05.02.2023, 13:32
So many places we've never been
Abend des 30. Juni 1822
Shanaya Árashi & Skadi Nordskov
Mit leichtfüßigen Schritten tänzelte Shanaya beinahe durch die Straßen von Ostya. Ihre Gedanken waren so schwer und gleichzeitig leicht wie eine Feder – je nachdem, wie sehr sie sich damit beschäftigte. Sie verarbeitete die drei Begegnungen, die sie an diesem Tag gemacht hatte, dachte über die eine mehr nach als über die Andere. Die mit Liam war es, die ihr jedoch nicht aus dem Kopf gehen wollte. Wie zäher Teer hatte sich so vieles daran an ihren Verstand geheftet, ließ sich nicht abschütteln. Und immer wieder kreisten ihr die selben Gedanken durch den Kopf. Er machte sie glücklich. So sehr die Schwarzhaarige auch versuchte, diese Tatsache herunter zu schlucken, es funktionierte nicht. Allein schon, weil sie genau wusste, wieso ihre Laune an diesem Morgen so gut gewesen war. Dafür gab es einen Grund – und mit diesem musste sie sich auseinander setzen. Ob er sie glücklich machte oder nicht… auch wenn ihr die Antwort darauf bereits viel zu klar war.
Ihr Weg führte sie ganz von allein in eine Taverne am Rande der Stadt, bewusst an einer anderen vorbei. Schon in der Nähe des Gebäudes drangen ihr laute Stimmen, Musik und verschiedene Gerüche entgegen. Aber genau das war es, was sie jetzt brauchte. Nicht einmal unbedingt Alkohol in rauen Massen… aber Menschen um sie herum, zwischen denen sie ihre Gedanken Gedanken sein lassen konnte. Nichts davon würde sich verdrängen und vollkommen ignorieren lassen… aber vielleicht konnte sie es so noch ein wenig hinaus zögern. Also betrat die Schwarzhaarige die Spelunke, atmete den vertrauten Geruch ein, der ihr entgegen schlug. Niemand schien sich um sie zu kümmern, sie sah zumindest keinen Blick, der direkt auf ihr ruhte. Mit ebenso leichten Schritten trat die Schwarzhaarige also weiter in den Schankraum hinein, ließ den Blick dabei nur halbherzig schweifen, ohne große Hoffnung, ein bekanntes Gesicht zu entdecken.
Geräuschvoll rutschte der Krug über den feuchten Tresen auf sie zu. Tuschierte dabei den dicken Tonhenkel ihres Nachbarn und kam dann, glänzend und überschwappendem Inhalt knapp vor der Kante zum Stehen. Skadi rollte kurz mit den Augen. Schenkte dem Wirt ein Kopfschütteln und Lachen und setzte bereits die Lippen an den Rand. Ihr war nicht nach Sinn stiftender Unterhaltung an diesem Abend. Wenngleich ihre Begleitungen gerade ausgiebig über irgendein Schriftstück diskutierten, das die Jägerin weder gestern noch morgen, noch in ferner Zukunft in die Finger bekam. Lesen und literarische Bildung - das überlies sie im Allgemeinen lieber Liam.
"Weniger reden, mehr trinken.", raunte sie in die kurze Redepause und schlug ihren Krug einladend gegen den ihres Sitznachbarn. Grinste und versprühte den üblichen Charme einer angetrunkenen Abenteurerin.
"Deinen wie vielten Rum trinkst du schon Skadi Liebes?" Auf die Frage der Rothaarigen antwortete die Nordskov nur mit einem Achselzucken und erneutem Schluck aus ihrem Krug. Erntete daraufhin ein tiefes Seufzen und Kopfschütteln. Schenkte der Runde ihr breitestes Grinsen, dass erst mit steigendem Pegel wirklich echt auf ihren Zügen haften blieb.
"Wo ist eigentlich dein Freund heute?" Schon wieder antwortete die Jägerin mit einem Zucken ihrer Schulter. Stellte den Krug beiseite und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. "Er tut was er eben tut. Ich muss nicht alles wissen." Wieso Menschen derlei Dinge interessierten hatte sich seit jeher ihrem Verständnis entzogen.
Den großen Schankraum fast durchquert, wollte Shanaya gerade einen der wenigen, freien Tische ansteuern. Sie wollte nur die Atmosphäre genießen, etwas zu trinken hätte sie sich später organisieren können. Aber gerade, als sie die besagte Richtung einschlug, erkannte sie doch ein bekanntes Gesicht – und zu ihrer Freude eines, dem sie inzwischen ganz gern begegnete. Noch einmal huschten die blauen Augen durch den schummrig beleuchteten Raum, ehe sie sich mit einem kurzen Zucken der Schultern in Bewegung setzte, direkt auf Skadi am Tresen zu. Sie war in ein Gespräch mit Fremden vertieft, die die Schwarzhaarige vorerst jedoch nicht wirklich beachtete. Sie musterte sie kurz, kam dann bei der Dunkelhaarigen zum Stehen und griff ohne Zurückhaltung nach dem Krug der anderen Frau. Sie lächelte Skadi an, setzte eine charmante Miene auf. „Du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich mir den eben ausleihe.“
Rauer Ton zog sich von ihren Fingerspitzen und hinterließ eine angenehme Kälte. Genau dort, wo der Rum ihre Fingerkuppen benetzte und zu kleben begann. Skadis Kopf wandte sich herum. Realisierte mit verengten Augen recht langsam, dass das gebrüllte "Hey!" an Shanaya und keine Fremde gerichtet war. "Ausleihen, weil die nächste Runde auf dich geht?" Zweifellos. Es wäre reichlich unlogisch sich den Rum auszuleihen. Rückgabe von Mund zu Mund funktionierte semi gut und war ein geschmackliches Fiasko. Mit ihrem Ellenbogen stieß sich sanft gegen Shanayas Rippen. Lachte halb und schenkte den anderen aus der Runde ihre Aufmerksamkeit. "Wenn ihr so unbedingt mit ihm trinken und fachsimpeln wollt, dann kommt zum Schiff."
Skadis Reaktion entlockte Shanaya ein amüsiertes Schmunzeln, mit dem sie die andere Frau bedachte. Auch, dass ihr Gegenüber die Stimme gehoben hatte, störte sich nicht groß. Immerhin schien sie erst jetzt zu verstehen, dass sie den Dieb ihres Kruges kannte. Die nächsten Worte der Dunkelhaarigen ließen Shanaya auflachen, ehe sie ein gespielt bekümmertes Gesicht machte und unschlüssig mit einer Schulter zuckte, ehe sie sich einen Schluck aus dem Krug gönnte. „Ich weiß nicht… ich bin zur Zeit ziemlich knapp bei Kasse… Nicht, dass deine Freunde mir die letzten Münzen weg saufen.“ Gut, ersteres war eine Lüge… aber sie war einfach nicht der Mensch, der sein Geld irgendwelchen Fremden in den Rachen warf. Auch ihre Vorräte waren nicht unendlich. Skadi knuffte sie, Shanaya fragte sich still, wie viel die andere Frau schon getrunken hatte und lächelte ihr dabei aber sachte entgegen. „Versuchst du irgendwen für die Crew zu gewinnen?“ Prüfend huschten die blauen Augen zu den fremden Gesichtern zurück.
Shanaya war vielleicht einiges, das ihr niemand auf die Nase binden musste. Doch unter dem skeptischen Blick der Nordskov, die gespielt tadelnd die Augen verdrehte und lauthals mit der Zunge schnalze, gehört eine Eigenschaft an diesem Abend ganz sicher nicht zu ihr: arm. Eher gehörte die Navigatorin zur Spezies Horter, deren Verstecke weitaus zahlreicher waren, als Menschen wie Skadi mit Ideenreichtum aufwarten konnten. “Deshalb säufst du mir also lieber meine weg?“ Ein breites Schmunzeln ruhte auf ihren Zügen, während sich ihre Finger daran machten, den Krug aus den Fängen der Jüngeren zurück zu angeln. “Nöp… aber ich frag mich allerdings, ob hier nicht geradewegs versucht wird ein Mitglied abzuwerben.“ Kaum klebte der Krug bereits wieder an ihren Lippen, huschte ihr Blick knapp und eindringlich zu der Rothaarigen zurück, deren abruptes Räuspern fast einem Schuldeingeständnis gleich kam.
Skadi glaubte ihren Worten nicht wirklich, zumindest ließen ihre Reaktionen darauf schließen. Und dabei entsprachen sie der Wahrheit – immerhin hatte sie eine Menge Geld auf einmal ausgegeben. Das war es wert gewesen, aber diese Lücke musste erst einmal wieder geschlossen werden. Mit dem Geld aus anderer Leute Beutel natürlich. Sie lachte nur ruhig auf die Reaktion der Dunkelhaarigen hin. „Ich musste jemand Besonderem ein großes Geschenk machen, das hat mich genug Gold gekostet. Du könntest ruhig ein wenig Nachsicht mit einer durstigen Navigatorin haben!“ Gut, so schlimm war es noch nicht, aber… ein wenig Dramatik schadete ja nie. Trotzdem ließ die junge Frau zu, dass ihr der Krug wieder aus der Hand genommen wurde, hob dann bei Skadis Worten eine Augenbraue, die ihrem ganzen Gesicht einen skeptischen Zug verlieh. Kurz huschte ihr Blick zu der fremden Frau, die sich nach diesen Worten nur räusperte, weiter jedoch nichts sagte. „Da sollten wir vielleicht Liam vorher noch fragen, was er davon halten würde. Meinst du nicht?“ Und mit einem vielsagenden Grinsen ruhten die blauen Augen der Frau abwechselnd auf Skadi und der Fremden.