22.06.2018, 12:35
Shanayas Gefühl vertiefte sich förmlich mit jedem weiteren Wort ihres Gegenübers. Das waren nicht die Worte eines Marinesoldaten. Die drückten sich eher aus wie... Enrique. Wahllos, als würde sich ihr Hirn im Kreis drehen. Ob es das war, was sie so misstrauisch machte?
„Auch nicht jedes Tier ist ein Aasfresser. Manche warten eben lieber, bis sie ihre Beute jagen und selbst erlegen können.“ Shanayas Antwort wurde von einem munteren Grinsen untermalt, wobei sie leicht mit den Schultern zuckte. „Aber bei mir brauchst du dir keine Sorgen machen, solange du dich benimmst.“
Ihre Worte waren nicht einmal gelogen. Auch wenn man einer sie vermutlich für ein eiskaltes Biest hielt – sie hatte kein Problem damit, ein ganzes Marineschiff in die Luft zu jagen, uyuyu! - war sie nie der Typ gewesen, der sich blind in den Kampf geworfen hatte, um zu töten. Der Großteil der Menschheit war ihr diesen Aufwand einfach nicht wert. Was sollte sie sich mit Blut besudeln, wenn das Opfer ihr an ihrem hübschen Hintern vorbei ging? Da gab es wichtigeres, auf das sie sich konzentrieren konnte.
Die Schwarzhaarige lauschte der kleinen Selbsteinschätzung des Mannes, wog daraufhin leicht den Kopf zur Seite und musterte ihr Gegenüber noch einmal prüfend, als ob sie ihn auf etwas Weiteres prüfen musste. Nur wenige Herzschläge, ehe sie zustimmend nickte, und ihm wieder direkt ins Gesicht blickte.
„Mit dem was du sagst, wirkst du jedenfalls vernünftiger als dein... Freund.“
Der, der vehement behauptet hatte, keine Angst zu haben – den sein Ausdruck und sein Verhalten aber verraten hatten. Und wenn er doch keine Angst hatte... Tja. Dann war er vielleicht einfach wirklich nur eine der hohlsten Nüsse, die sie je kennen gelernt hatte. Aber ihre Worte an Kaladar bedeuteten Nichts. Vernunft war Nichts, was nicht bedeutete, dass man nicht trotzdem nur heiße Luft im Kopf haben konnte. Aber... Nummer zwei nutzte seine Chance wesentlich klüger als der Andere.
Die 'Dankesworte' ihres Gegenübers ließen die Schwarzhaarige leicht schnaufen, aber sie schmunzelte. Auch wenn allein schon die Wortwahl vor Sarkasmus nur so triefte.
„Wenn man mich richtig zu behandeln weiß, bin ich die Güte und Freundlichkeit in Person.“
Erneut zuckte die junge Frau mit den Schultern, überlegte bei den nächsten Worten einen Moment.
„Willst du das nicht lieber selbst heraus finden? Ich finde es furchtbar langweilig, nur mit den Erzählungen von anderen zu leben.“
Das hatte sie wirklich noch nie gekonnt. Mit dem zu leben, was andere ihr erzählt hatten. Sie wollte die Dinge selbst erleben, ihre eigenen Abenteuer. Ihre eigenen Geschichten. Alles andere hinterließ nur Unzufriedenheit.
„Glaub mir, wenn du mich störst, erfährst du es. Aber ich habe nicht vor, noch lange hier zu bleiben. Je mehr Zeit ich auf der Insel verbringe, desto mehr finde ich über sie heraus.“
Und damit glitt ihr blauer Blick für einen Moment auf das Notizbuch in ihrer Hand, ehe er zu der Insel glitt, dabei ein vorfreudiges Lächeln auf den Lippen.