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Too Young to Die
Crewmitglied der Sphinx
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dabei seit May 2017
#1
Too Young to Die
bespielt von    Lucien Dravean   Rayon Enarchea
05.05.1822
Sphinx

Too Young to Die
Rayon & Lucien | 5. Mai 1822 | Hauptdeck der Sphinx
Obwohl er in dieser Nacht keine Wachschicht hatte, war Rayon noch spät aus seiner Hängematte geklettert und hatte sich auf das Hauptdeck der Sphinx begeben. Er hatte den Schlaf eigentlich dringend nötig, doch seine Gedanken ließen ihn nicht schlafen. Gedanken, die ihn so schmerzlich an vergangene Zeiten erinnerten, an Ereignisse, die er eigentlich längst verarbeitet hatte, dass sich sein Herz in seiner Brust zusammenzuziehen schien, und dadurch die Frage aufwarf, ob er mit seiner Vergangenheit tatsächlich so im Reinen war, wie er immer geglaubt hatte.

Der Smutje hatte sich an die Reling gelehnt, die Ellenbogen auf das Holz gestützt und den Blick auf irgendeinen weit entfernten Punkt auf dem ruhigen Meer gerichtet, das vom Mond in ein nahezu mystisches Licht getaucht wurde. Er schloss die Augen und atmete einige Male tief ein, spürte die kühle Nachtluft in seiner Lunge und den lauen Wind auf seiner Haut. Die sanfte Umarmung der Elemente ließ das drückende Gefühl in seiner Brust etwas schwächer werden, aber es verschwand nicht. Dafür war die Wunde, welche die jüngsten Ereignisse in seinem Herzen hinterlassen hatte, zu frisch. Er hatte versagt, erneut. Wieder war jemandem, der ihm etwas bedeutete, Leid zugefügt worden, ohne dass er einschreiten konnte. Und diesmal hatte diese Person den ultimativen Preis bezahlen müssen.

Rayon öffnete die Augen wieder und richtete den Blick auf seine rechte Hand, die er unbewusst zur Faust geballt hatte und in der sich das einzige Erinnerungsstück an Scortias befand, das er besaß. Langsam lockerte er den Griff um den kleinen Gegenstand und blickte ihn nachdenklich an. Irgendetwas in ihm hatte ihn hier an Deck der Sphinx getrieben, um ihn der See zu übergeben, die Erinnerung loszulassen, nicht nur an den Tod des Schiffsjungen, sondern auch an das, was dadurch wieder an sein Bewusstsein geklopft hatte - mit der gleichen Subtilität, die Trevor regelmäßig an den Tag legte, wenn er etwas von ihm wollte. Nun jedoch brachte er es nicht übers Herz, die Statue von Feuerbart und dadurch das Andenken an den Jungen loszulassen. Sie hatten sich nicht allzu lang gekannt, aber nichtsdestotrotz hatte Rayon sich für ihn verantwortlich gefühlt. Und diese Verantwortung hatte er sträflich vernachlässigt, als er sich auf der Insel, auf der ihnen die Kopfgeldjäger aufgelauert hatten, vom Rest der Crew getrennt hatte, um seine Kräutervorräte aufzufrischen. Die Mannschaft der Sphinx hatte um ihr Leben gekämpft, und er war ihnen nicht beigestanden. Sicherlich gab es dafür Gründe - schließlich war er selbst von einer kleinen Gruppe angegriffen worden und konnte nur knapp mit seinem Leben entkommen... doch was war dieses Leben wert, wenn er nicht einmal in der Lage dazu war, es dafür zu nutzen, jemanden zu schützen, der sein ganzes Leben noch vor sich hatte?

Eine einzelne Träne bahnte sich ihren Weg die Wange des Schiffskochs hinab, als er ein Geräusch in seinem Rücken wahrnahm. Schnell schloss er die rechte Hand erneut und ließ die Statue darin verschwinden, richtete seinen Blick wieder auf das Meer und atmete erneut tief ein, um die düsteren Gedanken zumindest für den Moment zu verscheuchen.
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#2
Leise und kontrolliert die Luft ausstoßend fuhr Lucien mit der flachen Hand über den frischen Verband um seine Hüfte, der sich kaum unter dem lockeren Leinenhemd abzeichnete. Er fühlte sich müde, kraftlos, hatte laut Gregory viel Blut verloren. Und obwohl er gut aß und es bereits zwei Tage her war, stolperte das Herz in seiner Brust immer wieder, nahm ihm für einen Augenblick die Luft zum Atmen.
Das war nichts, was er dem Schiffsarzt gegenüber erwähnen musste. Nichts, was er seiner Schwester gegenüber erwähnte. Nichts, was er nicht kannte. Dennoch bereute er zumindest in diesem Moment, Talins Schicht übernommen zu haben. Obwohl er ohnehin nicht wirklich schlafen konnte und keine Position fand, in der das Liegen erträglich war.
Und offensichtlich war er auch nicht der Einzige, der keinen Schlaf fand. Im Moment fuhr die Sphinx lediglich mit Rumpfcrew, damit der Rest der Mannschaft sich von den zurückliegenden Ereignissen erholen konnte. Umso überraschter war Lucien, Rayons hünenhafte Gestalt an der gegenüberliegenden Reling zu entdecken, als er nur beiläufig den Blick von den Tauen des Hauptsegels hob, deren Knoten er zum wiederholten Mal an diesem Abend überprüft hatte.
Einen Moment lang hielt er inne, beobachtete den Dunkelhäutigen, der den Blick auf irgendetwas in seiner Hand gesenkt hielt. Was es war, konnte Lucien in der Dunkelheit zwar nicht ausmachen, doch dass der Smutje tief in trüben Gedanken versank, konnte selbst der jüngere Captain schon allein an seiner Haltung erkennen.
Mit routiniertem Handgriff zog er auch den letzten Knoten straff – ein Ruck, den seine Wunde mit einem protestierenden Stechen belohnte – und wandte sich der gegenüberliegenden Reling zu. Seine sich nähernden Schritte mussten gehört worden sein, denn noch bevor er ihn erreichte, ging ein kleiner Ruck durch den Älteren, mit dem sich seine Hand um den Gegenstand schloss, den sie hielt und sein Blick wieder hinaus aufs Meer wanderte.

Na? So spät noch auf den Beinen?“,

fragte er mit ruhiger Neugier in der Stimme, noch bevor er Rayon ganz erreicht hatte und neben ihm an der Reling stehengeblieben war. Eine Hand fand das Geländer, sodass er sich mit der unverletzten Seite dagegen lehnen konnte, während die tiefgrünen Augen das Profil seines Gegenübers musterten.

Wenn ich mich richtig erinnere, hast du doch frei, oder nicht?
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Crewmitglied der Sphinx
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#3
Rayon war sich nicht ganz sicher, ob er Gesellschaft gerade gut gebrauchen konnte. Seinen eigenen Gedanken nachzuhängen konnte manchmal durchaus heilsam sein, gerade, um Trauer zu verarbeiten. Auf der anderen Seite stand er nun schon eine ganze Weile hier und starrte Löcher in die Luft, ohne dass sich großartig etwas änderte - weder an seinem Gemütszustand, noch an der Tatsache, dass er nicht schlafen konnte. Ja, vielleicht konnte ein wenig Gesellschaft tatsächlich nicht schaden... wobei das vermutlich auch stark darauf ankam, um wen es sich dabei handelte.

Er hörte Luciens Stimme, bevor er bei ihm angekommen war und erwischte sich bei dem Gedanken, dass er es hätte schlechter treffen können. Der Captain war jemand, mit dem er sehr gern Zeit verbrachte, mit dem man sich gut unterhalten konnte, der aber zumindest subtilere Gefühlsregungen meist zu übersehen schien. Für diese Situation war das vermutlich eine sehr begrüßenswerte Kombination. Sein Körper entspannte sich ein wenig, während er darauf wartete, dass der Braunhaarige sich neben ihn stellte, den Kopf drehte und den Blick des Gegenübers im fahlen Licht der Laternen erwiderte. Lucien hatte bei der Flucht von der Insel, auf der die Kopfgeldjäger ihnen aufgelauert hatten, deutlich mehr abbekommen als er selbst; Rayon hatte sich zwar ebenfalls mehrerer Angreifer erwehren müssen, war dabei fast wie durch ein Wunder jedoch größtenteils unverletzt geblieben. Nicht zuletzt deshalb war der Smutje auch ein wenig überrascht, den jungen Mann um diese Uhrzeit hier an Deck des Schiffes zu sehen. War er tatsächlich schon wieder gesund genug, um die Nachtwache zu übernehmen, obwohl es dafür eigentlich keinen triftigen Grund zu geben schien?

"Und das aus deinem Mund", sagte er schließlich und zwang sich zu einem etwas müden Lächeln. "Gerade du solltest eigentlich in deiner Hängematte liegen und dich erholen, Lucien."

Kurz fiel sein Blick wieder auf seine rechte Hand, um sich zu vergewissern, dass die Statue sicher und gut darin verborgen war, ehe er die Aufmerksamkeit wieder auf den Mann an seiner Seite richtete.
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#4
Lucien fing den bedeutungsvollen Seitenblick des Älteren auf, ließ die zumindest leicht überraschte aber nicht wirklich missbilligende Musterung über sich ergehen, bevor Rayon Retoure gab und damit ein leicht amüsiertes Schmunzeln auf die Lippen des jungen Captains lockte. Ja, das musste er gerade sagen. Stimmte schon. Er sollte sich lieber ausruhen.
Doch Lucien zuckte nur flüchtig mit den Schultern, bemerkte dabei ganz beiläufig Rayons Blick, der flüchtig zu dessen Händen hinab wanderte, und wandte sich im nächsten Moment ganz der See zu, die sich bis zum dunklen Horizont erstreckte. Die Unterarme auf die Reling gestützt, antwortete er schließlich.

Ich finde ohnehin keine Position, in der ich bequem liegen kann. Dann kann ich genauso gut wach bleiben und Talin die Chance geben, sich auszuruhen.

Immerhin war auch seine Schwester nicht gänzlich unbeschadet von der Insel gekommen, auch wenn ihre Schulterverletzung nicht ganz so ernst ausgesehen hatte, wie das Loch in seiner Seite. Es spielte ohnehin keine Rolle. Hätte sie sich nur einen Kratzer zugezogen, hätte sie für ihn noch immer Vorrang. Also ließ er sie schlafen.
Die tiefgrünen Augen huschten wieder zu der dunklen Gestalt Rayons und er nickte bezeichnend auf die Hand des Smutje, die sich blickdicht zur Faust geballt hatte. Doch nicht so, als wäre er wütend, sondern vielmehr so, als hielte er darin etwas verborgen.

Was hast du da?

Wieder lag ein Hauch Neugier in seiner Stimme, allerdings ohne jegliche Erwartung. Ihm war eine offene Antwort genauso recht, wie ein gehütetes Geheimnis.
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#5
Die Augenbrauen des Schiffskochs zogen sich bei Luciens Rechtfertigung unweigerlich nach oben. Er kannte seinen Captain mittlerweile gut genug, um zu erahnen, dass die Schlafprobleme kaum der Hauptgrund für seine Anwesenheit hier an Deck sein konnten. Er war allerdings auch der Letzte, der ihn deshalb tadeln würde - wäre eines seiner Geschwister an Bord der Sphinx und verletzt gewesen, ganz gleich wie leicht, hätte er ebenfalls ohne zu zögern seine eigene Gesundheit vernachlässigt, um ihm oder ihr so viel Ruhe wie möglich zu gönnen. Aus diesem Grund bildete sich auf dem Gesicht des Dunkelhäutigen schnell ein sanftes Lächeln und er nickte leicht, während seine Augen beim Gedanken an seine Familie für einen Moment glasig wurden und in die Ferne blickten. Er hatte sie nun schon so lange nicht gesehen...

Luciens Frage holte ihn zurück in die Gegenwart und ließ sein Herz unweigerlich schneller schlagen. Er warf selbst einen Blick auf seine Hand und schalt sich innerlich dafür, wie offensichtlich es war, dass er darin etwas verborgen hielt. Natürlich hatte es dem Mann neben ihm auffallen müssen - es gab schließlich nicht viele andere Dinge, auf die sein Blick sich in der Dunkelheit hätte richten können.

Auf der anderen Seite - wenn es Rayon wirklich so wichtig gewesen wäre, nicht darüber zu sprechen, hätte er sich dann nicht ganz automatisch mehr Mühe gegeben, die Statue zu verbergen? Vielleicht war dies ein Wink seines Unterbewusstseins, nicht mehr länger im Stillen über der Vergangenheit zu brüten, sondern seine Gedanken und Sorgen mit jemandem zu teilen. Er wusste nur nicht genau, ob Lucien die richtige Person dafür war. Der Captain war zwar eine überaus angenehme Gesellschaft, aber tiefgründige Gespräche hatten die beiden bisher kaum geführt, Themen, die sie in der Tiefe ihrer Herzen beschäftigten, höchstens einmal flüchtig angesprochen. Was Rayon in dieser Situation kaum gebrauchen konnte, war jemand, der seine Trauer nicht verstehen, als Schwäche abtun oder sogar hämisch belächeln würde. Was er brauchte, war vielmehr jemand, der ihm ein wenig Trost spendete.

Letztlich entschied der Schiffskoch, es auf einen Versuch ankommen zu lassen, allein schon, um herauszufinden, ob solche Gespräche mit Lucien möglich waren und wie er darauf reagieren würde. Wegen der Überlegungen, die wie in Zeitlupe in seinen Gedanken abzulaufen schienen, dauerte es einige Augenblicke, bis er die Hand drehte, sodass die Handfläche nach oben zeigte, und dann langsam die Faust öffnete und die Statue Feuerbarts preisgab. Er schluckte und rang nach Worten, entschied sich dann dafür, Lucien zunächst nüchtern mitzuteilen, um was es sich dabei handelte, für den Fall, dass er sie noch nie gesehen hatte.

"Die hat Scortias gehört", murmelte er und seine Stimme klang seltsam belegt. "Hab sie ihm auf dem Markt gekauft."

Er brauchte dem Captain nicht sagen, wen die Statue repräsentieren sollte. Das war nur allzu offensichtlich für jeden, dem Feuerbart irgendwann einmal über den Weg gelaufen - und erst recht für jeden, mit dem er gesegelt war.
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#6
Als Rayons Züge weicher wurden und sich ein verstehendes Lächeln auf die Lippen des Älteren legten, wand sich Lucien innerlich unbehaglich. Dass Talin für ihn an erster Stelle stand, war kein Geheimnis und in jeder seiner Handlungen mehr als offensichtlich. Aber wem gefiel es schon, so wortlos durchschaut zu werden? Gerade, wenn es dabei um eine Seite an ihm ging, die er sonst nur selten offen zur Schau stellte. Und abgesehen davon war diese Art von herzlichem, ruhigem, sanften Verständnis immer noch etwas, womit er nicht so recht umzugehen wusste.
Glücklicherweise schienen Rayons Gedanken selbst rasch abzudriften. Vielleicht in eine andere Ecke dieser Welt, in der jemand auf ihn wartete, der ihn zu ganz ähnlichen Entscheidungen bewogen hätte. Erst Luciens Frage riss ihn recht unsanft zurück in die Gegenwart und für einen Augenblick ertappte sich der junge Captain bei einem schlechten Gewissen. Denn was folgte, war ein nachdenkliches, zögerliches Schweigen, in dem der Smutje den Blick auf seine Hand gesenkt hielt. Wahrscheinlich war es dort, wohin ihn seine Gedanken gerade noch geführt hatten, schöner, als auf einem Piratenschiff, das sich mit Hängen und Würgen aus einer tödlichen Falle hatte befreien können. Und das auch nur gerade mal eben so.
Schließlich drehte Rayon jedoch die Hand und öffnete die Finger, sodass Lucien, der unwillkürlich den Blick darauf senkte, im dämmrigen Licht des Decks erkennen konnte, was es war. Leise stieß er die Luft aus.
Wen die kleine Figur darstellte, musste er nicht fragen. Auch, dass sie Scortias gehörte, hätte der Dunkelhäute im Grunde nicht laut aussprechen müssen. Und ohne wirklich darüber nachzudenken, ahnte Lucien mit einem Mal, was Rayon während seiner Freiwache an Deck geführt hatte. Nicht, dass er es hätte nachfühlen können – das nicht. Aber er hatte Augen im Kopf.

Du hattest den Kleinen gern, hm?

Wie um sich die Frage selbst zu beantworten, nickte Lucien leicht und lehnte sich wieder auf die Reling, bevor er mit einem sachten Nicken auf die kleine Figur wies und dann zu dem Hünen neben sich aufsah.

Und was hast du damit jetzt vor?“, hakte er mit unerwartet milder Tonlage nach.
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#7
Ein gewisses, wenn auch nur schwaches, Gefühl der Erleichterung machte sich in der Brust des Schiffskochs breit, als Lucien ausatmete, und er erkannte, dass ein Teil von ihm tatsächlich Angst vor einer völlig gleichgültigen, gefühlskalten Reaktion des Captains Angst gehabt hatte. So war diese Reaktion zwar äußerst subtil, aber zumindest blieb sie nicht aus, auch wenn Rayon nicht wirklich feststellen konnte, ob dem jüngeren Mann die Gefühle des Dunkelhäutigen bewusst wurde... oder er nur bereute, überhaupt gefragt zu haben.

Die Frage erübrigte sich, als Lucien nachhakte. Das hätte er vermutlich nicht getan, wenn er solch ein Gespräch unbedingt vermeiden wollte. Und bisher hatte er den Grünäugigen nicht als einen Mann wahrgenommen, der anderen zuliebe unangenehme Nachfragen stellte. Überhaupt war der Captain ganz sicher nicht der empathischste Mann. Umso mehr war ihm anzurechnen, dass er sich tatsächlich die Mühe machte, in Rayons Gedankenwelt einzusteigen, was auch immer die Beweggründe dafür waren. Aus diesem Grund schenkte der Smutje ihm auch ein warmes Lächeln, das ihm nun umso schwerer fiel, weil es um Scortias ging. Dann nickte er kaum merklich, seufzte leicht und ließ seinen Blick wieder über das dunkle Meer schwenken, während er nach Worten suchte.

"Ja", sagte er schließlich einfach nur und beließ es für einige Sekunden dabei, in denen er die Augen geschlossen hielt und tief durchatmete. "Er hätte es zu einem großen Seemann bringen können. Er war ein kluger, mutiger Junge..."

Ein leises, schnaubendes Lachen entkam seinen Lippen.

"... und in seinem Alter schon reifer, als Trevor es je sein wird."

Der Dunkelhäutige schüttelte den Kopf und versuchte damit, die Gedanken zu verscheuchen, die ihn plagten. Die Gedanken daran, dass er den Jungen nicht hatte beschützen können, so wie er seine Schwester und seinen Vater nicht vor den Plünderern hatte beschützen können. Vor den Vergewaltigern und Mördern. Die Gedanken daran, dass er versagt und wieder jemand anderen dafür gebüßt hatte.

Luciens nächste Worte drangen wie durch einen Schleier an sein Ohr und es dauerte einige Momente, bis der Schiffskoch ihre Bedeutung verstanden hatte. Er warf dem Grünäugigen einen kurzen Seitenblick zu und konzentrierte sich dann wieder auf die Wellen.

"Eigentlich wollte ich sie dem Meer übergeben, aber..."

Er schluckte schwer und zuckte hilflos mit den Schultern, unfähig, den Satz zu beenden.
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#8
Ja, vielleicht“,

erwiderte Lucien nachdenklich. Nur kurz huschte ein trockenes Lächeln über seine Lippen, als Trevor zur Sprache kam. Doch es verschwand rasch.
Er hatte Scortias nicht gut genug gekannt, konnte nicht beurteilen, ob er mutig und klug gewesen war. Wissbegierig, ja. Das zumindest war dem jungen Captain aufgefallen. Wissbegierig wie er selbst in jenem Alter, und damit auf bestem Wege, ein guter Seemann zu werden, wenn er nur die Chance dafür bekommen hätte. Aber mehr als das?
Die Menschen neigten seiner Erfahrung nach dazu, Kindern nette Eigenschaften zuzuschreiben, weil es eben Kinder waren. Weil sie aus irgendeinem Grund stolz auf sie waren oder sie so niedlich fanden. Und sie bedauerten ihren Verlust umso mehr, weil es eben... Kinder waren. Er hatte Skadi beobachtet, sah nun auch Rayon mit diesem Schmerz und glaubte zu ahnen, dass es auch Talin getroffen hatte. Weil Scortias ein Kind gewesen war.
Lucien selbst hingegen tat sich schwer damit. Er bedauerte diesen Tod genauso wenig, wie er Feuerbarts Tod bedauerte. Oder den irgendeines anderen. Es wäre vielleicht anders, hätte er selbst Kinder. Und wäre er nicht der, der er eben war. Denn weder mochte er sie sonderlich, noch wünschte er sich welche. Doch er wollte dem Smutje seinen Kummer auch nicht absprechen, nur weil ihm jegliche väterlichen Gefühle fehlten. Rayons Schmerz war echt und unmittelbar. Also wählte Lucien seine nächsten Worte mit Bedacht – mit so viel Einfühlungsvermögen, wie er nun einmal zustande brachte.

Dieses Leben, das wir führen... birgt für uns alle das gleiche Risiko. Egal, wie alt wir sind.“ Sein Blick huschte über die Züge des Dunkelhäutigen, der mit einem Kopfschütteln seine Gedanken vertrieb. Gedanken, die ihm nur noch mehr Kummer in die Augen trieben. „Keiner von uns hätte verhindern können, was auf dieser Insel passiert ist.

Lucien zögerte einen Moment, nickte schließlich auf die kleine Figur in den Händen des Smutje und als er das Wort erneut ergriff, lag ein gutmütiges Lächeln in seiner Stimme.

Behalt sie. Als Erinnerung – an Scortias und an Feuerbart. Das Meer hat beide längst zu sich geholt. Es wird auf diese Kleinigkeit verzichten können.
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#9
Die Worte des Captains schienen durchaus Sinn zu ergeben, waren vermutlich sogar wahr. Sie waren Piraten, und Teil des Berufsrisikos eines Piraten war die durchaus hohe Wahrscheinlichkeit, kein sonderlich langes Leben zu führen. Scortias hatte sich für dieses Leben entschieden, auch wenn ihn die Umstände sicherlich dazu getrieben hatten, doch vermutlich war er sich dieser Gefahr nicht in dem Maße bewusst gewesen wie ein erwachsener Seeräuber, der genau wusste, worauf er sich einließ. Das Leben als Gesetzloser war für ihn sicherlich ein romantisches, aufregendes Abenteuer gewesen, angeheizt noch durch seine Bekanntschaft mit einem der berüchtigsten Piraten der Weltmeere. Wie hätte ein unbeschwerter Geist wie der seine ernsthaft die Möglichkeit in Betracht ziehen sollen, schon bald zu sterben? Er war aus dieser Welt gerissen worden, weil er sich ihnen angeschlossen hatte, weil sie sich seiner angenommen hatten, und sie hatten dabei versagt, ihn vor den Gefahren dieses Lebens zu beschützen, vor denen er sich noch nicht selbst beschützen konnte. Auch wenn sie nicht seine Eltern gewesen waren - trotzdem hätten sie verhindern müssen, was geschehen war.

Denn das war in diesem Moment das Problem - Luciens Worte drangen zwar an seine Ohren, aber sein Herz glaubte sie nicht. Er war nicht da gewesen. Er hatte die Crew im Stich gelassen, und damit auch Scortias. Hätte er sich nicht vom Rest der Mannschaft getrennt, hätte er vielleicht verhindern können, dass der Junge ermordet worden war. Vielleicht wäre er bei ihm gewesen und hätte ihn verteidigen können, notfalls mit seinem Leben. Diese Möglichkeit geisterte seit dem Vorfall in seinen Gedanken herum und ließ ihn nicht ruhen.

Er verstand jedoch auch, dass Lucien mit weniger Emotionalität an die Sache heranging. Er hatte Scortias nicht so kennengelernt wie Rayon, und er war der Captain dieses Schiffes. Er musste mit Verlusten rechnen und es war sogar seine Pflicht, sich von ihnen nicht unterkriegen zu lassen, um seine Aufgabe ausführen zu können. Vielleicht tat gerade deshalb die Wärme gut, die bei den nächsten Worten in der Stimme des Grünäugigen lag. Und sie führten dazu, dass Rayon den Entschluss fasste, eine Geschichte mit ihm zu teilen, die er selten erzählte. Seine Geschichte. Vielleicht würde sie Lucien dabei helfen, seine Gefühle etwas mehr zu verstehen.

"Ich habe dir niemals erzählt, warum ich Pirat geworden bin", begann er und ließ den Blick wieder über das Meer schweifen. Auch wenn dieser Teil seiner Vergangenheit immer noch schmerzte, hatte er sie doch so gut wie möglich verarbeitet. In diesen Tagen jedoch war die Wunde wieder ein Stück aufgerissen, ausgelöst durch den Verlust Scortias'.

"Ich war Siebzehn, als meine Schwester von Marinesoldaten vergewaltigt wurde. Achtzehn, als sie meinen Vater töteten, weil er versuchte, sich ihnen in den Weg zu stellen, als sie unsere Insel erneut heimsuchten."

Er machte eine Pause, nicht aus dramaturgischen Gründen oder weil er wollte, dass die Worte Wirkung zeigten, sondern weil er auf einmal einen Kloß im Hals hatte. Der Dunkelhäutige atmete für einige Sekunden ruhig ein und aus, ehe er fortfuhr.

"Siebzehn. Alt genug, um die zu beschützen, die ich liebte. Und doch habe ich dabei versagt. Als meine Schwester vergewaltigt wurde, war ich auf den Feldern, um die Ernte einzuholen. Sie war ganz allein zu Hause und hatte keine Chance. Als mein Vater starb, hörte ich auf seinen Wunsch, bei meiner Mutter und meinen Geschwistern zu bleiben, anstatt an seiner Seite gegen diese Bastarde zu kämpfen."

Verbitterung lag nun in seiner Stimme, und eine Schärfe, die äußerst unüblich für ihn war.

"Ich habe damals zweimal versagt. Und auf dieser gottverdammten Insel, als ich allein gegen diese Kopfgeldjäger kämpfte, habe ich erneut versagt. Ich war nicht da, um euch zu helfen. Ich war nicht da, um Scortias zu helfen."

Er verstummte, senkte den Kopf und schloss die Augen. Die Intensität in seinen Worten war reiner, ungetrübter Trauer gewichen, die ihm jedes weitere Wort abschnitt.
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