27.01.2022, 22:21
nachmittags
James, Greo & Lucien
15. Juni 1822 | an Deck der Sphinx | auf dem Weg nach Norden
Wieder das vertraute Schwanken des Schiffes unter den Füßen zu haben, war eine Wohltat für den jungen Captain, sodass sich seine Stimmung von Minute zu Minute besserte. Dennoch fühlte er sich nach wie vor ruhelos, behielt nach wie vor den Horizont im Blick, wann immer er nichts fand, um sich abzulenken. Er hatte sich also kurzerhand für ein Spiel entschlossen. In seiner Hand hielt er einen seiner Würfel, sorgsam geschnitzt aus glattem Rinderknochen, und drehte ihn unablässig zwischen den Fingern, rollte ihn beiläufig über seine Handinnenfläche, während die tiefgrünen Augen an einer der Hängematten unter Deck stoppten, in der eine noch unvertraute Gestalt lag. Lucien blieb stehen, hielt aber in seinem Spiel mit dem Würfel nicht inne, während er kurz überlegte und schließlich eine Entscheidung traf. „Hey, Landratte. James, richtig?“ Er wartete einen Moment, bis der angesprochene auf ihn aufmerksam wurde, dann fuhr er fort: „Lust auf ein Würfelspiel oben an Deck?“
James war nicht einmal ganze 24 Stunden an Board der Sphinx und eigentlich würde er gerne jetzt schon rufen: "Lasst mich bitte aussteigen." Aber Wettschulden waren nun einmal Ehrenschulden und somit hatte er keinerlei Möglichkeiten den Rückzug anzutreten. Ganz davon abgesehen dass man mit einem Schiff ja auch nicht mal eben rechts heranfuhr, um unwillige Crewmitglieder wieder abzugeben. Bliebe noch die Planke und da biss James dann doch lieber die Zähne zusammen. Gerade ruhte er seine Knochen in der Hängematte aus, nach den Schindereien des ersten Tages auch bitter notwendig. Lange konnte er da aber nicht vor sich hindösen, bis die Stimme des Captains erklang und sich James zumindest halb aus der Hängematte erhob, darum bmüht, nicht gleich mit dem Hintern auf dem Boden zu landen. "Aye, Captain." bestätigte er seinen Namen und nickte dann erneut, als er nach einem Würfelspiel gefragt wurde "Wenn es um so etwas geht, bin ich immer dabei. Gibt es einen Einsatz?" James stand aus der Hängematte auf und war froh, dass sein Gesicht von Lucien abgewandt war, denn sein schmerzverzerrtes Gesicht musste er nun nicht direkt sehen.
Wo war noch gleich dieses Dingenskirchens, dessen Name ihm einfach nicht einfallen wollte? Greo verharrte und richtete sich aus Reflex auf, wobei er mit der Stirn gegen einen Balken stieß. Auch das vergaß er immer wieder. Er war von seiner Statur her einfach nicht für diese schwimmende Nussschale gemacht. Immerhin: sie schwamm, das war schon gut genug und er würde sich bestimmt zügig wieder an den Bordalltag gewöhnen, der es nötig machte, dass er seine Arme, Beine und den Hals eben regelmäßig einzog.
Obwohl ihm nicht der rechte Begriff einfallen wollte, kam ihm zumindest noch die Erleuchtung, wo das Gesuchte sich befand. Er hatte es in einen Beutel in seine Hängematte gestopft. Eine einfältige Mimik befiel sein Gesicht und drückte ihm das Grübchen in die Wange, während er sich selbst innerlich für sein exorbitantes Erinnerungsvermögen beweihräucherte. Schon kraxelte er in das Deck hinab, wo sie schliefen und lief an James sowie Lucien vorbei.
Oh. Ein Kapitän. Reflexartig salutierte er, oder zumindest machte er eine ähnliche Gestik und konnte nicht umhin den Neuling anzusehen. Ob dem jetzt kotzübel war, hier auf See? Wenn er sich auf ein, wie Greo das sehen konnte, Glücksspiel einließ, schien es nicht allzu schlimm um ihn zu stehen. Sein Magen in Gottes Ehren. „Leere Wasserfässer schrubben, kein Mensch macht das gerne.“, schlug er halbherzig ungefragt vor, obgleich ihm klar war, dass es hier um etwas anders ging.
James' Bewegungen wirkten ein wenig ungelenk, als er sich aus seiner Hängematte quälte. Und auch, wenn Lucien in diesem Moment sein Gesicht nicht sah, konnte er sich denken, woran es wohl lag. Ein kleines Schmunzeln huschte über seine Lippen, spöttisch zwar, aber gutmütig. Es würde sich geben, früher oder später.
„Noch nicht“, erwiderte er auf die Frage des Anderen, nur um die tiefgrünen Augen kurz darauf auf eine Gestalt zu richten, die sich in das Gespräch einmischte. Den Hünen im dämmrigen Zwielicht unter Deck zu erkennen, fiel Lucien allerdings nicht schwer. Wahrscheinlich war er auch der einzige an Bord dieses Schiffes, der beim Anblick eines Captains salutierte – oder so ähnlich. Sein Schmunzeln vertiefte sich amüsiert. „Ich werte das als den Wunsch, sich uns anzuschließen, Greo.“ Er nickte bedeutungsvoll in Richtung des Aufgangs, aus der der Ältere gerade gekommen war. „Wie wär's? Wenn sich unser Neuer ein bisschen pfiffig anstellt, kann er vielleicht ein paar lästige Arbeiten an dich abtreten und seine müden Knochen ausruhen.“ Er warf James noch einen Blick von der Seite zu. „Du kannst natürlich auch um Gold spielen, wenn du welches hast. Ich bin sicher, Greo und ich würden Verwendung dafür finden“, schlug er gut gelaunt vor.
James war zwar einem Glücksspiel nie abgeneigt (man sollte meinen, er würde aus Fehlern lernen), aber Luciens Angebot beziehungsweise Vorschlag eines möglichen Einsatzes weckte dann doch sein Interesse deutlich mehr, als von die von Greo in Spiel gebrachte Wasserfässer. "Aye, und wenn ich verliere dann werde ich wohl um ein paar Achter leichter heraus gehen." stimmte James zu. Für ihn stand jetzt jedenfalls deutlich mehr auf dem Spiel als nur ein paar Münzen, denn davon hatte er einige. Wenn er aber seinen geschundenen Körper ein paar Tage ausruhen konnte, oder wenigstens einige Aufgaben nicht machen musste, dann wäre das für die nächste Zeit genug Gewinn für ihn. "Also, wo spielen wir? An Deck oder bei dir?" an Deck würden sie sicherlich hin und wieder noch Zuschauer anlocken. Wenigstens bestand beim Würfeln wenig Gefahr dass sie Lucien irgendwie helfen konnten.
Er hob ein bisschen die Brauen an, sodass sich feine Linien auf seiner Stirn abzeichneten und seine Mundwinkel zuckten ein wenig. Arbeit abgeben? Im Leben nicht. Da verlor er ja lieber freiwillig. Zum Teufel. Er guckte den Neuling leicht süffisant an und reckte das Kinn zum Kapitän. „Gut. Ich würd‘ sagen Deck.“, warf er ein, denn die Aussicht auf ein bisschen Wind um die Nase gefiel ihm.
Seine Lippen verzogen sich zu einem Schmunzeln. Halb amüsiert, halb spöttisch. „Klingt, als hätten wir einen Einsatz.“ Ihm war grundsätzlich alles davon recht. Er hatte weder ein Problem damit, Münzen zu verlieren, noch damit, mehr Arbeit aufgehalst zu bekommen – genauso wenig störte ihn, das Gegenteil von beidem zu gewinnen. Er steckte seine Würfel wieder in die Tasche an seinem Gürtel und nickte auf Greos Vorschlag hin in Richtung des Aufgangs zum Hauptdeck. „An Deck“, erwiderte er bestimmt und setzte sich unmittelbar darauf in Bewegung. „Irgendeinen Wunsch, was gespielt werden soll?“, fragte er an beide Männer gewandt über die Schulter und setzte bereits den Fuß auf die unterste Stufe der Treppe, die nach oben führte.
Während Greo und Lucien beschwingt ihre Beine in Richtung Treppe schwangen, atmete James nochmal tief durch bevor er seine müden Knochen dazu antrieb, den beiden zu folgen. Dass sein Muskelkater ihm bis in das wohlgeformte Hinterteil zog, war ziemlich unangenehm und würde vermutlich auch nicht besser werden, wenn er gleich die Stufen nach oben kraxeln musste. Aber wenigstens würde ihn keiner der beiden dabei beobachten können. "Mir egal ob wir würfeln oder pokern. Wobei es beim Pokern ja doch etwas mehr mit "können" zutun hat, als würfeln. Also, was wollen wir beweisen? Wer mehr glück hat oder mehr können?"
Beim Aufstieg musste er wieder den Kopf ducken – noch ein Grund mehr, sich lieber am freien Deck aufzuhalten, wo er sich nicht ständig irgendwelche Beulen in den Schädel rammte. Die Stufen knarzten. „Mir gleich.“, meinte Greo, „Kann beides gezinkt sein.“ Er lächelte leise in sich rein. Nicht, dass er wirklich betrogen hätte. Nicht hier.
Lucien gab ein leises Schnauben von sich, halb amüsiert, halb sarkastisch. „Nicht doch. Als ob wir hier mit gezinkten Karten spielen. Dafür ist ein jeder von uns viel zu ehrlich.“ So nett seine Worte auch gemeint waren, bezweifelte der junge Captain jedoch, dass es James überzeugen würde. Oder irgendjemanden. Stellte sich nur noch die Frage, ob die Landratte ein Problem mit Betrug hatte, oder nicht. Wie sah wohl die Welt aus, in der er bis dahin Zuhause gewesen war? Angesichts seiner Aufmachung sicherlich eine reiche, aber auch eine behütete? Nun ja, früher oder später würde er es schon erfahren – und selbst wenn nicht...
Mit einem tiefen Durchatmen trat Lucien an Deck des Schiffes und steuerte zielsicher ein paar Kisten in der Nähe des größeren Beiboots an, die sich für eine kleine Spielrunde bestens eigneten. „Ich wäre für Würfel. Hab Lust, mein Glück herauszufordern“, entschied er schließlich, ohne sich zu den beiden umzudrehen. Stattdessen machte er sich daran, eine kleinere Kiste aus dem Knäul an Fracht zu befreien und sie mittig auf einem freien Stück Deck zu positionieren.