27.08.2019, 10:13
I am immune to you, you're immune to me
17.04.1822
Sphinx
I am immune to you, you're immune to me
We are both sick souls with the same disease
Früher Abend des 17. April 1822Lucien Dravean & Shanaya Árashi
Keine Brise wehte, die Luft stand seit einiger Zeit vollkommen still. Die Sonne sank schon wieder, der Tag neigte sich mehr und mehr seinem Ende zu. Shanaya hatte die gezwungene Ruhe genutzt, ein bisschen Arbeit erledigt, ehe sie sich mit ein paar Bögen Papier und Zeichenutensilien aufs Deck begeben hatte. Ihr ging Nichts bestimmtes durch den Kopf, also legte sie alles auf einem Fass ab, breitete das Papier aus und griff nach einem der Stifte. Es dauerte nicht lang, bis feine Linien die Form einer Insel annahmen. Shanaya konnte so, mit all ihrer Konzentration auf der Karte, jegliche andere Gedanken vergessen. Die blauen Augen beobachteten aufmerksam die Linien, einen Moment hielt sie inne, ehe sie weiter zeichnete. Eine Insel, die es vermutlich nur in ihrem Kopf gab, eine der unzähligen, erdachten Inseln, die sie seit jeher zeichnete, um zu üben. Sie nahmen in ihrem Kopf mehr und mehr Form an, diese bekam feine Linien für Flüsse, die Umrisse einer kleinen Stadt. Sie erdachte sich gern eine kleine Welt, formte sie, wie es ihr gerade gefiel. Sie brauchte nicht vor irgendetwas flüchten, und trotzdem konnte sie sich ganz in dieser kleinen Welt verirren. Dabei lag die ganze Zeit ein warmes, sachtes Lächeln auf ihren Lippen.
Die kleine Flaute trieb ihn in den Wahnsinn. Wenn es etwas gab, das für den Dunkelhaarigen schlimmer war, als jahrelang auf dem Festland festzusitzen, dann ein Schiff bei Windstille mitten auf dem Ozean. Es machte ihn unruhig, rastlos. Für den Moment hatte er sich damit beschäftigt, die neuen Tierpferche im Rumpf der Sphinx fertig zu stellen, die er schon vor einer Weile begonnen hatte. Damit sie, sollten sie irgendwann wieder Fahrt aufnehmen und eine Insel erreichen, auch Ziegen an Bord nehmen konnten. Aber als das durch war und die Sonne sank, war es zu spät, um noch etwas neues anzufangen und zu früh, um auch nur an Schlaf zu denken. Lucien verließ den Frachtraum, griff nur im Vorbeigehen in die Kiste mit Granatäpfeln, die er auf Mîlui an Bord geholt hatte und nahm den Aufgang zum Hauptdeck. Sein erster Gedanke galt der Flasche Rum, die in der Kajüte auf ihn wartete, doch so richtig war ihm nicht danach. Dann fiel sein Blick auf die Gestalt, die es sich bei ein paar Fässern gemütlich gemacht hatte und ganz versunken in ihre Arbeit zu sein schien. Ein flüchtiges Lächeln huschte über seine Lippen, bevor er sich langsam wieder in Bewegung setzte, den Granatapfel dabei spielerisch in der Hand drehte. Auf Höhe des Hauptmastes, immer noch gute drei Meter von Shanaya entfernt, setzte er sich auf eine der Kisten, die daran festgemacht waren und zog das Kürschnermesser aus seiner Gürteltasche, während er sie beim Zeichnen beobachtete.
Es gab nicht viele Momente, in denen Shanaya nicht darüber nachdachte, was um sie herum passierte. Nur die Flaute und ihre Konzentration, die sie inzwischen voll auf ihre Karte richtete, ließen sie unvorsichtig werden. Irgendwo hörte sie Stimmen, vielleicht auch Schritte. Aber da jeder sich zu beschäftigen versuchte, machte sie sich keine Gedanken darum. Wenn jemand näher kommen würde, würde sie das schon bemerken. Da war sie sich vollkommen sicher. Wie bei so vielem. Auch das feine Kribbeln im Nacken störte sie nicht unbedingt. Das Gefühl beobachtet zu werden war ja irgendwie normal, die Schwarzhaarige drehte sich also nicht einmal um. Sie lauschte zwar, konzentrierte sich aber weiterhin hauptsächlich auf ihre Zeichnung. Das Gefühl ließ damit auch wieder nach, sodass sie fast nicht mehr darüber nachdachte.
Falls Shanaya ihn bemerkt haben sollte, ließ sie sich davon nichts anmerken, was das Lächeln auf seinen Lippen noch etwas vertiefte. Doch er schwieg, statt auf sich aufmerksam zu machen, setzte stattdessen die Klinge an den großen Strunk des Granatapfels und schnitt ihn samt eines kreisrunden Stücks Schale heraus. Fast sofort lief ihm der blutrote Saft der kleinen Kerne über die Finger und er hielt inne, um ihn abzulecken. Die tiefgrünen Augen huschten dabei zu der Schwarzhaarigen zurück, wanderten kurz über ihre entspannten Schultern, den schlanken Körper und hielten dort inne, wo die Schusswunde war, ehe er sich wieder seinem Granatapfel zuwandte und die Klinge ansetzte. Mit routinierten Schnitten achtelte er die Frucht, zerteilte die Schale am unteren Ende jedoch nicht ganz, damit alle acht Stücke weiterhin aneinander hingen und nach Bedarf einzeln abgelöst werden konnten. Dann schob er das Messer zurück in die Tasche, zog ein Achtel ab und fing an, die Kerne davon abzuknabbern, während sein Blick zu Shanaya zurück kehrte.
Die Insel nahm mehr und mehr Form an, die feinen Linien der Flüsse waren fertig, nun folgten Feinheiten der kleinen Stadt, ein Wald, der sich um die Stadtmauern legte. Shanaya war zufrieden, legte den Stift jedoch noch Nicht zur Seite. Sie war nicht sicher, ob dieses feine Gefühl sie täuschte. Aber trotz allem war sie vorsichtig, wartete, ob jemand etwas sagte. Aber außer der Stille der Flaute nahm sie Nichts wahr. Das Geräusch, dass Luciens Messer machte, drang nicht zu ihr durch. War da irgendwo Trevors durchdringende Stimme? Möglich, aber er beobachtete sie schon einmal nicht. Hum. Nun hatte es doch einen Moment ihre Aufmerksamkeit gekostet, eine kleine Linie war zu weit, strich über eine andere. Und sofort verließ ein Brummen ihre Kehle, womit sie sich ein wenig weiter über die Karte beugte, den falschen Strich einfach mit einem anderen verband. Gerettet. Noch wenige, feine Züge, dann legte sie den Stift auf dem Fass ab, hob die Karte an und hielt sie mit einem zufriedenen Blick vor sich.
Ihr leises, unwilliges Brummen hätte ihm beinahe ein amüsiertes Schnauben entlockt. Gerade so beherrschte er sich. Unterdrückte das Geräusch, um sie nicht auf sich aufmerksam zu machen und fuhr sich kurz mit dem Handrücken über den Mund. Er verbannte das Schmunzeln von seinen Lippen, setzte ein ernstes Gesicht auf und knabberte ein paar weitere Kerne aus dem Granatapfelstück. Der süßsaure Saft war in diesem Augenblick beinahe besser als Alkohol. Vielleicht konnte er heute ja mal darauf verzichten. Ganz so, wie Talin es von ihm verlangte... In diesem Moment legte Shanaya den Stift zur Seite, hob das Blatt an, auf dem sie gearbeitet hatte und hielt es zum ersten Mal so, dass Lucien das Bild darauf erkennen konnte.
„Schöne Zeichnung. Sollte ich die kennen?“
Sie kam ihm nicht bekannt vor, diese Insel. Was ihn allerdings auch nicht wunderte. Immerhin hatte er die Gewässer um das Herzogtum Brancion nie verlassen. Er wartete nicht darauf, dass sie ihm antwortete, richtete den Blick auf das spiegelglatte Meer und warf das leere Stück Granatapfelschale in hohem Bogen über die Reling.
Die blauen Augen fuhren noch einmal uber fie einzelnen Linien, ehe sie abschließend nickte. Genau in dem Moment, in dem eine, ihr inzwischen viel zu bekannte, an ihre Ohren drang. Automatisch wurde ihr lächeln ein wenig breiter. Es hatte sie also doch 'jemand' beobachtet... natürlich. Aber das erklärte auch dieses leichte Kribbeln im Nacken. Aber auch nach seinen Worten drehte sie sich nicht um, ließ die blauen Augen auf das Papier gerichtet.
“Ich glaube nicht... es sei denn, du kennst meine geheimsten Fantasien...“
Jetzt wandte die junge Frau sich doch um, ein vielsagendes Lächeln auf den Lippen. Er warf etwas über die Reling, Shanaya wandte den Blick jedoch nicht von ihm ab. Sie musterte aber kurz, was er in der Hand hielt. Hm...
“Ich denke mir gern Inseln aus. Zum Üben.“
Nur einen Moment noch, ehe sie sich mit der Karte zu dem Mann begab und sie ihm hin hielt, sodass er sie ansehen konnte, dabei ein munteres Funkeln in den hellen Augen. Natürlich ohne irgendeinen Hintergedanken.
Lucien sah noch nicht zu ihr zurück, als sich ein dreistes Grinsen auf seine Lippen stahl. „Selbstverständlich kenne ich die.“ Noch immer ein ruhiges Meer. Auch der Granatapfelgriepsch änderte daran nichts. Der schlug nur unten am Rumpf ein paar kleine Wellen, die schon wieder vergingen, bevor sie überhaupt in sein Blickfeld schwappen konnten. Da bekam er nicht schlecht Lust, irgendwas größeres rein zu werfen. Irgendwas in der Größe eines Pottwals. Sein Blick wanderte zur Seite, blieb an Shanaya hängen, die sich inzwischen aufgestanden war und zu ihm kam. Sie hielt ihm die Karte entgegen, aber bevor er sie entgegen nahm, wischte er sich beiläufig die inzwischen wieder freie Hand an der Hose ab. Erst dann griff er nach dem Blatt Papier, strich es auf seinem Oberschenkel glatt und ließ den Blick über die feinen Linien wandern, die sich selbstbewusst zu einem Fleckchen Erde formten, das so nur in ihrem Kopf existierte.
„Woher nimmst du die Ideen dafür?“, fragte er neugierig, hob dabei den Blick und begegnete dem Shanayas.
Shanaya hob bei der Antwort ihres Captains amüsiert eine Augenbraue. Natürlich kannte er sie. Wer, wenn nicht er...
“Du wärst gern ein Teil davon, hm?“
Sie wussten beide viel zu gut, dass er sich das nicht erst wünschen musste. Jetzt richtete der Dunkelhaarige den Blick zu ihr, säuberte sich die Hände, ehe er nach der Karte griff um sie zu betrachten. Ihr eigener Blick legte sich noch einmal auf die Zeichnung, ehe sie den Blick des Mannes mit sachter Miene erwiderte.
“Sie sind einfach da. Ich habe unzählige solcher Inseln... vielleicht finde ich ja irgendwann eine, die genau so aussieht...“
Für einen winzigen Moment trat ein vielsagender Ausdruck in die tiefgrünen Augen. Ein sanftes Leuchten sehnsüchtiger Begierde gemischt mit einer guten Portion gelassener Belustigung. Sie wussten es beide besser.
„Bin ich doch schon längst, kleine Sirene.. Bin ich doch längst.“, antwortete er gedämpft und mit einer geradezu arroganten Selbstsicherheit in der Stimme, ließ das Thema und die Anspielung dann jedoch fallen und widmete sich wieder ihrer Zeichnung. Der Insel in ihrer Phantasie. Zog mit dem Finger einen der Flüsse nach, den sie durch die Landschaft geführt hatte.
„Vielleicht.“, stimmte der Dunkelhaarige ihr schließlich zu. „Es gibt noch viele Welten und viele Inseln.“
Er griff nach dem Blatt und reichte es der Schwarzhaarigen.
„Was denkst du dir zu diesen Inseln noch aus, außer den Verlauf ihrer Küsten und Flüsse? Auch, was für Menschen dort leben?“
Die junge Frau hatte keine andere Antwort als diese erwartet. Sie hätte sich Sorgen um ihn machen müssen, hätte er anders reagiert. Also schmunzelte sie, zuckte nur leicht mit einer Schulter. Das beruhte auf Gegenseitigkeit, auch dessen war die Schwarzhaarige sich sicher. Ihr Lächeln wurde, ohne dass sie es kontrollieren konnte, deutlich wärmer, während sie beobachtete, wie ihr Captain mit dem Finger die Linien nachzog, sie dieser Bewegung mit den Augen folgte.
“Sehe ich auch so... vielleicht gibt es sogar eine, die ihre Inseln nach den Gedanken derer formt, die sie betreten...“
Diese Worte klangen beinahe kindlich, was gewiss auch daher kam, dass sie diesem Gedanken oft nachgehangen hatte, als sie in das Internat gesteckt worden war. Eine Welt, in die sie sich geflüchtet hatte.
“Noch nicht. Aber das kommt irgendwann vielleicht auch noch...“
Damit nahm sie die Karte entgegen, ließ den warmen, blauen Blick aber wieder zu Luciens Grünen Augen wandern.
In seinen Blick trat sanft amüsierte Wärme. Er mochte die Art, wie ihre Stimme sich änderte. Wie sie plötzlich geradezu kindlich aufgeregt, leidenschaftlich neugierig klang, als sie an eine Insel dachte, die sich verändert. Je nach dem, wer einen Fuß auf ihren Boden setzte. Sie schlug damit eine Seite in ihm an, die er längst irgendwo tief in sich vergraben hatte und die er selten an die Oberfläche ließ. Das Kind, das in ihm wohnte.
„Wer weiß, vielleicht führt uns Liams mysteriöse Karte ja dorthin.“
Ein Schmunzeln färbte seine Stimme. Zwar glaubte er es zwar nicht – zumindest nicht diese Karte. Aber irgendeine andere ähnlich mysteriöse tat das vielleicht. Dass so eine Insel existierte, konnte er sich jedenfalls gut vorstellen. Und sei es nur, weil er wollte, dass sie existierte.
„Wenn wir Pech haben... kommt so schnell kein Wind, der uns weiter bringt. Dann hast du zumindest jede Menge Zeit, dir eine Welt um deine Insel herum auszudenken.“, meinte Lucien mit einem Anflug von Galgenhumor und brach ein weiteres Stück aus seinem Granatapfel, das er der Schwarzhaarigen hin hielt. „Willst du?“
Shanayas Augen richteten sich noch einmal auf die Karte, hatte so eine kleine Ausrede, um den Dunkelhaarigen nicht direkt anblicken zu müssen. Sorgfältig rollte sie den Bogen zusammen, legte die kleine Rolle dann auf die Kiste, auf der Lucien saß. Es sah nicht so aus als würde Wind aufkommen, sie musste sich also keine Sorgen darum machen, dass eine Böe das Papier wegwehen würde. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihren Captain, lachte amüsiert über seine Worte.
„Dann würde ich mir wirklich auf die Schulter klopfen.“
Das wäre wirklich... eine Art Hauptgewinn. Der Gedanke gefiel ihr und einen Moment malte sie sich dieses Bild in ihrem Kopf, wie sie eine Insel betrat, die sich nach ihren Vorstellungen formte, die Flüsse fließen ließ, so wie sie es sich vorstellte.
„Jaaa... ich hatte gehofft, dass gegen Abend etwas Wind aufkommt.“ Kurz richtete sie die hellen Augen zu der Sonne, die dem Horizont sehr nahe war. „Aber ich versuche einfach das Beste draus zu machen. Irgendeine Beschäftigung gibt es immer.“
Sie lächelte ihrem Gegenüber offen entgegen, musterte dann, was er ihr entgegen hielt, womit ihr Ausdruck noch einen Hauch wärmer wurde. Er wusste, wie er sich mit ihr gutstellen konnte. Ein dankbares Nicken folgte, ehe sie das... Etwas einfach in den Mund schob und davon abbiss. Ziemlich holzig... aber der Geschmack und der Saft der Kerne übertünchten den etwas bitteren Geschmack. Mit der Schale hatte sie etwas zu kämpfen, aber auch das ging irgendwie. Also kaute sie darauf herum, schluckte, als die zähe Schale endlich zerkleinert war.
„Aber wenn du die Flaute nicht aushälst, können wir uns gern zusammen eine Beschäftigung suchen. Meine kleine Insel ist ja fertig.“
Ein amüsiertes Funkeln blitzte kurz in seinen Augen auf. Ja... das wäre vermutlich eine Insel ganz nach ihrem Geschmack. Eine Insel, die sich nach ihren Wünschen formte. Immer so, wie ihr es gerade gefiel. Blieb nur abzuwarten, wohin Liams Karte sie führte, doch für's Erste ließ Lucien das Thema fallen, wandte sich dem nächsten zu, um das ihre Gedanken sich drehten und hob für einen Moment den Blick in den Himmel.
„Tja, sieht leider nicht so aus“, stellte er mit einem Seufzen in der Stimme fest. Doch als er zurück zu ihr sah, legte sich ein ziemlich zweideutiges Schmunzeln auf seine Lippen. „Hm.. mir fällt da auch das ein oder andere ein.“
Ihr Nicken, der warme Ausdruck in ihren Augen machten sein Lächeln wieder sanfter. Aber er rechnete in diesem Moment auch nicht damit, was sie als nächstes tat. Shanaya nahm das Granatapfelstück entgegen und bevor er auch nur erkannte, was sie vorhatte und sie hätte aufhalten können, schob sie sich das ganze Stück samt der ungenießbaren Schale in den Mund.
Lucien gab einen überraschten Laut von sich, der allerdings keine Warnung mehr werden konnte. Sie hatte längst angefangen zu kauen und die Hälfte davon runter geschluckt, sodass sich auf seinen Lippen ein fast spöttisches Grinsen bildete.
„Du hast... noch nie Granatapfel gegessen, oder?“
Shanaya Blick folgte dem des Dunkelhaarigen nur flüchtig, immerhin wusste sie in etwa, welcher Anblick sie da erwartete. Seinen Worten galt nur ein zustimmendes Seufzen. Sie konnte mit Flauten leben, bis zu einem gewissen Grad.Seine eindeutig zweideutige Antwort kommentierte sie aber wieder mit einem herausfordendem Blick, einem Zwinkern.
„So? Was genau schwebt dir da so vor? Denk dir was Gutes aus, sonst wird mir gleich noch langweilig und dann werde ich unleidlich...“
Sie hatte ihm einen Moment Zeit gegeben, ehe sie etwas von dem Granatapfel abgebissen hatte – was bei Lucien eine unerwartete Reaktion hervor rief. Eine, die sie noch nicht verstand. Sein Grinsen ließ die Schwarzhaarige blinzeln, den Kopf ein wenig zur Seite neigen. Trotzdem musste sie den Ausdruck erwidern, ganz automatisch.
„Wieso?“
Als wäre Nichts gewesen, führte sie das Stück erneut zu ihrem Mund, biss wieder ein Stück ab und kaute darauf herum.
Obwohl die Anspielung zu aller erst von ihm ausgegangen war, ging Lucien dieses Mal nicht weiter auf die kleine Herausforderung ein. Zum einen, weil ihn der Granatapfel in ihrem Mund derart ablenkte, zum anderen, weil ihm schlicht und ergreifend nicht nach diesem Spielchen zumute war. Stattdessen verkniff er sich über den fragenden Ausdruck in ihren Augen ein weiteres Grinsen, konnte aber dann, als sie sich das nächste Stück Schale samt Kerne in den Mund steckte, ein Lachen nicht mehr unterdrücken.
Selbstverständlich hätte er sie zumindest vor dem zweiten Bissen bewahren können, aber sie so ins offene Messer rennen zu lassen, amüsierte ihn viel zu sehr, um einzugreifen. Außerdem würde es Shanaya nicht umbringen. Allerhöchstens hing sie ein Stündchen über der Reling und wurde wieder los, was sie sich da gerade an futterte.
„Weil man normalerweise nur die Kerne isst.“ Ein neuerliches, halb unterdrücktes Lachen lag in seiner Stimme und die tiefgrünen Augen leuchteten belustigt. „Die Schale und die weiße Haut sind ungenießbar.“,
klärte er sie so sachlich wie nur möglich auf. Und immerhin behielt er den Rest des angeschnittenen Apfels für sich. Für den Fall, dass ihr die bittere Schale so gut schmeckte und sie unbedingt einen Nachschlag verlangte.