschönes, nicht vorhandenes Kleid bewundern konnte, und schwang sich dann so damenhaft wie betrunken möglich auf das nächsthöhere Fass.
„Bei Nacht?“, rief er und seine verstellte Stimme brachte seine Empörung wirklich ganz hervorragend zur Geltung.
„Aspen, du unkultivierter Halunke! Weißt du nicht, dass eine Dame ihren Schönheitsschlaf braucht?!“
Einen Moment hielt er es aus, seine Nase ganz hoch zu halten – dann brach er mit einem ganz und gar undamenhaften Schnauben in lautes Gelächter aus.
„Wie gut, dass ich das im Schlaf schaffen würde!“, prustete er, schnappte nach Luft, kicherte weiter und wollte sich am nächsten Fass abstützen – und griff ins Leere.
Er quietschte auf, kippte, ruderte mit den Armen, stellte fest, dass er ja keinen halben Meter von der Hauswand entfernt stand und lies sich einfach dagegen fallen. Einen Moment lehnte er da, atmete heftig – wegen des Schrecks und, okay, größten Teils einfach, weil Lachen und Atmen gleichzeitig schwer ist und er den Moment nutzen musste. Dann sah er nach links, rechts, unten, stellte fest, dass er ganz oben war, und riss die Arme in die Höhe.
„Ersteeeer! Gewonnen! Einhunderttausend Punkte für Lady Sissy die Fassbalacierkünstlerin!“
Die Hände immer noch gen Himmel gestreckt, drehte er sich ein Mal, zwei Mal um sich selbst und stolp– nein, er sprang sehr elegant auf der anderen Seite auf das nächste Fass hinunter. Er kam sogar auf den Zehenspitzen auf, wie eine richtige Lady in hohen Schuhen. Er war verdammt stolz.
„Oh dieser Applaus! Musik in meinen Ohren!“
Er knickste erneut und hüpfte auf das nächste Fass herunter. Da hielt er plötzlich plötzlich inne, riss die Augen auf und schlug entrüstet beide Hände auf sein Herz.
„Aber – aber – wo bleibt mein Siegesfeuerwerk?!“ Er legte den Kopf in den Nacken und brüllte zum Nachthimmel hinauf: „EY! So behandelt man aber keine Dame!“
Der Nachthimmel antwortete mit einer Explosion, die die gesamte Straße taghell erleuchtete. Trevor fuhr zusammen, quiekte auf, vergaß, dass er ja gar nicht wirklich auf hohen Schuhen war, und die Hauswand neben sich sowieso, und kippte einfach rücklings vom Fass. Die Welt sich rasend schnell, Fässer polterten, Trevor fuchtelte wie wild mit den Armen, bekam irgendetwas Weiches zu fassen und riss es einfach mit sich.
Ihm blieb trotzdem für einen Moment die Luft weg, als er auf den Boden knallte. Mit weit aufgerissenem Mund starrte nach oben den Himmel, der sich langsam wieder verdunkelte. Er blinzelte, drehte langsam den Kopf, um zu sehen, was seinen Sturz da abgefedert hatte, erkannte ein Gesicht neben sich – und brach in laut prustendes Gelächter aus.
„Hallöchen“, quietschte er und tippte dem Fremden auf die Nasenspitze, so dass die ganz niedlich platt wurde, „ich bin Lady Sissy, unangefochtene Weltmeisterin im Fassbalancieren! Der Himmel hat mich auserkoren!“
[bei Aspen, Scortias und Rúnar, eeeeigentlich auf dem Weg zum Hafen, aber hauptsächlich auf der Fässerpyramide]