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Gesichter der Vergangenheit
Crewmitglied der Sphinx
für Gold gesucht
dabei seit Nov 2016
#1
Gesichter der Vergangenheit
bespielt von    Enrique de Guzmán
16.09.1806
First Post

"Before the night shut down she was seen with sails idly flapping as she gently rolled on the undulating swell of the sea.
'As idle as a painted ship upon a painted ocean.'"

'The Dailygraph'; Bram Stokers Dracula


Ein schwarzer Haarschopf flog den Kai entlang, der Zopf hatte sich gelöst, das Haarband hatte der Sturm fortgerissen. Wenn sein Vater mitbekäme, dass der Junge bei diesem Wetter, so früh und ohne ein Wort zu sagen das Haus verlassen hatte würde er Ärger bekommen. Aber der Junge hatte sie gesehen, wie sie versucht hatte kreuzend noch vor dem Sturm und der Nacht in den Hafen zu kommen, vom Rot der untergehenden Sonne beschienen, als stünden ihre Segel genau wie die Wolken in Flammen.
Dann hatte die Flaute eingesetzt und die Segel sanft gegen die Masten schlagen lassen, im selben Rhythmus wie die See trügerisch ruhig unter ihrem Rumpf hindurchrollte.
Der Kapitän war klug genug gewesen seine Mannschaft im letzten Licht aufentern und jedes bisschen Stoff bis auf die Sturmsegel einholen zu lassen und sich für die relative Sicherheit der hohen See zu entscheiden als die ersten Windböen das baldige Losbrechen des Sturmes ankündigte und war mit ihr gen Horizont in die Dunkelheit verschwunden.
Enrique hatte die ganze Nacht wachgelegen und dem Wüten der Naturkräften gelauscht. Es war kein Hurakan gewesen aber heftige Gewitter und Hagel hatten den nichtsdestotrotz heftigen Sturm begleitet. Irgendwann hatte er es im Bett nicht mehr ausgehalten, das Fenster geöffnet und versucht im kurzen Aufreißen der Dunkelheit das Schiff zu finden. Ein paar Mal war er sich nicht sicher gewesen, denn es mochte ebenso wahrscheinlich Einbildung gewesen sein.
Dann, mit dem aufkommen des Tages, hatte der Sturm langsam angefangen nachzulassen und noch bevor er soweit abgeflaut war, dass das Schiff den Sturmhafen Esteros überhaupt anlaufen konnte, hatte Enrique sich etwas übergeworfen, war ohne sich Zeit für Schuhe zu nehmen und über mögliche Konsequenzen nachzudenken losgerannt, denn vom Anwesen auf den Klippen bis zum Hafen war es ein weiter Weg und er musste wissen, ob sie es geschafft hatte.
Dort wo die Straße zu den Klippen aufschloss und kurze Zeit später zum Strand und dem unteren Teil der Stadt abbog hatte er inne gehalten sich an der Mauer abgestützt und den Horizont abgesucht.

Da war sie!

Noch immer von starken Böen und hohen Wellen gebeutelt hatte sich das mitgenommene Schiff wieder zur Küste orientiert und lief, in der Hoffnung, dass das nur ein Vorläufer war und die Herbststürme noch auf sich warten ließen, auf den Hafen zu.
Und sie hatte Glück.

***

Auch an Bord des Schiffes hatte man diese Nacht kein Auge zugetan. Immer wieder waren die Wogen über dem Schiff zusammengebrochen und hatten alles mit sich gerissen, was nicht ordentlich festgemacht gewesen war. Die Lenzpumpe hatte nicht stillgestanden und sie hatten das Steuer voll besetzen müssen und es dennoch kaum unter Kontrolle halten können. Laufendes Gut war ihnen aus den Händen gerissen worden, zwei Wanten gebrochen und schließlich hatte sich das Sturmsegel am Hauptmast losgerissen und war flatternd von einigen Seilen gehalten herabgestürtzt und auf das Deck gekracht.
Doch in anbetracht dessen, was sie überstanden hatten waren diese Schäden gering: Ebensogut hätte es sie einen Mast kosten oder die Brecher hätten den Bug unter Wasser drücken und nicht wieder hochkommen lassen können.

Während sie sich auf dem Weg zu ihrem Liegeplatz befanden, stand Kapitän O'Mahony selbst am Steuer und ließ sich berichten. Soweit er bis jetzt wusste hatten sie auch noch in einem anderen Punkt großes Glück gehabt und Niemanden an die See verloren. Aber Verletzte hatte es gegeben und so sehr er sich auch bemüht hatte den Überblick zu behalten, so wenig war es ihm in den Details gelungen.

Nebenbei wanderte sein Blick über die bereits im Hafen vor Anker oder an der Kaimauer festgemacht liegenden Schiffe und die Anlagen.
Auch hier hatte es Schäden gegeben, doch die waren wenige und meistens leicht zu reparieren. Wiedereinmal verwünschte er die schlechten Winde, die diese Fahrt so verlangsamt hatten. Bereits vor zwei Wochen hätte die Seepferdchen hier festmachen und kurz darauf wieder in Richtung Heimathafen auslaufen sollen.
de Guzmán war sicher nicht über die Verspätung begeistert aber immerhin waren die Güter, die die Seepferdchen für diesen Händler übernommen hatte keine verderblichen Waren. Trotzdem würde sich das auf die Verhandlungen über eventuelle neue Fracht und einen potentiellen Beitritt in die Handelsgesellschaft auswirken.
Nun ja, falls es zu schlimm war musste er mit der Zurechtweisung seiner Oberen leben, konnte sich aber wegen neuer Fracht immer noch an die Kontore der Gesellschaft wenden.

***

Jetzt lief das Schiff, in Begleitung eines Lotsenbotes, für den Jungen quälend langsam in den Hafen ein. Wo würde sie festmachen? Wie hieß sie? Wie sah wohl der Kapitän aus? Ging es der Besatzung gut?
Als er dann den Namen Seepferdchen hörte und schließlich auch lesen konnte machte sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht breit. Da war sie also, das Schiff, auf dass seinen Vater wartete und das zu jener Handelsgesellschaft gehörte, von der Jorge in letzter Zeit so häufig gesprochen hatte. Wie sehr hatte er dieser Begegnung entgegengefiebert!
Immer wieder erklomm Enrique Laternen, sturmgesicherte Kisten oder Fässer um besser sehen zu können, erntete mitunter erboste Rufe oder Mahnungen von den Wenigen, die trotz Wetter und früher Stunde schon den Hafen bevölkerten. Denn auf den Landungsstegen und dem Kai sammelten sich bereits die ersten Schaulustigen und Helfer.
Unter letzteren befand sich auch Enrique, der, trotz seiner Jugend und entgegen den Anweisungen seines Vaters, wie sich ein Junge seines Standes verhalten sollte, unter jenen war, die die Leinen fingen, als die Besatzung der Seepferdchen sie herüber warfen. Sollte jemand darauf achten, erweckte er dabei eher den Eindruck, ein Junge der Eingeborenen habe sich Kleider eines reichen Händlers angeeignet und arbeitete nun unbemerkt Barfuß und mit wild wehendem Haar unter Seeleuten und Beamten, als den eines Sohnes eines angesehenen, ehrbaren Kaufmannes.
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Cornelis Feuerbart
Crewmitglied der Sphinx
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#2
Die Nacht war vorbei. Er hatte sie mit einer jungen hübschen Dirne erfüllend verbracht, die dafür gerne sein Gold genommen hatte. Doch nun ging er mit ausladenden Schritten zielgerichtet durch die Straßen der Stadt. Diese waren noch fast menschenleer, denn die Sonne war noch nicht über den Horizont gestiegen. Doch er war im Begriff heimzukehren. Sein Ziel, den Hafen, hatte er bald erreicht und dort lag sie, die Seepferdchen. Er schritt den Landungssteg hinauf. Der Posten erkannte ihn sofort und hieß ihn herzlich willkommen an Bord. Gerade, als er unter beiden Füßen das beruhigende Schaukeln der Planken verspürte, stieg die Sonne über den Horizont und färbte seinen Bart in dem bekannten Feuerrot ein. Er lächelte glücklich - ja, hier war er zu Hause. Er war wie die Möwen, die hier im Hafen ihr Schiff umkreisten. Er brauchte die Freiheit des Meeres, mußte es riechen und schmecken können, mußte bei schwerer See die Gischt auf seiner Haut fühlen. Das war sein Leben, dieses Leben aus Freiheit, Gefahr und Abenteuer. Wäre er auf dem Hof seines Vaters geblieben wäre er eingegangen wie eine Möwe in einem Käfig. Er verharrte einen Moment in seinem Glück, wieder an Bord zu sein. Dann führte ihn sein erster Weg zur Kapitänskajüte, um sich bei Kapitän O´Mahony zurück zu melden. Er, Cornelis, gerade einmal 23 Jahre alt, war im Begriff der zweite Mann auf der Seepferdchen zu werden.

*****

Nur wenige Tage nach seiner Rückkehr stachen sie in See. Nun brach seine erste Fahrt als Steuermann der Seepferdchen an und sie würde sie nach Estero führen. Das Wetter war gut und die Winde standen ebenfalls günstig für sie. So kamen sie gut voran - zumindest zu Anfang. Doch dieses sollte sich bald ändern, denn nach einiger Zeit schien der Wind gegen sie zu arbeiten. Einmal waren sie einer Flaute nahe, so daß sie jeden Fetzen setzen mußten, um überhaupt noch etwas Fahrt zu machen, dann wieder blies der Wind genau von vorn, so daß sie vor dem Wind kreuzen mußten und ihre Wege dadurch deutlich länger wurden. Doch endlich, endlich kam Estero in Sicht. Durch das Fernglas konnte Cornelis bereits die Häuser von Estero Stadt erkennen, als sich die schwarze Wolkenwand bedrohlich vor ihnen aufbaute. Der Wind ließ wieder nach, es traf sie die berüchtigte Ruhe vor dem Sturm, und so schafften sie es nicht mehr in den Hafen, bevor das Unwetter losbrach. Auf dem Schiff war es totenstill, die Männer sprachen kein Wort miteinander und nur die wenigen Befehle störten die angespannte Ruhe. Dann traf der Sturm wie eine eiserne Faust die Seepferdchen. Die Wogen türmten sich haushoch auf und warfen das Schiff von einer Seite zur anderen. Verspannungen rissen, bewegliches Gut und Ladung rutschten unkontrolliert über die Decks und verursachten die ersten Verletzungen. Hagelkörner hämmerten auf die Männer ein, doch erschienen sie ihnen nur wie Nadelstiche im Vergleich zu den Gewalten, die in dieser Nacht auf sie einbrachen. Eines der Sturmsegel riß sich von der unteren Verspannung los und flatterte nun wie eine Fahne im Sturmwind. In den kurzen Augenblicken, in denen die Blitze die Nacht erhellten, wurde das Chaos an Bord der Seepferdchen erschreckend grell in Szene gesetzt. Als dann die ersten Wanten am Hauptmast brachen, ächzte dieser bedrohlich und es war abzusehen, daß sie den Mast verlieren würden, wenn sie nichts unternähmen. So erkletterten die Männer in einer halsbrecherischen Aktion den Mast und banden weitere Taue an diesem fest. Cornelis schrie von Deck mit seiner tiefen lauten Stimme gegen das Tosen des Sturmes an und fing die Taue auf. Er legte all seine Kraft in das Vertäuen der provisorischen Wanten. Als er gerade dabei war, das letzte Tau zu befestigen, hörte er ein Reißen und Krachen und wußte, daß irgendetwas Großes fiel. Doch er sah nicht auf, er durfte in diesem Moment `sein´ Schiff nicht im Stich lassen. Er hatte gerade den Knoten beendet, als nasses und dadurch schweres Segeltuch auf ihn herunterfiel und ihn zu Boden riß. Dann spürte er noch einen harten Schlag als das Stag des Sturmsegels seinen Kopf traf. Danach war Ruhe, die Welt um ihn her, der wütende Sturm verschwanden in der Dunkelheit.

*****

Nein, Kapitän O´Mahony hatte noch keinen endgültigen Überblick über die Ausfälle in seiner Mannschaft. Doch eine Tatsache stand ihm klar vor Augen und traf ihn wie der Sturm die Seepferdchen in der vergangenen Nacht: Der augenscheinlich endgültige Ausfall seines jungen Steuermannes Cornelis van der Meer, der ihm, seit er mit zwölf Jahren als Schiffsjunge bei seiner Mannschaft angeheuert hatte, zu einer Art Ziehsohn geworden war, schmerzte ihn im Herzen und er kam nicht umhin einige Male schlucken zu müssen, als er nun sah, wie dieser von zwei seiner Seeleute über den Landungssteg an Land gebracht wurde. Der Verband zeigte am Hinterkopf bereits wieder kleine Blutflecken, während er an der vorderen Seite um die Augen geschlungen war. Cornelis war ungehalten zu seinen beiden Kameraden und wand sich in ihrem führenden Griff. Er wußte durchaus, daß sie ihm nur helfen wollte, doch wollte er in seiner Verzweiflung ihre Hilfe und ihr Mitleid nicht. So wischte er mit einer unwirschen Bewegung ihre Hände von seinen Schultern und seinen Armen, kaum daß sie festen Boden erreicht hatten. Mit den Händen nach vorne fühlend tastete er sich voran um zu einer Kiste oder einem Faß zu kommen, worauf er sich setzen konnte. Dabei konnte er jedoch nicht die kleine Kiste erahnen, die vor ihm auf dem Boden stand und über die er stolperte, was zu einem weiteren Sturz führte. Zwar fing er den Aufprall ab, doch explodierte in seinem ohnehin schon angeschlagenen Kopf der Schmerz erneut, so daß er die Hände an die Seiten des Kopfes riß, stöhnend liegenblieb und die wieder aufkommende Übelkeit bekämpfte. Seine beiden Kameraden warfen ihm schmerzvolle Blicke zu, kannten ihn jedoch gut genug um zu wissen, daß sie seinen großen Stolz verletzen würden, wären sie ihm direkt zu Hilfe gesprungen. So blieben die beiden Seeleute zwar in der Nähe für den Fall, daß er nicht mehr alleine hochkommen sollte, griffen vorerst jedoch nicht ein.

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Crewmitglied der Sphinx
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#3
Noch während sie die Seepferdchen festmachten bockte sie unter den heftigen Böen und der kabbeligen See hier im Hafenbecken. Hart stieß sie gegen die Kaimauer und Viele verzogen schmerzhaft das Gesicht. Derweil wurde auch das letzte bisschen Stoff eingeholt, dann alles wieder belegt und gesammelt, was an Schaden entstanden war.
Ein guter Teil der Fracht an Deck war über Bord gegangen, ein paar Fässer und Kisten unter Deck zerschlagenen, es gab mehrere undichte Stellen, die Meisten davon jetzt über der Wasserlinie, um den Rest kümmerte man sich, Ware war durch den Wassereinbruch zum Glück kaum beschädigt, lediglich fast sämtliche Vorräte würden ersetzt werden müssen.
Verletzungen gab es viele, aber keine so schlimm wie beim Steuermann. Da kein Arzt an Bord war hatten sie nur das Nötigste für ihn tun können.
Und sie hatten einen Matrosen an die See verloren. Otiz Crane hatte beim Befestigen der Seile den halt verloren.
O'Mahony sah Cornelis nach und beschloss ihm wenn dann erst später davon zu berichten. Der sollte sich erstmal darauf konzentrieren gesund zu werden. Zumindest soweit das ging. Wenn er dann von sich aus fragen würde, dann...
Und dennoch: Trotz all den Schäden und Verlusten waren sie gut davongekommen. Weder waren sie gesunken, noch hatten sie einen Großteil der Mannschaft verloren oder trieben hilflos mit einem Wrack auf offener See.
Sie hatten den sicheren Hafen erreicht.

***

Eine Gangway wurde ausgebracht und befestigt und Enrique, befreit von seiner Helfertätigkeit, hielt es nicht mehr aus. Er musste an Bord, mit dem Kapitän reden, sie beglückwünschen, sie...
Also stratzte er los, schlüpfte durch die Versammelten und schickte sich an die Planke zu betreten, da wurde er grob bei Seite geschoben.

"Aus dem Weg! Siehst du nicht, dass wir Arbeiten?!?"

"Doch Sir, aber—"

"Dann sieh zu, dass du Land gewinnst! Das hier ist kein Platz zum Spielen."

"Aber Sir—", versuchte er es erneut, doch der Mann wandte sich wieder Richtung Schiff und brüllte Anweisungen.
Enrique presste die Lippen aufeinander und überlegte, wie er ihn überzeugen könnte oder trotzdem an Bord gelänge als eine Mann mit rotem Bart und Kopfverband nach vorne gebracht wurde.
Sie hatten die Binden so gewickelt, dass dieser nichts sah. Und auch sonst schien es ihm nicht gut zu gehen: Er schwankte, war blass und Blut sickerte durch den Mull.
Kaum berührten seine Füße den Kai machte er sich dennoch los und wankte auf eine vom Sturm heruntergeschleuderte Kiste zu.
Promt war der Junge ohne nachzudenken auch schon wieder in Bewegung und rief: "¡Ojo!". Er kam damit den Begleitern zuvor, als diese die Gefahr erkannten und wussten, sie würden einen Moment zu lange brauchen.
Der Zehnjährige eilte zu dem Mann, packte ihn am Gürtel, just als dieser gegen die Kiste stieß und konnte gerade so verhindern, dass der Seemann mit dem Schädel gegen eine Kante schlug.
Dafür sorgen, dass der Rotbart nicht zu Boden ging konnte er nicht, ebenso musste er ihn loslassen, um sich selbst an den Kisten abzufangen, bevor er sich verletzte.
Dann sah er zu den Matrosen hinüber. Sie rührten sich immer noch nicht. Empört schnauzte er sie an:

"Was steht ihr patanes da so rum? Wollt ihr eurem Freund nicht helfen?"

In diesem Moment hasste er seine Alter. Seine Knabenstimme war viel zu hoch, als das sie Eindruck schinden würde und wäre er jetzt erwachsen, dann würde diesen Tölpeln aber was blühen!
Mit einem fragenden "Sir? Kann ich helfen?" ging er stattdessen neben Cornelis in die Hocke, berührte ihn vorsichtig an der Schulter und wartete auf Antwort.
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Cornelis Feuerbart
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#4
Die beiden hatten den Blick zurück zur Seepferdchen gerichtet und sich angeregt über den Sturm unterhalten gehabt, als Cornelis auf die Kiste zuwankte. Erst durch den Ausruf des Jungen wurden sie auf die Situation aufmerksam, konnten jedoch nicht mehr eingreifen. Als das Unglück geschehen war und Enrique sie wegen ihrer Untätigkeit anfauchte, schüttelte einer der beiden nur den Kopf und sagte gedämpft: "Du kennst van der Meer nicht, Junge." Doch keiner der beiden verübelte ihm, daß er nicht verstehen konnte, daß es Cornelis mehr verletzt als geholfen hätte, wenn sie ihm direkt wieder aufgeholfen und ihm damit seine neue Hilflosigkeit deutlich gemacht hätten.

Cornelis selbst brauchte eine ganze Weile, bis er wieder so weit war, daß der explodierte Schmerz in seinem Kopf zu einem dumpfen Pochen zurückgegangen und die Übelkeit erfolgreich bekämpft war. Mühsam richtete er sich in eine sitzende Position auf. Dieser Sturz steigerte seine Verzweiflung noch. Nie wieder würde er die Planken eines Schiffes betreten, so frei und stark sein können wie in der Freiheit der endlosen See. Er war ein Krüppel und würde hier an Land verdorren, bis er schließlich sterben würde. Die Binde verhinderte, daß irgendjemand die stummen Tränen sah, die sich seinen Augen entwandten, doch die hart aufeinander gepressten Lippen waren Zeugen seiner verzweifelten Lage. Kapitän O´Mahony hatte ihm klugerweise alle Waffen abnehmen lassen einschließlich seines scharfen Messers. Er kannte Cornelis gut genug um zu wissen, daß die Seefahrerei sein Leben war und er durchaus im Stande sein würde, seinem Leben ein Ende zu setzen, sähe er keine Möglichkeit mehr, dieses Leben weiterführen zu können. Auf Dauer würde er dies natürlich nicht verhindern können, doch er mußte verhindern, daß sich Cornelis in der ersten Verzweiflung bereits etwas antun würde.

Mit einem Male spürte Cornelis durch seine Gedanken die Anwesenheit eines anderen direkt bei ihm. Seine erste Reaktion war eine abwehrende Haltung einzunehmen in der Annahme, daß es sich um einen seiner Kameraden handeln würde. Doch dann drang eine unbekannte Stimme an sein Ohr, als Enrique ihn zum wiederholten Male fragte, ob er ihm helfen könne. Die Stimme war hoch, die einer Frau? Doch nein, sie klang anders, jünger - ein Knabe? Unwillkürlich hob er eine Hand in die Richtung der Stimme, um sein Gegenüber zu berühren, ein recht unbeholfener Versuch sein fehlendes Augenlicht zu ersetzen.

"Wer bist du?"

Seine sonst so kräftige und tiefe Stimme klang schwach und brüchig. Doch auf eine unerklärliche Weise beruhigte die Anwesenheit des Knaben sein aufgewühltes Gemüt. Es war etwas anderes als immer das unterdrückte Mitleid seiner Schiffskameraden zu spüren.

"Kannst du mich zu einem Arzt bringen? Meine Wunde muß noch genäht werden."

Die beiden Seemänner verfolgten mit verwunderten Blicken die Wandlung van der Meers, sahen es jedoch auch gerne, daß er sich ein wenig beruhigte, und so ließen sie den Jungen gewähren. Einer der Männer nahm Enrique kurz zur Seite, als dieser sich bereit erklärt hatte, Cornelis zu einem Arzt zu bringen und sagte leise zu ihm: "Sieh zu, daß van der Meer im Moment nicht an ein Messer oder andere Waffen kommt. Das ist ein Befehl von Kapitän O´Mahony, verstanden?" Dann entließ er diesen aus seinem kräftigen Griff und ging mit seinem Kameraden an die Arbeit auf der Seepferdchen.

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Crewmitglied der Sphinx
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#5
"Ich Brauche ihn nicht zu kennen, um zu sehen, dass er Hilfe braucht!", knurrte er mit geballten Fäusten leise zu sich selber und prägte sich die Beiden aus dem Augenwinkel ein. Das würde er dem Capitán der Seepferdchen melden. Wie hieß der nochmal? Egal, das war jetzt nicht wichtig

Viel wichtiger war, zu schauen, wie gut der Fremde den Sturz überstanden hatte.
Der hielt sich den Schädel und bewegte sich hin und her. Er musste furchtbare Schmerzen haben. Die roten Stellen im Verband auf dem Hinterkopf waren größer geworden und reflexhaft schickten die Hände sich an sich darauf zu pressen.

"Nicht Sir! Damit würden sie sich nur wieder weh tun."

Vorsichtig nahm Enrique Cornelis Hände da weg, erst vergeblich, den der bewegte sie immer wieder dahin zurück, dann, als der Schmerz wohl nachließ, wanderten sie nur noch fahrig und ziellos hin und her.
Mitbekommen schien der Rotschopf das nicht, jedenfalls reagierte er nicht auf die Worte oder wandte sich dem Jungen zu, auch merkte er nicht, dass der dunkelhäutige Knabe ihm beim Aufsetzen half und dann eine Weile schweigend musterte ehe er die Frage wiederholte:

"Sir? Kann ich helfen?"

Enrique hatte nicht mitgezählt, wie oft er versucht hatte, zu dem Verletzen durchzudringen, doch es waren viele gewesen, immer ohne Reaktion, bis dieser plötzlich zusammenfuhr und ihn grob anvisierte.
Ob dieses im ersten Moment überraschende Verhalten hielt auch der Junge inne.

"Sir?"

Cornelis tastete schließlich mit der Hand nach ihm. Enrique zog den Kopf zurück, drehte aber die Schulter vor. Die Finger landeten auf seinem Oberarm.
"Wer bist du?"
"Ich heiße Enrique, aber wenn sie wollen können sie mich auch Quique nennen. Das tuen sowieso fast alle. Nur meine Ma nicht. Für sie bin ich Asier. Das ist mein zweiter Vorname. Und meine Schwester—"

Er unterbrach seinen Redefluss, als er sich dessen gewahr wurde. Jetzt gab es wichtigeres!

"Können sie aufstehen Sir?", erkundigte er sich gleichzeitig mit Cornelis zweiter Frage und fühlte das Blut in seinen Kopf schießen, den er zwischen die Schultern zog. Warum hatte er nicht sofort daran gedacht? Dann straffte er sich wieder und überlegte fieberhaft, wo der nächste Mediziner zu finden war und wie sie am schnellsten zu ihm kämen doch alles was ihm einfiel waren zwei Krankenhäuser und dass ihr Arzt normalerweise zu ihnen kam. Wo der wohnte wollte ihm partout nicht in den Sinn kommen.

"Zu einem Arzt? Ich bringe sie besser zu mir und lasse unseren Hausarzt rufen. Sonst kenne ich nur zwei Hospitale und von denen halten meine Eltern nicht viel. Ist das in Ordnung Sir?"

Vorsichtig löste er van der Meers Hand und legte sie auf eine Kiste direkt neben ihnen.

"Hier, ziehen sie sich hoch! Ich helfe ihnen."

Doch dazu kam er zunächst nicht. Verwundert lauschte er der Anweisung des Matrosen.
Keine Messer? Warum sollte er eines wollen? Und warum verbietet der Capitán ihm das?
Das war eindeutig noch etwas, worüber er sich mit O'Mahony unterhalten wollte. Oder mit seiner Schwester. Und wenn die es nicht wusste würde er Nahia fragen. Laut sagte er:

"Verstanden Sir", fühlte den Druck auf seiner Schulter und stellte fest, dass der Mann gehen wollte.
"Sir!?", fügte er mit einem aufgebrachten Unterton an, "Sagen sie el Capitán, wir essen pünktlich um Acht! Mein Vater wird sehr ungehalten sein, wenn er sich weiter verspäten sollte."

Dann wandte er sich wütend um und trat direkt neben Cornelis, bereit ihm jederzeit zu helfen.

"Wenn sie bereit sind Sir stützen sie sich einfach auf meine Schulter!"

Auch wenn er versuchte seinen Unmut zu verbergen mochte Cornelis, so er aufmerksam genug war, Enriques Anspannung und den Rest gereizten Unterton mitbekommen, denn das arrogante Verhalten von vorhin regte ihn immer noch maßlos auf. Was fiel ihnen ein, einen ihrer Kameraden einfach so im Stich zu lassen? Und was glaubte dieser Matrose eigentlich, wen er da vor sich hätte?!?
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Cornelis Feuerbart
Crewmitglied der Sphinx
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#6
Cornelis´ Hand stieß auf einen dünnen Arm, der in Stoff gehüllt war. Jedoch verriet ihm sein Tastsinn sofort, daß dies nicht der raue Stoff eines einfachen Leinenhemdes war. Er vernahm die Vorstellung des Jungen und runzelte zweifelnd die Stirn, was unter dem Verband kaum zu sehen war, als er dessen Spitznamen hörte. Vielleicht lag es einfach nur daran, daß er aus einem anderen Teil dieser Welt stammte, daß sich dieser in seinen Ohren merkwürdig anhörte.

"Zu den Hafenarbeitern gehörst du auch nicht, wie es scheint. Gut, Enrique, dann lass uns aufbrechen. Wenn es das Einfachste ist, zu dir nach Hause zu gehen und dort einen Arzt rufen zu lassen, so sollten wir dies tun."

Er fühlte das Holz einer Kiste unter seiner Hand, als der Junge diese darauf legte, und stemmte sich langsam und mühevoll hoch. Selbst diese kleine Bewegung bereitete ihm wieder Kopfschmerzen und er atmete schwer wie nach einer großen Anstrengung, als er stand. Und doch war er zufrieden, dies allein geschafft zu haben.
Seine Vermutung, daß Enrique nicht aus einer einfachen Familie stammte, wurde noch bestätigt als er hörte, wie dieser seinen Schiffskameraden wegen des Zeitpunktes zum Essen anranzte. Als Enrique dann zu ihm zurückgekehrt war, fragte er nach:

"Also, wer bist du? Wer ist dein Vater, daß er Kapitän O´Mahony zum Essen bitten läßt?"

Cornelis streckte die Hand in Richtung von Enriques Stimme aus, konnte aber natürlich nicht sehen, wo er auskam. Als der Junge ihm die Hand zu seiner Schulter geführt hatte, spürte dieser keinerlei Druck auf sich liegen. Cornelis benutzte ihn offensichtlich nur als Ersatz seines momentan fehlenden Sehsinnes. Und in diesem Moment blitzte das erste Mal der große Stolz von Cornelis vor Enriques Wahrnehmung auf, denn so schwer dem Mann das Gehen in seiner Verfassung auch fiel, er weigerte sich schlichtweg, den Jungen als Stütze zu nutzen. Er war ein Mann, er war stark - er wollte es einfach alleine schaffen.

"Mein Name ist Cornelis, Cornelis van der Meer. Was ist der Grund, daß du so gereizt bist?"

Nachdem sie die ersten Schritte gegangen waren, wurde Enrique schnell klar, daß es mit dem vorsichtig-tastend gehendem Cornelis eine Ewigkeit dauern würde, bis sie zu Fuß ankommen würden.

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Crewmitglied der Sphinx
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#7
Ein Hafenarbeiter?! Aufgebracht schnappte Enrique nach Luft. Dann fiel ihm wieder ein, dass sein Gegenüber nichts sehen konnte. Mühsam konzentrierte er sich darauf sich zu entspannen.
Immerhin gab ihm der Fremde recht und erklärte sich bereit ihm zu folgen.

Aber da Cornelis damit beschäftigt war, sich hochzustemmen und der Junge kurz darauf von den Matrosen bei Seite genommen wurde, bekam dieser die Reaktion höchstens am Rande mit.

Auf die Kameraden des Rothaarigen achtete Enrique, nachdem er sich von ihnen abgewandt hatte, gar nicht mehr. Sollten sie doch zu ihm kommen wenn sie nicht wussten, wer er war oder von wem er sprach. Viel wahrscheinlicher schien ihm sowieso, dass es ihnen völlig egal war und sie dem Capitán nichts sagen würden.
¡Idiotas!
Außerdem würden sie dann ein Problem bekommen. Denn Enrique würde den Besuch zu Hause Ankündigen und Jorge würde ihm bestimmt recht geben, niemanden schicken und sauer sein, wenn die Worte seines Sohnes nicht beachtet wurden! Ganz bestimmt!

Zu ihm zurückgekehrt sah der Junge den Rotbart irritiert an.
Ich habe mich doch gerade vorgestellt?
Noch immer hatte er an den Gefühlen zu knabbern, die in ihm aufwallten und das Verlangen weckten es diesen aufgeblasenen estupidos heimzuzahlen. Am liebsten hätte er sich mit ihnen geprügelt. Und hätte er gerade nichts mit Cornelis zu tun gehabt, dann wäre er wenigstens gerannt, hätte geschrien oder auf irgendeine andere Art sich abreagiert. Aber genau das wollte er derzeit nicht, sondern den Erwachsenen beweisen, dass er sich erwachsener Benehmen konnte als sie, indem er sich einem verletzten Gast gegenüber anständig verhielt. Zu aufgewühlt antwortet er deswegen zunächst nicht auf Cornelis Fragen sondern legte die Hand des Hühnen wortlos auf seine Schulter.
Nach einer kleinen Weile viel ihm ein, dass er antworten musste, wenn er nicht unhöflich sein wollte und fing an. Zunächst waren seine Worte noch recht ruhig, Freude flackerte kurz auf, denn bis jetzt mochte er Cornelis, dann aber sprudelte es nur so aus ihm heraus und je mehr er davon sprach um so schneller folgte ein Wort dem anderen, um so mehr brach sich erst seine Wut dann seine Enttäuschung wieder Bahn und um so aufgeregter wurde Enriques Körpersprache, bis er sich ohne es zu merken losriss, auf und ab stapfte und wild gestikulierend über das Geschehene ausließ:

"Ich bin Don Jorges Sohn und Vater hält hier alles am laufen. Außerdem erwartet er ihn schon länger. Wie sollten sie denn auch sonst über Geschäfte reden?
"Erfreut sie kennen zu lernen Sir!
"Ich— Ich finde es einfach ungerecht! Vater sagt immer, wenn du dich wie ein Erwachsener verhältst, dann werden dich die anderen auch wie einen behandeln. Aber das stimmt nicht! Es ist völlig egal, was ich mache, wenn Vater nicht dabei ist behandelt mich jeder wie ein kleines Kind. Da sind alle gleich! Und dabei habe ich mich so beeilt, um den Capitán zu beglückwünschen. Um so mehr, als ich erfahren habe, dass es die Seepferdchen ist.
"Statt dessen darf ich mir anhören: Das ist kein Ort zum Spielen, zieh Leine! Es Interessiert sie nicht mal, was ich dazu zu sagen habe. Sie hören mir ja nicht mal zu!
"Dabei habe ich mir solche Sorgen gemacht als ihr es Gestern nicht in den Hafen geschafft habt. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Ich war so froh als ich die Seepferdchen heute Morgen wieder sah. Und dann hört mir dieser Schiffstrottel nicht mal zu!"


Enriques Stimme klang halb erstickt und wahrscheinlich wunderte sich der Rothaarige, ob dem Jungen gerade tatsächlich Tränen in den Augen standen.

"Und nett zu euch waren sie auch nicht. Sie haben euch einfach liegen gelassen und irgendwas behauptet, dass ich euch nicht kenne würde. Aber was hat das damit zu tun?! Ihr seid schwer verletzt und gestürzt und sie haben sich nicht mal bemüht! Wenn das meine Freunde wären und sie sich so verhalten würden, wären sie das die längste Zeit gewesen! Oder wenn ihr sie unbedingt als Freunde behalten wollt, dann sagt ihnen, dass sie sich wenigstens entschuldigen sollen! Das ist das mindeste, findet ihr nicht?"

Bei dieser Frage trat er vor Cornelis, sah zu ihm auf und senkte dann den Blick.

"Wenn ich ihnen das sage, werden sie es bestimmt nicht tun...", endete er kleinlaut.

Von seinen Gefühlen überwältigt bebte der Junge am ganzen Körper. Wie sollte er van der Meer helfen, wenn er die Matrosen nicht einmal dazu bekäme sich zu entschuldigen? Und was würde sein Vater dazu sagen? Oder seine Mutter? Nahia wäre sicher nicht begeistert, wenn er Cornelis die ganze Zeit laufen ließe. Ganz davon ab, dass sie wahrscheinlich nicht vor übermorgen zu Hause ankämen. Und wirklich erwachsen war diese Szene auch nicht, geschweige denn, dass er es geschafft hätte die Kontrolle zu behalten. Dabei hatte er sich so viel Mühe geben. Von seinem Vater hätte er sich jetzt, zumindest verbal, eine gefangen. Würde van der Meer auch so reagieren?
Er musste sich was einfallen lassen! Nur schämte er sich derzeit viel zu sehr, als dass er sich darauf hätte konzentrieren können.

Auch deswegen wusste Cornelis zwar, dass der Junge vor ihm stand aber nicht genau wo oder wie weit entfernt.
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Cornelis Feuerbart
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#8
Cornelis folgte Enrique, wohin ihn dieser führte.

"Ich freue mich auch, dich kennen zu lernen, Enrique."

Dann folgte er schweigend den Ausführungen des Jungen und als dieser sich in seiner Erregung schließlich losriss blieb er einfach stehen. `Don Jorge?´ Er überlegte, ob er diesen Namen schon einmal gehört hatte. Er wußte zwar, daß Don das gleiche bedeutete wie Herr, doch der Name sagte ihm nichts, da O´Mahony mit ihm stets nur über Herrn Guzmán geredet hatte.

"Leider hilft mir der Name nicht weiter. Wir sind hier mit Herrn Guzmán verabredet."

Auch den Rest hörte er sich schweigend an, aber als Enrique auf seine beiden Schiffskameraden zu sprechen kam, die ihm nicht zu Hilfe gekommen waren, mußte er schmunzeln. Verständlicherweise regte sich der Junge über solch unkameradschaftliches Verhalten auf und er beschloß, dieses Rätsel für Enrique aufzulösen.

"Ach, das hat dich so in Aufregung versetzt. Sie meinten, daß du meinen Stolz nicht kennst, Enrique. Ich hätte es ihnen übel genommen, wenn sie mir direkt zu Hilfe gesprungen wären wie einem Krüppel, der nichts selbst hinbekommt. Und kein Seemann tritt seinem Steuermann gerne auf die Füße, wie du dir sicher vorstellen kannst."

Er nahm an, daß Enrique ihn nun erstaunt ansehen würde, weil er noch ein junger Mann war, deshalb setzte er hinzu.

"Ja, ich bin der Steuermann der Seepferdchen. Es war meine erste Fahrt in dieser Position... und wohl auch meine letzte."

Bei den letzten Worten war Bitternis in seiner Stimme. Seine Gesichtszüge verhärteten sich und er konnte nicht anders, als langsam weiterzugehen. Vorsichtig tastete er mit den Füßen vorwärts und stieß kurz mit der Fußspitze an ein weiteres Hindernis. Er stieß einen deftigen Seemannsfluch aus und knurrte leise:

"Ich bin kein Krüppel und ich werde auch keiner sein."



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#9
Die Erwähnung des Namens de Guzmán kam zwar an, ging aber zunächst im Gefühlschaos unter. Deswegen kam auch kein 'de Guzmán! Aber von dem rede ich doch' wie es normalerweise der Fall gewesen wäre.
Und auch zu realisieren, dass die freundliche Erklärung, in dem Sinne, dass er in Cornelis Augen keinen Fehler gemacht zu haben schien, alles war, was vom Rothaarigen kommen würde, brauchte einen Moment.
Das Fluchen ließ ihn zusammenzucken und brachte ihn zurück in die Realität. Instinktiv machte der Junge einen Schritt nach vorne, griff nach einer der Hände, die der Steuermann ausgleichend bewegte als er gegen den hervorstehenden Kopfstein stieß, um ihn zu stützen und legte sie wieder auf seine Schulter.

"Verzeihung Sir! Ich- ich werde mi- *hick* mich mehr zusammenreißen. Ist nur ein Stein Sir. Einfach den Fuß etwas anheben!"

Auch dass noch! Enrique wäre am liebsten im Erdboden versunken. Krampfhaft versuchte er den Schluckauf zu verhindern.

"Sie... Sie wollten gar nicht, dass sie ihn *hick* helfen?"

Verwundert sah er zum Steuermann auf. Gut, dass die Männer ihn nicht verärgern wollten konnte er nachvollziehen. Aber dann gab es etwas anderes, was er klären musste:

"Aber warum sind sie dann nicht sauer auf mich? Ich habe ihnen doch auch geholfen. Das *hick* verstehe ich nicht", sprudelte es aus ihm heraus und stieß gleich wieder eine Kette von Gedankensprüngen an, "oder zumindest ni- *hick* -cht wo da der Unterschied ist. Und sie sind Steuermann? Ist das aufregend? Was macht man da so? *hick* Ich wusste gar nicht, dass auch Handelsschiffe einen haben. Machen sie das gleiche, wie die Steuermänner der Marine? Was- *hick* Was halten sie von der Marine. Und von Piraten? Sind sie schon mal welchen begegnet? Das war bestimmt au- *hick* "

Er unterbrach sich, was ihm ob seiner inzwischen auch deutlich hörbaren Begeisterung schwer viel. Bis jetzt hatte er im Hafen fast nur mit normaler Besatzung gesprochen und nicht mit einem Offizier, wobei er sich nicht ganz sicher war, ob das in der Handelsmarine auch so hieß, nur dem alten Ben, der behauptete erster Leutnant gewesen zu sein, und der war sooo alt, dass der Junge sich einfach nicht vorstellen konnte, dass der wirklich als junger Mann zur See gefahren war, hatte er stundenlang zugehört. Hier hatte er endlich jemanden vor sich, der ihm all seine Fragen beantworten könnte. Ob der Ben kannte? Immerhin war er älter als Enrique. Fast wäre ihm diese Frage dann doch wieder herausgerutscht, dabei musst er sich um anderes kümmern!

"Verzeihung Sir, ich habe nicht nachgedacht. Das wichtigste ist jetzt erstmal, sie *hick* zu mir zu bringen und dann Mister Carstairs zu verständigen, damit er sich ihre Verletzung ansieht. Wissen sie eigentlich, dass es da, wo Vater herkommt, üblich ist jeden mit Vornamen anzusprechen? *hick* Wenn man respektvoll sein will setzt man Don davor. Wenn sie Vater also einen Gefallen tun wollen sagen sie Don Jorge zu ihm und nicht Herr de Guzmán oder gar nur Herr *hick* Guzmán, letzteres mag er nämlich überhaupt nicht. Ma mag es aber nicht, wenn sie sie Donna oder Madame oder Mrs de Guzmán nennen. Nahia reicht ihr völlig und de Guzmán heißt sie auch nicht. Die *hick* meisten Leute sehen das hier aber so, nur die nicht, die wie Vater von Masita oder-"

Wieder unterbrach er sich, eingedenkend dessen, dass seine Erzieherin ihm immer wieder predigte, dass es unhöflich sei, seinen Gesprächspartner nicht zu Wort kommen zu lassen.

"Tut mir leid, ich... Ist- *hick* Ist es in Ordnung, wenn ich sie erstmal zu der Kiste rechts von uns bringe und dann schaue ob ich eine Kutsche finde, damit sie uns nach Hause bringt?"
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Cornelis Feuerbart
Crewmitglied der Sphinx
für Gold gesucht
dabei seit Keine Angabe
#10
Cornelis ließ sich von Enrique wieder die Hand auf die Schulter legen, ja war sogar ein wenig dankbar dafür, was er mit einem kurzen Druck seiner Hand verdeutlichen wollte. Er hörte sich den erneuten Redeschwall des Jungen aufmerksam an, änderte jedoch die Reihenfolge, in der er darauf reagierte. "Du bist also Herrn G... Don Jorges", verbesserte er sich, "Sohn. Dann war es ja ein wahrer Glückstreffer, daß wir uns am Hafen begegnet sind. Zu deinem Vater hätte ich sowieso noch gemußt." Da er sich selbst erst einmal über die Antwort auf die erste Frage des Jungen klar werden mußte, sagte er zunächst: "Ja, bring mich zu der Kiste." Und auf dem Weg dorthin meinte er: "Als Steuermann bin ich hauptsächlich für die Navigation zuständig. Ich habe vor dieser Fahrt meine Kapitänsausbildung abgeschlossen, aber laß uns das Gespräch lieber später bei dir fortsetzen." Er mußte über den Schluckauf des Knaben schmunzeln. Er setzte sich auf die Kiste, als Enrique ihm die Hände zu dieser geführt hatte und ein kurzes Schweigen setzte ein. "Warum ich dir nicht böse war - ja das ist eine gute Frage. Irgendwie war deine Hilfe... anders." Es fiel ihm schwer, das Gefühl in Worte zu fassen. "Ich will nicht sagen, daß sie `ehrlicher´ war, das war die meiner Mannschaftskameraden auch. Aber bei dir spürte ich nicht dieses unterdrückte Mitleid wie bei ihnen, die mich noch kannten als ich noch nicht..." Er schaffte es einfach nicht, es auszusprechen, weshalb er hier aprupt endete und nach der Innentasche seines Rockes griff. Er zog seine Börse hervor. "Ich gebe dir etwas Geld mit, damit du den Kutscher bezahlen kannst."

"Hier lang Sir!"
Der Weg zur Kiste war nicht weit, was bei dem herben Dämpfer den Cornelis Enrique mit dem Verschieben des Gespräches verpasste gut war, so hielten die kurzen Erwiderungen den Jungen bei der Stange.
"Verstehen sie jetzt, hick warum mich das so aufregt, dass sie mich nicht an Bord gelassen haben? Ich-
"Wir sind da, Sir."
Enrique legte Cornelis Hand auf die Kiste und wollte schon loslaufen, als Cornelis wieder anfing. Verwirrt lauschte er und versuchte zu entschlüsseln, warum der Mann bei der Beantwortung der Frage so häufig stockte. 'Mitleid? *hick*', dachte er verwundert. Und was meinte er mit '...als ich noch nicht...' War er denn vorher anders gewesen?
Noch bevor er weiter überlegen konnte schickte sich Cornelis an ihm Geld in die Hand drücken zu wollen und sofort schoß die Wut wieder hoch. ER war Don Jorges Sohn!
Und nach dem Desaster mit den Leuten vom Schiff war das einfach zu viel. Er MUSSTE sich Cornelis (eigentlich vielmehr sich selbst, aber so weit reichte seine Einscht noch nicht) beweisen. Also schossen die Worte unüberlegt nur so aus ihm heraus:
"ICH BRAUCHE IHR VERDAMMTES GELD NICHT!!!"
Dann rannte er los. Erst nach ein paar Augenblicken setzte das Denken wieder ein und ließen ihm erneut die Wangen brennen und Tränen über die Wangen laufen.
Warum gelang es ihm nicht ein einziges Mal sich zu beherrschen und das zu tun, was man von ihm erwartete?

***

Es dauerte eine ganze Weile, bis Enrique zurückkehrte. Vom Schiff aus beobachtete O'Mahony seinen einsam dasitzenden Zögling und fragte sich, was vorgefallen war.
Die Beiden, die ihn zu einem Arzt hätten bringen sollen waren wieder bei der Arbeit, Aber ein Arzt nirgends in Sicht.
"HALLOWELL! ZU MIR!", brüllte er dem Näheren der beiden zu und wartete, bis jener bei ihm war. "Was hat das zu bedeuten?!"
mit herrischer Geste deutete er auf van der Meer und sah den Matrosen finster an.

***

Kurz darauf kehrte Enrique mit dem Ergbniss seiner Mühen zurück. Kaum bog er um die Ecke, als er auch schon rief:
"TUT MIR LEID SIR, ES HAT ETWAS GEDAUERT EINE TRANSPORTMÖGLICHKEIT ZU FINDEN!"
Dann erst sah er zur Kiste und Cornelis hinuber. Neben den patschenden Schritten seiner nackten Füße auf dem Kopfsteinpflaster begleitete den Jungen ein seltsames rumpeln und poltern...

Cornelis saß nun auf der Kiste und wollte Enrique das Geld für eine Kutsche mitgeben, als dieser ihn völlig unerwartet anbrüllte. Die lauten Worte ließen das dumpfe Pochen in seinem Kopf wieder zu einem harten Klopfen werden, weshalb er keine Erwiderung gab, sondern sich sein Gesicht schmerzvoll verzog und er die freie Hand an die Schläfe legte. Eine Weile nachdem der Junge weggerannt und wieder Ruhe eingekehrt war, milderten sich seine Kopfschmerzen zu eben jenem dumpfen Pochen ab, das er die ganze Zeit über verspürt hatte. Nun wunderte er sich über diese heftige Reaktion Enriques und verstand sie auch nicht. Schließlich hätte der Knabe ohne ihn keine Kutsche benötigt, also war es in seinen Augen nur selbstverständlich, daß er diese auch bezahlen würde. Als er so dasaß und wartete, fiel ihm zum ersten Male auf, wie überlaut alle Geräusche ihm nun vorkamen. Sachen, die er zuvor nie bemerkt hätte drangen nun ganz deutlich durch sein Ohr in sein Gehirn vor. Dazu kam das leicht benebelte Gefühl, als wäre sein Kopf mit Watte gefüllt, das das Fassen eines klaren Gedanken noch schwierig machte. Schon von weitem hörte er ein ungewöhnliches Poltern näherkommen. Erst war es noch recht leise wurde aber stetig lauter und ein zweites Geräusch, ein Patschen?, gesellte sich dem Rumpeln hinzu.
Enrique war bestimmt noch ein gutes Stück von ihm weg, als er Cornelis anrief, doch kam es ihm vor, als hätte er ihm direkt ins Ohr gebrüllt. Er legte seinen angeschlagenen Kopf erneut in seine beiden Hände nieder und sagte recht leise: "Brüll doch bitte nicht immer so. Mein Kopf fühlt sich eh schon an, als hätte jemand ihn mit einem Schmiedehammer malträtiert." Dann hob er den Kopf wieder an und sah in die Richtung, aus der er Enriques patschende Füße wahrgenommen hatte. "Was hast du mitgebracht? Ich habe keine Pferde gehört."

Hallowell eilte zu seinem Vorgesetzten und späte auf den Kai und wußte zunächst nicht, was er sagen sollte."Na da war dieser Junge der ihm geholfen hat und Van der meer hat ihn zu unserer Überraschung auch gelassen."
Dann suchte er den Hafen ab, den er einsehen konnte, doch zunächst war der Junge nicht zu finden.
"Keine Ahnung Sir, jetzt ist er weg...
"Vielleicht ist er nur kurz weg. Soll ich jemanden schicken?"
O'Mahony beschloss noch einen Moment zu warten, denn immerhin sah es nicht so aus, als hätte Cornelis gerade größere Problem.
"Wenn er bei zwei Glasen nicht wieder da ist, dann gehen sie und kümmern sich um unseren Steuermann", antwortete er desshalb und erhielt von Hallowell das gewünschte "Aye Sir!".
***
'Ting-Ting!', klang es von der Seepferdchen herüber, als das Poltern den Pier entlang tönte. Der Junge wußte es zwar nicht, aber er war gerade noch rechtzeitig zurück. Hallowell stand an der Reling und schüttelte den Kopf. irgendwie wollte ihm nicht ganz einleuchten, was der Knabe mit einem Bollerwagen vorhatte.
***
Enrique bremste ab. Sein Anhängdel bockte, vom heftigen Wind aus der Bahn geworfen, und erwischte ihn leicht an der Ferse, doch das tat seiner guten Laune keinen abbruch, die unverständliche Äußerung und die Geste Cornelis aber waren dann doch ein Dämpfer.
Er hatte etwas falsch gemacht. Aber was? War es seine Lösung des Problems? Doch nein, die konnte es nicht sein, wie sich durch die Frage des Rothaarigen zeigte. Was aber dann?
Wie zur Untermahlung fegte ein kurzer Regenschauer über den Hafen.
Enrique atmete tief durch und beschloss, dass er kein Trübsahl verbreiten wollte, also schob die Frage bei Seite. Er hatte eine Lösung gefunden, bei der sie schneller voran kamen UND der Verletzte sich ausruhen konnte. Das war doch schon mal was!
"Einen Bollerwagen!", strahlte er freudig. "Kutschen fahren bei dem Sturm nicht, die Pferde mögen das nicht und ich habe auch keine Arbeitswagen mit Kaltblütern gesehen. Nur einen Esel vor einem Karren, aber den wollte mir der Mann nicht leihen. Da hat mich der Karren auf die Idee mit dem Bollerwagen gebracht.
"Dann dachte ich, ich hätte einen stehen sehen, aber dem war nicht so. Also mußte ich etwas suchen und dann fiel mir auf, dass das ohne Decke bestimmt unbequem wäre. Aber die habe ich schnell ausleihen können. Bei Barbara, die kennt mich und weiß, dass ich mein Wort halte. Das war zwar ein kleiner Umweg, aber da mußte ich nicht diskutieren.
"Und dann bin ich so schnell ich konnte zurückgekommen.
Ich hoffe, das ist euch recht, in einem Bollerwagen zu sitzen?"
Sein Ton war aufgeregt und etwas beklommen zugleich. Was wenn sich der Mann dagegen ausspräche..?

Nun mußte Cornelis doch schmunzeln bei der aufgeregten Ausführung der Vorgänge der vergangenen Zeit mit dem stolzen Unterton in der Stimme. Der Junge war nicht dumm, das mußte der Steuermann zugeben. Sollte er ihm ein Lob dafür aussprechen? Oder würde es zu einem erneuten Ausbruch seitens Enrique führen? Doch sein Gefühl sagte ihm, daß er dem Knaben seinen Respekt für seine Leistung aussprechen sollte. "Du bist nicht dumm, das muß ich dir schon mal sagen. Es ist bewundernswert, daß du nicht aufgegeben hast, als die geplante Lösung nicht umzusetzen war. Deshalb habe ich auch kein Problem damit, in dem Bollerwagen zu sitzen." `Ich hoffe nur, ich bin dir nicht zu schwer.´ , setzte er in Gedanken noch hinzu, sprach es jedoch nicht aus da er ja nun wußte, wie empfindlich Enrique zu dieser Zeit auf Zweifel und Kritik reagierte. Nun, der Junge würde noch lernen müssen, mit solchem umzugehen, doch Cornelis war sich ziemlich sicher, daß er das auch schaffen würde. So streckte er nun die Hand aus. "Komm, bringe mich zu deinem Wagen." Er erhob sich schon einmal.
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