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Fremde Vertraute
Lucien & Talin ✓✓
Szenen-Informationen
Charaktere Gast
Datum 17 März 1822
Ort Auf der Sphinx
Tageszeit Vormittags
Crewmitglied der Sphinx
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#1
Fremde Vertraute
I have died every Day waiting for you
and all along I believed I would find you
Darling don't be afraid
I have loved you
for a thousand Years



Talin & Lucien
17. März 1822 | früher Vormittag | Kapitänskajüte der Sphinx


Ganz gleich, wie viel er auch schlief – es würde nicht reichen, um sich wieder vollständig zu erholen. So zumindest fühlte es sich an, als Lucien am späten Nachmittag nach der Flucht von der Morgenwind aus tiefem, traumlosen Schlaf erwachte. Langsam schlug er die tiefgrünen Augen auf, starrte an eine fremde Decke. Holz. Und es dauerte eine Weile, bis er realisierte, dass er nicht mehr in einer Zelle saß. Immer noch ein Schiff, das verriet ihm das sanfte Schwanken, das Knarzen der Planken, das leise Flattern von Segeln im Wind und das Rauschen des Meeres, das sich am Bug brach. Doch der Untergrund war zu weich, die Luft zu rein für die Zelle eines Gefängnistrakts. Seltsam. Dabei waren die Ereignisse der letzten Nacht derart surreal und unbegreiflich, dass sie auch aus dem Mund eines verrückten Spinners hätten stammen können. Es konnte unmöglich wahr sein.
Und doch wusste der Dunkelhaarige, dass es real, dass es tatsächlich passiert war.
Noch etwas benommen hob er die Linke, um sich damit über das Gesicht zu fahren, rieb sich kurz die Augen und drehte dann leicht den Kopf, um herauszufinden, wo er sich befand.
Er lag auf einem breiten Bett, dessen Längsseite sich in eine bescheidene, aber ansehnliche Kajüte öffnete. Mitten durch ihre Mitte verlief der Besanmast, darum gruppierten sich verschiedene Sitzmöbel, ein Schreibtisch, der den Großteil des Platzes einnahm, und diverse Schränke, Regale und Kommoden. Auf einer davon, gleich neben dem Bett, stand eine Schüssel mit Wasser und ein Bündel alter Leinenlumpen – die Kleidung, die er die letzten drei Jahre am Leib getragen hatte.
Lucien setzte sich auf. Das Laken, das ihm als Decke diente, rutschte ihm in den Schoß und enthüllte seinen nackten Oberkörper. Rippen, die sich deutlich unter der Haut abzeichneten und Narben, die sich über seinen Rücken zogen wie ein Labyrinth auf einem Blatt Papier. Talin, war das erste, was er dachte. Doch der Platz neben ihm war leer. Er lag auf der hinteren Seite des Bettes an der Wand, erkannte aber an ihrem umgeschlagenen Laken, dass sie neben ihm geschlafen haben musste. Nachdem sie sich um ihn gekümmert hatte. Sie musste die Schürfwunden an seinen Handgelenken versorgt und ihn gewaschen haben. Zumindest starrte er jetzt nicht mehr nur so vor Dreck.
Er hatte wohl tiefer geschlafen, als im ersten Augenblick angenommen.
Ansonsten fehlte jedoch jede Spur von seiner Schwester, was den 21-Jährigen schlagartig den eigenen Gedanken aussetzte. Gedanken, in denen ihm in aller Deutlichkeit bewusst wurde, wie viel Zeit vergangen war. Über drei Jahre, seit er sie auf Kelekuna zurück gelassen hatte. Ein letztes Mal, war sein Versprechen gewesen. Und dann kehrte er nicht zurück. Drei Jahre, fast vier, in denen er sie in seiner Erinnerung am Steg hatte stehen sehen, jedes Mal, wenn er die Augen schloss. Und jetzt war sie plötzlich da.
Ein Anflug von Nervosität breitete sich in ihm aus. Ein leises Flattern in der Brust, wie das eines verliebten Jungens. Sie war nicht einmal im gleichen Raum und trotzdem überschlugen sich seine Gedanken. Was sollte er sagen? Was würde sie sagen? Was war mit ihr passiert, in den letzten Jahren? Wie war sie bis hier her gekommen?
Was würde sie wissen wollen?
Gerade vor dieser Frage fürchtete er sich. Er fürchtete sich vor diesem Moment. Dieser ganzen ersten, realen, bewussten Begegnung. Und die würde kommen.
Crewmitglied der Sphinx
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#2
Die Anspannung der letzten drei Jahre fiel nur langsam von ihr ab. Eigentlich hätte sie nach den ganzen Schwierigkeiten, die sie auf sich genommen hatte, erwartet, diese innere Unruhe würde sich in Luft auflösen, sobald sie Lucien in Sicherheit wusste. Stattdessen spürte Talin sie immer noch in jeder Faser ihres Körpers. Sie fühlte sich getrieben, unruhig, so als würde sie auf irgendetwas warten, als sollte etwas in naher Zukunft geschehen.  Sie hasste diese Empfindung. Wieso hatte sie so viel auf sich genommen, wenn diese Unruhe dennoch blieb?
Mit einem leisen Seufzer sah sich Talin noch einmal auf dem Deck um, kontrollierte, ob sie immer noch in Sicherheit waren, immer noch auf der Flucht. Die Ereignisse nach dem gelungenen Ausbruch hatten sich überschlagen und nun fuhren sie, so schnell die kaputte und dennoch wendige Lady es konnte, über das Meer in Sicherheit. Wo das sein würde, wusste sie noch nicht genau, aber weit entfernt von jedem Marineschiff klang in ihren Ohren sehr verlockend. Ein leicht belustigtes Schmunzeln schlich sich auf ihre Lippen, als sie an ihre Flucht dachte. Mit Mühe und Not hatten sie es auf die Sphinx geschafft, hatten der Marine entkommen können. Danach waren die, die im Wasser getrieben waren, der Reihe nach umgefallen und hatten geschlafen. Es war verdient gewesen. Sie würde ihnen noch weit mehr zugestehen, nach dem, was sie alles auf sich genommen hatten. Sie selbst hatte Lucien in die Kajüte geholfen und sich dort um ihn gekümmert, bevor sie sich selbst ausgeruht hatte. Lucien... ihr Bruder. Er lebte und war nun in Sicherheit.
Ruckartig drehte die Blonde sich um, ließ die Sphinx ihre Fahrt machen und begab sich nach unten in ihr Reich. In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander, ihr Herz schlug wie verrückt und die Unruhe nahm nur noch mehr zu. Sie musste sich vergewissern, dass er wirklich da war. Das er bei ihr war, in Sicherheit. Fest biss sie die Zähne zusammen, bei dem Gedanken an seinen geschundenen Körper. Als sie ihn gestern untersucht und behandelt hatte, hatte nur ihr Wunsch, ihn schlafen zu lassen, sie davon abgehalten, laut zu schreien. Auch jetzt wieder unterdrückte sie das Bedürfnis nur mit Mühe, als sie schließlich die Tür zur Kajüte erreichte. Schon hob sie die Hand, ließ sie aber wieder sinken und schloss die Augen. Es wäre wohl nicht ratsam mit ihrer schlechten Laune das Zimmer zu betreten. Sollte er wach sein, dann würde er vielleicht noch denken, sie wäre wütend auf ihn. Sie ballte die Hände zu Fäusten, drückte ihre Fingernägel ganz fest ins eigene Fleisch, während die Unruhe in ihr zunahm.
Tief atmete sie ein, lockerte ihre Hände, damit sie nicht mehr so verkrampft geballt waren und öffnete die Augen, in der Hoffnung nicht mehr so wütend auszusehen. Doch die Tür öffnete sie immer noch nicht. Stattdessen stand sie da und starrte das Holz an, folgte mit Blicken der Maserung. Wirklich eine gute Arbeit, schoss es ihr durch den Kopf, bevor ihr Blick auf dem Knauf hängen blieb. Sie müsste nur die Hand ausstrecken und dann könnte sie nachsehen, wie es ihrem Bruder ging. Sie musste doch nur...Oh, bei allen sieben Welten, Mädchen! Jetzt hör schon auf, so nervös zu sein! Es war ihr Bruder, Lucien, der dort drin auf dem Bett lag. Der einzige Mensch, der wirklich zählte. Wieso also fühlte sie sich so unsicher und nervös? Es erschien ihr vollkommen idiotisch. Also streckte sie, ohne lange zu überlegen, die Hand aus und öffnete die Tür.
Kurz ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen, nahm die Inneneinrichtung aber kaum wahr. So oft schon hatte Talin sie gesehen, hatte sie verändert, damit es sich wie ein gemütliches zu Hause anfühlte. Ganz zufrieden war sie immer noch nicht, aber sie wusste nicht, was noch fehlte. Also ignorierte sie die Einrichtung und wandte sich dem Bett zu. Wie festgenagelt blieb sie stehen, als sie ihren Bruder ansah.

„Du bist wach.“

Nun, das lief doch schon mal gar nicht so schlecht. Am liebsten hätte sie ihren Kopf gegen den Mast gehämmert, so bescheuert kam sie sich vor. Um nicht noch etwas dummes zu sagen, biss sie die Zähne fest zusammen und starrte ihn einfach nur an.
Crewmitglied der Sphinx
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#3
Ein vernehmliches Knarzen riss den 21-Jährigen aus seinen Bedenken. Da war etwas, das nicht in den wohlvertrauten Geräuschkanon eines lebenden Schiffes passen wollte und ihn nur deshalb aufmerken ließ. Sein Herz machte einen erschrockenen Satz, rutschte ihm einen Sekundenbruchteil später irgendwo in die untere Magengegend. Lucien hätte niemals bestimmen können, was ihn wissen ließ, dass es Talin war. Es hätte irgendjemand sein können, der gerade an der Kajütentür vorbei spazierte. Irgendjemand aus der Mannschaft. Doch er wusste es einfach... Oder glaubte es zu wissen...
Tatsächlich bewegte sich einen Moment später der Riegel des Schlosses zur Seite. Das hölzerne Türblatt schwang in seinen Angeln ächzend nach innen auf und da stand sie, wie sie auch vor seiner Zelle erschienen war. Nur, dass er sie im schummrigen Licht der Kajüte besser sehen konnte als im zwielichtigen Dunkel des Gefängnistrakts. Sie war größer als damals, das goldene Haar noch ein wenig länger, als er es in Erinnerung hatte. Den ätzenden blauen Uniformrock ihrer Verkleidung hatte sie gegen Bluse, Korsage und einen langen Rock getauscht, der augenscheinlich an der Seite bis fast zur Hüfte ausgeschnitten war. Ein Aufzug, in dem er sie auf Kelekuna wahrlich noch nie gesehen hatte, in dem sie unter den strengen Augen ihrer Mutter ganz bestimmt nicht hätte herum laufen dürfen. Und trotzdem war er irgendwie nicht überrascht.
Doch am meisten faszinierten und erschreckten ihn ihre Züge. Älter, reifer als die des 14-jährigen Mädchens, das er am Steg zurück gelassen hatte. Er konnte nur nicht sagen, ob er das gut oder schlecht fand.

All das nahm er in den wenigen Herzschlägen wahr, bis Talins Blick auf ihn fiel und sie mitten in der Bewegung erstarrte.
Oh Talin.
Lucien konnte nicht anders, konnte sich das kleine Schmunzeln nicht verkneifen, das ihre Feststellung hervor lockte.

Mehr oder weniger...“, gab er ausweichend, aber amüsiert zurück. Immerhin konnte er sitzen. Und weil ihm der Gedanke zuwider war, sie könnten beide im nächsten Augenblick in unsicheres Schweigen verfallen, fügte er nicht weniger geistreich an: „Und du hast ein Schiff...

Nein. Sie hatte das Schiff. Doch der Gedanke war im gleichen Moment wieder verschwunden, wie er auch aufgekommen war. Denn eigentlich... wartete er doch nur. Wartete darauf, dass etwas passierte, während das Flattern in seiner Brust beständig zunahm.
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#4
Ihr Blick huschte von seinem behaarten Gesicht, über seine Brust, zu seinen spitzen Rippen und wieder zurück. Als könnten ihre Augen nicht still halten, als müsste sie alles neu in sich aufnehmen, was sie die letzten Jahre nicht gesehen hatte. Schon während sie ihn gewaschen hatte, waren ihr verschiedene Gedanken zu seinem Zustand gekommen. Er musste dringend etwas essen, dieser Bart musste ab, sie musste sich überlegen, wie sie am besten seine Wunden versorgte...dieser Bart musste ganz dringen ab. Es war ein endloser Kreislauf an Gedanken und Eindrücken, die sich auf ihre Unruhe auswirkten, welche sie zu einem Sturm auftürmten. Dieser beständige Druck, der sich einfach nicht löste, obwohl sie ganz genau sah, wie Lucien wach auf dem Bett saß und sich mit ihr in einem Zimmer befand.
Sein Schmunzeln erahnte sie eher, als das sie es wirklich sah, durch dieses Gestrüpp in seinem Gesicht. Die Blonde nahm es auch nur wahr, weil sie gerade wieder sein Gesicht mit den blaugrünen Augen nachzog, jede Veränderung genau registrierte. Wenn sie ihn ansah, verglich sie ihn mit dem Jungen, der sich damals von ihr verabschiedete. Obwohl damals schon fast ein Mann, sah sie dennoch Kleinigkeiten, die nicht mit ihrem Bild übereinstimmten. Seine Züge hatten die letzte Weichheit verloren, würden, wenn er erst einmal wieder an Gewicht zugelegt hatte, kantiger sein, ein bisschen rauer vielleicht. Auch seine Stimme war nicht ganz die, die wie ein Geist durch ihre Erinnerungen streifte. Ebenfalls ein bisschen rauer, männlicher... ihr lief ein leichter Schauer über den Rücken, von dem sie nicht ganz wusste, wie sie ihn einordnen sollte.
Doch seine Worte ließen Talin den Gedanken fallen und sie einen Schritt vortreten, bevor sie wieder stehen blieb. Sie sah sich wieder in dem Raum um und machte eine weit ausholende Bewegung, als würde sie ihm das Schiff zeigen wollen, ließ den Arm aber wieder abrupt sinken.

Mehr oder weniger eins, ja...

Wenn sie an die Schäden dachte, wusste sie nicht wie lange sie noch eins haben würden...und dann verschwand auch dieser Gedanke und eine ungewollte, drückende, sogar irgendwie peinliche Stille trat ein, die ihre innere Unruhe nur noch verstärkte. Ihr Herz hämmerte gegen ihren Brustkorb. Ein, zwei, drei schnelle Schläge später, traute sie sich wieder ihn anzusehen, ihn noch einmal zu mustern. Gesicht mit Bart, verwundeter, abgemagerter Oberkörper. Und als hätte es nur noch dieses eine Mal ansehen gebraucht, platzte der angespannte Knoten in ihr auf und sie lief mit schnellen, eiligen Schritten auf das Bett zu. In weniger als einem Wimpernschlag war sie dort, kniete sich auf die Matratze und fiel ihm um den Hals.
Der erste Kontakt durchfuhr sie wie ein Blitz, ließ Talin die Berührung nur umso stärker wahrnehmen. Die vernarbte und doch warme Haut seines Rückens unter ihren Fingern, die knochigen Schultern, die sich durch den Stoff ihrer Bluse drängten, der kratzige Bart an ihrem Gesicht. Sein Geruch stieg ihr in die Nase, sauber, frisch und so ganz ihr großer Bruder. Wie von Zauberhand fiel der Sturm aus Unruhe, Peinlichkeit und Zögerlichkeit von ihr ab. Zurück blieb gar nichts, außer das reale Gefühl seines Körpers an ihrem.
Mit einem leisen, erleichtertem Seufzer, drückte sie ihr Gesicht an seinen Hals und hielt ihn einfach nur fest umarmt.
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#5
Wieder entlockte ihre Antwort ihm ein kleines Lächeln, weil sie seine eigenen Worte aufgriff. Doch dieses Mal war es nur ein Schatten des Lächelns von gerade eben. Denn die Nervosität, die innere Anspannung behielt ihn fest im Griff. Er folgte ihrer Geste nicht, löste den Blick nicht von ihren Zügen und wartete darauf, dass etwas passierte. Dass einer von ihnen plötzlich den Mut fand, etwas zu tun. Sie oder er. Das Warten wurde zur Qual, die sich wie eine eiserne Faust um sein schnell schlagendes Herz schloss. Ein schmerzhafter Druck in seiner Brust, der ihm das Atmen schwer machte.
Ein Schweigen bildete sich zwischen ihnen, denn er antwortete nicht mehr. Es fühlte sich nicht peinlich an, zumindest nicht für ihn. Also war es nicht wirklich das, wovor er sich gefürchtet hatte, sondern nur die unsichere Stille vor dem Moment, in dem man wusste, was man tun sollte. Bevor man nach vorn stolperte und die Zeit beschloss, ihren Fluss wieder aufzunehmen. Aber es wurde schwerer, drückender mit jedem Herzschlag, den es andauerte.
Talins Blick kehrte zu ihm zurück, wanderte ein zweites Mal über seinen Körper. Er ließ ihre Musterung schweigend über sich ergehen, wie gerade eben schon, während er jede Regung auf ihrem Gesicht beobachtete, jede Reaktion auf das, was sie sah. Ob sie ihn erkannte?

Und dann endlich passierte es. Die Blase platzte. Sie setzte sich in Bewegung... einen Herzschlag lang schwang ein Zögern darin mit, ehe sie plötzlich immer schneller näher kam. Lucien reagierte instinktiv. Wie er es immer tat, immer getan hatte, wenn seine kleine Schwester auf ihn zu gerannt kam, um sich von ihm auffangen zu lassen. Der Ausdruck in seinen Augen wurde wärmer, weicher und kurz bevor sie ihn schließlich erreichte, spannten sich die Muskeln in seinem Körper, um sie halten zu können.
Sie fiel ihm um den Hals und er zog sie an sich, ohne den Bruchteil einer Sekunde zu zögern. Der Druck auf seine Brust verschwand, wurde von ihrer Wärme ersetzt, die sich über ihn legte, sein Herz schneller schlagen ließ und die Zweifel vertrieb, die Erinnerung, die Schatten. Er lehnte das Gesicht in ihr Haar, atmete ihren vertrauten Duft ein und grub die Finger in ihre goldenen Locken. Als könnte er sie ihm nächsten Moment wieder verlieren, als könnte sie Einbildung sein, ein Trugschluss seines Verstandes.
Was auch immer er vor diesem Augenblick gedacht oder empfunden hatte – es existierte nicht mehr. Nichts auf dieser Welt spielte noch irgendeine Rolle. Alles was zählte war, dass er sie wieder hatte. Jetzt und hier.
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#6
Sie wusste nicht, wie lange sie ihn einfach nur so festgehalten hatte. Es fühlte sich an wie Sekunden, aber es konnten auch Stunden, Tage, Jahre vergangen sein. Jegliches Zeitgefühl hatte sie verloren, während sie Lucien umarmte.
Nachdem die Anspannung von ihr abgefallen und ein paar Augenblicke verstrichen waren, schlich sich ein von Herzen kommender Schluchzer über ihre Lippen. Kurz darauf waren die Tränen gefolgt, die langsam, aber unaufhaltsam auf Luciens Schulter getropft waren und seinen Hals befeuchteten, als sie ihr Gesicht an eben diesen drückte. Selbst wenn sie ihn hätte freigeben wollen, damit er ein wenig Abstand zur ihrer Tränenflut erhielt, sie hätte ihn nicht los lassen können. Ihre Arme waren krampfhaft um seinen mageren Körper geschlossen gewesen, weigerten sich ihn los zu lassen.

Inzwischen waren die Tränen versiegt und sie konnte sich langsam dazu zwingen, sich von ihm zu lösen, nur um ihn wieder anzusehen. Sie ließ ihren Blick wieder und wieder über ihn gleiten, während sie auf der Bettkante saß, ein Bein unter das andere angewinkelt, dass andere fest auf dem Boden. Sollte er es wollen, konnte sie jeder Zeit von ihm abrücken. Aber sie hoffte, er wollte es nicht. Weil sie den Kontakt noch nicht aufgeben wollte, griff sie nach seiner Hand und hielt sie fest, verschränkte ihre Finger mit den seinen. Von diesem Geflecht – seine Finger waren fast so dünn wie ihre eigenen – hob sie den Blick und sah ihm wieder ins Gesicht. „Du lebst! Ich habe immer gewusst, dass du noch lebst, aber du bist jetzt auch wirklich hier...“ Ihre Stimme versagte kurz und sie schluckte die wieder aufkommenden Tränen herunter. Drei lange Jahre und er war wirklich wieder bei ihr. Es gab so viel, was sie ihm sagen, was sie ihn fragen wollte. Was passiert war, was aus den anderen Männern, dem Schiff und ihrem Vater geworden war. Sie wollte ihm sagen, was sie erlebt hatte, wie sie von Kelekuna und schließlich zu diesem Schiff gekommen war. Aber nichts von all dem kam heraus. Nicht der kleinste Laut. Sie blickte einfach nur auf ihre in einander verschlungenen Hände, hielt ihn fest und strich mit dem Daumen immer wieder über seine Haut.
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#7
Als die ersten Tränen heiß auf seine bloße Haut tropften, zog er seine kleine Schwester nur fester an sich, löste unendlich vorsichtig die Hand aus ihrem Haar und streichelte ihr beruhigend in sich stetig wiederholenden Bewegungen über den Kopf. Talin weinte nicht oft. Schon als Kind nicht. Immer nur dann, wenn sie unter sich waren. Erst dann ließ sie ihn – und nur ihn – sehen, dass sie nicht ganz so unzerstörbar war, wie sie sich gern gab. Lucien hätte darüber gelächelt. Darüber, dass sie noch immer seine kleine Schwester war. Wenn in diesem Augenblick nicht so viel mehr gelegen hätte. Wenn er es nicht besser wüsste, hätte er tatsächlich gesagt, er wäre glücklich. Glücklich darüber, dass sie lebte, ihn gefunden hatte und frei war. Dass er frei war und dieser elendig lange Kampf ein Ende hatte. Glücklich für den Moment.
Ihm war gleich, wie lange es tatsächlich dauerte, bis Talin sich wieder bewegte. Seinetwegen hätte es auch die nächsten Stunden dauern können. Doch irgendwann löste sie sich und er ließ zu, dass sie ein wenig Abstand zwischen sie brachte. Gerade so viel, dass er ihr in das von ihren Tränen gerötete Gesicht sehen und ihren Blick auffangen konnte. Ihre Verletzlichkeit machte sie jünger, als sie war und das entlockte dem 21-Jährigen schlussendlich doch ein kleines, sanftes Lächeln. Ihre Hand suchte nach der seinen und er ließ zu, dass sie ihre Finger miteinander verschränkte, ohne den Blick von ihren Zügen zu lösen. Und auch wenn Talin schließlich nach unten sah, hinderte ihn das nicht daran, die freie Hand zu heben und sie sanft an ihre Wange zu legen. Mit dem Daumen wischte er ihr die feuchte Tränenspur von der Haut, wartete, bis sie über die Berührung hinweg den Kopf wieder hob. Dann lehnte er sacht die Stirn gegen ihre und schloss die Augen wieder.

Ich bin hier, ja.“ Als hätte sie dafür wirklich noch eine Bestätigung gebraucht. Doch vielleicht brauchte er sie. Um sich selbst davon zu überzeugen, dass es kein Traum war. Ein schöner, aber bösartiger Traum.
Das flüchtige Lächeln auf Luciens Lippen verblasste erneut. „Es tut mir Leid, Talin. So unendlich Leid. Ich habe es dir versprochen. Ich habe dir versprochen, dass ich dich holen komme. Aber ich konnte es nicht halten.

Er öffnete die Augen, blickte direkt in die ihren. Ein vertrautes Zusammenspiel aus blau und grün, das er bis auf den letzten Sprenkel kannte. Diese Art von Schuld, die er empfand, war schwer zu beschreiben. Er wusste, dass es nicht in seiner Macht gelegen hatte, etwas an seiner Lage zu ändern und doch... und doch hatte er seine Schwester im Stich gelassen. Er hatte die falsche Entscheidung getroffen. Ein Mal eine dumme, falsche Entscheidung. Für die er sich ihre Vergebung mehr als alles andere wünschte.
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#8
Ihr Blick verschwamm wieder, weil die Tränen zurück kamen. Wieder wollte sie vor Glück weinen, weil sie ihn gefunden hatte, er in Sicherheit war und endlich alles wieder gut werden würde. Talin wusste, dass ihre Gedankengänge dem 13 jährigen Mädchen glichen, das ihren großen Bruder und sein kindliches Versprechen hinterher hing. Aber eigentlich war sie dieses Mädchen schon lange nicht mehr...
Die Berührung an ihrer Wange ließ sie leicht zusammen zucken, weil es sie wieder in die Kajüte zurückbrachte. Nur ein paar Herzschläge später schmiegte sie – in blindem Vertrauen – ihre Wange an die raue Handfläche. Den Kopf allerdings hob sie erst wieder, nachdem sie erfolgreich die Tränen weg geblinzelt hatte. Fast hätte sie aber, als sie sein Lächeln sah, so blass und flüchtig es auch war, wieder geweint. Es war Jahre her, dass sie ihn hatte lächeln sehen. Und jetzt auf seinem abgemergeltem und geschundenem Gesicht, sah es nur wie ein Abklatsch seiner Selbst aus.
Er würde nicht sehen, wenn sie weinte, denn er hatte die Augen zu. Und er rührte sie nicht nur mit diesem Lächeln, sondern auch mit seinen Worten zu Tränen. Sie liefen einfach wieder über ihre Wange, fielen auf ihren Schoß, auf die Matratze unter ihnen. Talin konnte nicht anders, als ein kleines, halb amüsiertes Lachen auszustoßen. Da saßen sie nun, beide älter und sie fühlte sich immer noch wie Dreizehn, mit ihren Tränen und dem festen Glauben an dieses Versprechen. Und gleichzeitig entschuldigte er sich genau dafür.
Sanft löste sie ihre Hand aus seiner, hob beide Hände und legte sie um sein Gesicht. Raue, abgemergelte Haut, kratziger Bart. So war er nicht Lucien, und sie wollte auch nicht, dass er weiter so blieb, dagegen mussten sie einfach etwas tun.

„Dich trifft keine Schuld. Ich weiß, du wärst gekommen, wenn du gekonnt hättest. Du wärst so viel früher gekommen, aber du konntest es nicht. Es ist alles gut.“ Liebevoll strich sie über seine Wange.
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#9
Als hätte sich nichts verändert. In diesem Moment waren sie die selben Menschen, wie jene, die sie vor annähernd drei Jahren auf Kelekuna zurück gelassen hatten. Nur er und seine kleine Schwester gegen den Rest der ganzen Welt. Für immer aufeinander eingespielt, für immer füreinander da, für immer verbunden durch etwas, das über seinen Verstand weit hinaus ging. Wäre die Macht dieses Wiedersehens nicht, hätte es sich angefühlt, als wäre er nie fort gewesen. Und vielleicht lag es auch nur an der Gewalt dieses Gefühls, dass er das nun so empfand. Denn Lucien wusste tief im Inneren, dass es nur zum Teil stimmte. So gern er diesen Gedanken auch verleugnet hätte. So vehement er sich dagegen sträubte, es zu sehen. Die Gleichen waren sie nicht mehr. Doch gerade war es ihm egal. Glücklich für den Augenblick...
Und natürlich sah er, dass sie weinte. Als der Dunkelhaarige die Augen wieder öffnete, liefen ihr die Tränen erneut über die Wange, störten sich nicht an seiner Hand, die ihnen den Weg versperrte, sondern flossen einfach daran vorbei. Im gleichen Moment stieß sie ein leises Lachen aus, lenkte seinen Blick damit zurück zu ihren Augen, als sie die Hände hob und sein Gesicht umfasste. Tiefe, vertrauende Wärme breitete sich in ihm aus, brachte ihn zum Lächeln und die Erleichterung, die er über ihre Worte empfand, verdammte ihn für einige endlose Sekunden zu überwältigtem Schweigen, bevor er irgendwann seine Stimme wiederfand.

Wie hast du mich gefunden?

Damit nahm er die Vergebung, die sie ihm anbot, einfach an. Er widersprach nicht, weil er ihr sofort und bedingungslos glaubte. Weil er sie kannte und wusste, dass sie die Wahrheit sagte, dass sie ihm an alledem keine Schuld gab.
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#10
Ihre Tränen versiegten nur langsam, während ihr Blick auf ihre Hände gerichtet waren, die sein Gesicht umfassten. Unruhig wartete sie auf seine Antworte, wollte das er sein Schweigen brach, damit er ihr sagen konnte, ob er sie verstand. Als sie seine Worte schließlich hörte, entspannte Talin sich und lächelte ihn glücklich an. Er musste nicht überwältigend viele Worte finden, um die ihren anzunehmen. Sie wusste, dass Lucien sie verstanden hatte und es so hinnahm. Ein unglaubliches Glücksgefühl durchfuhr sie dabei, denn sie hatte Angst gehabt, er würde sich diese Schuld auf ewig geben, wo er doch gar nichts dafür konnte.
Wieder strich sie ihm über die Wange, bevor ihre Hand nach oben wanderte und sie ihm durchs Haar strich, während sie über seine Frage nachdachte.

Das ist schwieriger zu beantworten. In kurz, mit Hilfe von Freunden, durch Bestechung, Drohungen und haufenweise Glück.

Sie schmunzelte leicht, bevor sie ihn sich noch einmal genauer besah. Eigentlich hatte sie ihm auch gleich die längere Fassung erzählen wollen, aber als sie ihn sah, immer noch abgemergelt und mit dunklen Augenringen, konnte sie es nicht über sich bringen.

Du siehst immer noch tot müde aus. Ich erzähl dir später alles genau.

Ihr Blick fiel auf das große Bett, auf dem sie saßen und sie überlegte, ob es nicht einfach das Beste wäre, wenn sie sich gleich dazu legte. Sie war auch so unglaublich müde.


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