04.07.2018, 13:07
Der Dunkelhaarige stieß in einem halb unterdrückten Lachen die Luft aus und warf ihr einen vielsagenden Seitenblick zu. Es war offensichtlich, dass er weder bedauerte, ihr gestern den Zwieback geklaut zu haben, noch dass er jetzt die Absicht hatte, sie dafür zu entschädigen. So schnell würde sie schließlich nicht verhungern. Nicht wegen eines Zwiebacks. Denn wie sich Hunger wirklich anfühlte, wie sich verhungern anfühlte, das wusste Lucien nur zur Genüge – einer der Gründe, weshalb er so gerne aß. Und weshalb er Essen nicht gern teilte. Außer mit Talin.
Doch der junge Mann erwiderte nichts mehr, biss stattdessen genüsslich in sein Obst und in den grünen Augen blitzte der Schalk auf, als der Blick der Schwarzhaarigen, der ihre nächsten Worte begleitete, kurz an ihm hinab wanderte. So viel zum Thema verhungern. Denn drei, vier, fünf Tage gutes Essen reichte bei Weitem noch nicht aus, um die Rippen unsichtbar werden zu lassen, die sich unter seiner Haut abzeichneten. Aber darauf spielte Shanaya schließlich auch nicht an.
„Du scheinst mir nicht die Sorte Frau zu sein, die einen Ritter nötig hat.“,
warf er gelassen ein, bevor er realisierte, was sie über ihre eigenen Pläne gesagt hatte und in einer Mischung aus angenehmer Überraschung und Belustigung die Augenbraue hob.
„Sieh an, dann hatten wir beide also die gleiche Idee. Und ich habe dich nicht nur vor dem Verhungern, sondern auch vor dem Verdursten gerettet... Du kannst dich richtig glücklich schätzen, dass ich zufällig hier lang kam.“
Ein kleines bisschen klang seine Stimme geradezu selbstgefällig. Wer wusste schon, ob Shanaya es noch irgendwann auf diesen Baum geschafft hätte. Bevor die Erschöpfung sie dahin raffte und sie keine Kraft mehr hatte, um nach Proviant für sich selbst zu suchen.
„Was hältst du davon, wenn wir uns zusammen tun und gemeinsam weiter suchen?“ Kurz leuchtete ein herausforderndes Funkeln in den grünen Augen. „Ich hoffe nur, wir treffen unterwegs nicht noch jemanden aus der Mannschaft.“