20.06.2019, 12:22
Wieso war sie eigentlich nur hier draußen und musste sich diesen Unsinn geben? Hätte sie nicht einfach in der Taverne bleiben und der zugegeben angespannten Männerrunde beiwohnen können? Stattdessen war sie der betrunkenen Talin gefolgt weil es ihr vernünftiger erschienen war, wenn die Blondine in ihrem Zustand nicht allein draußen herum torkelte. Und vielleicht, auch aber auch nur vielleicht, weil ihr selbst nach etwas Frischluft gewesen war. Wenigstens beließ es Taranis vorerst dabei, sie nicht noch weiter auf die Palme zu bringen. Formulierte sogar eine Antwort die weitaus wohlwollender über seine Lippen kam, als sie erwartet hätte. Und dennoch hielt Skadi mit einem Funkeln in den Augen inne. Es störte sie, dass er ohne es zu wissen etwas andeutete, dass sie vor wenigen Wochen tatsächlich getan hatte. Bezweifelte im selben Atemzug jedoch, dass er von dem alten Fettsack auf Mîlui wissen konnte, den sie in derselben Nacht kastriert hatte, in der sie auf Talin getroffen war. Es wäre schon ein widerlicher Zufall, wenn er sie dabei beobachtet hätte. Ihr auf dem Weg vom Wald zurück in die Stadt gefolgt wäre, wo sie den blutenden Körper an einer der Hausmauern abgeladen hatte und in den Schatten der Gassen verschwunden war.
Als eine Reaktion auf seine Worte, schenkte sie ihm nur ein abfälliges Hinaufschnellen der dichten Brauen. Starrte weiterhin unverwandt zu ihm hinauf und ließ ihn wohl mit ihrer ganzen Körperhaltung wissen, dass sie nicht auf sein Wohlwollen oder seine Meinung angewiesen war. Sie wusste was sie tat und brauchte sich vor niemandem dafür zu rechtfertigen. Ihr Gewissen war rein – auch wenn ihre Prinzipien weitaus mehr Spielraum für Gewalt zuließen, als bei anderen. Also wandte sie sich gedanklich ab und überließ nun Talin das Feld, die sich für einen Herzschlag enger an sie presste. Dem Dunkelhaarigen sogar ein Lächeln schenkte, das Skadi kurzweilig die Kehle zuschnürte. Normalerweise bedeuteten Lippen wie diese Tod und Verderben. Und standen für eine Frau die viel zu gefährlich war, um sich mit Leib und Seele auf sie einzulassen. Just in diesem Moment war die Jägerin froh, dass sie mehr von der Blonden wusste, um den plötzlichen Gedankengang zu überspielen und abwesend die hellen Spitzen ihrer Locken zwischen den Fingern zu zwirbeln. Erst als Talin sich mit einem deutlichen Schmollmund an sie wandte, richteten sich die dunklen Augen zum hellen Haarschopf zurück. Musterten für einen Moment die feinen Züge der Kapitänin, während sich bereits ein Schmunzeln auf die vollen Lippen der Nordskov legte.
“Ich könnte meine Zeit wirklich sinnvoller verschwenden.“, raunte sie gedämpft zur Antwort und hob die freie Hand an Talins Kinn. Betete den Daumen auf die weiche Haut und fuhr beiläufig mit der Daumenspitze über den Lippenrand. “Aber schöner Schmollmund...“ Nicht, dass es ihr wirklich etwas brachte. Aber wenigstens erlöste sie Skadi damit von der dunklen Wolke, die mit Taranis über ihr aufgezogen war.
Doch augenscheinlich währte dieser harmlose und fröhliche Moment genauso lang, wie ein schwerer Atemzug. Drückte sich mit Talins zierlicher Hand fest gegen ihr Schulterblatt und ließ die Hand der Jägerin augenblicklich hinab sinken. Löste sogar den festen Griff um Talins Taille und ließ ihr nunmehr ausreichend Freiraum zu verschwinden, so sie denn wollte. Etwas skeptisch zog Skadi die dunklen Brauen zusammen, während sie erst Talins Züge musterte und dann zu Taranis zurück blickte. Hatten die beiden etwas in der Gasse in ihrem Rücken bemerkt, das ihr vor lauter Streitsucht entgangen war? Wie von selbst spitze sie die Ohren und lauschte über die Geräusche der Stadt hinweg. Hörte kurzweilig ihren eigenen Herzschlag, ehe sie versuchte das Rascheln auszublenden, das sie umgab. Glaubte ein kurzes Klimpern zu hören und suchte in den beschlagenen Glasfenstern der Taverne nach einem Funkeln oder dunklen Schatten. Sah jedoch außer ein paar lachender Körper und betrunkener Leiber nichts.
“Ist dem so?“, entgegnete sie auf Taranis Worte und zählte in Gedanken die wenigen Waffen, die sie dicht an ihrem Leib trug. Ärgerte sich regelrecht dass sie Pfeil und Bogen auf dem Schiff gelassen hatte und war Enrique für seinen energischen Entschluss dankbar, ihr die beiden langen Dolche zu überlassen, die sie an Rücken und Hüfte trug. Andernfalls hätte sie sich wohl im wahrsten Sinne des Wortes mit Händen und Füßen verteidigen müssen. Und dieses Mal war kein Liam anwesend, der Zeuge ihrer Wendigofähigkeiten werden konnte.
“Wenn du mir auf die Nerven gehst, schupse ich dich einfach in die nächste Gasse und hänge deine traurigen Rosinen an irgendeine Haustür.“ Es kam so trocken über ihre Lippen, dass sie fast aufgelacht hätte. Stattdessen wandten sie sich jedoch wieder dem blonden Lockenkopf zu, dessen Aufmerksamkeit noch immer der Szenerie in ihrem Rück galt. Fast schon sanftmütig schob sich ein Lächeln auf Skadis Miene, während sie nun endgültig die langen Finger von Talins Taille nahm und die Fingerspitzen in der Luft tanzen ließ.
“Die Entscheidung liegt ganz bei dir. Ich folge dir überall hin… Captain.“, flüsterte sie der Jüngeren leise durch die dichten Locken zu.
[vor der Taverne | dicht neben Talin, in Sicht- und Hörweite von Taranis]