30.04.2018, 19:42
Als die Augen des Leutnants an ihr hängen blieben, versteifte sie sich etwas, hielt seinem Blick aber stand. Sie wusste nicht recht, was sie von diesem Mann halten sollte. Natürlich verstand sie seinen Schmerz – oder Trauer oder Wut – aber sie konnte nicht anders, als ihm gegenüber skeptisch zu bleiben, auch wenn sie Luciens Urteil vertraute. Wenn ihr Bruder meinte, er müsse dem Soldaten so etwas anbieten, dann würde sie sich nicht dagegen wehren, egal was der Dunkelhaarige von ihr hielt oder sie von ihm. Deshalb blieb sie ja auch. Weil sie das lieber mit ihm klären sollte, nahm sie an diesem Gespräch teil, obwohl sie vorerst noch schwieg.
Ihr Blick glitt zwischen den beiden Männern hin und her und sie zog leicht die Augenbraue hoch bei diesem...fast freundschaftlichen Gespräch. Da fühlte sich die Blonde beinahe wie ein Störfaktor, denn sie war nicht Teil dieses Gespräches. Die Tatsache, dass der Leut...Enrique sie auch immer wieder ansah und das Gefühl dadurch nur noch verstärkte, machte es nicht viel besser. Sie war ein Eindringling, der der Unterhaltung nur schweigend folgen konnte. Trotz allem, oder vielleicht gerade deshalb, musste sie lächeln. Es amüsierte und faszinierte sie, Einblicke in das Verhältnis der beiden zu erhalten, damit sie sich ein Bild des Mannes in Uniform machen konnte.
Dennoch blieben Talins Augen schlussendlich an Lucien hängen, als er sich in Bewegung setzte und sich neben ihr an den Schreibtisch lehnte. Kurz trafen sich ihre Blicke und sie schmunzelte leicht, bevor sie mit den Schultern zuckte. Sie wusste, was er als nächstes sagen würde und widersprach ihm nicht. Genauso wenig ging sie kleinkariert auf Enriques Spitze ein. Ja, hier trafen sie beide – Lucien und Talin – die Entscheidungen. Das war eine Tatsache. Wobei es gut war, dass ihr Bruder das Reden übernahm, denn wenn sie dem Marinesoldaten das Angebot gemacht hätte, dann würde er es sicher schlechter aufnehmen. Trotzdem konnte sie es sich nicht verkneifen, Luciens Worte noch zu ergänzen. Sie verschränkte ebenfalls locker die Arme vor der Brust und legte den Kopf leicht schief.
„Ich gehe davon aus, dass – solltet ihr vom Schiff wollen – ihr vorsichtig sein müsst. Egal wie man es dreht und wendet, ihr seid fahnenflüchtig und damit gesuchte Verbrecher. In eurer jetzigen Aufmachung würdet ihr auffallen wie bunte Hunde.“ Sie streckte das Kinn vor und sah Enrique an, als wollte sie ihn zwingen, ihr zu widersprechen. „Wir können euch natürlich Kleidung besorgen und ich kann euch ein paar Leute nennen, die euch die erste Zeit auch helfen würden, wenn du das willst.“ Kurz drehte sie noch einmal den Kopf, sah Lucien mit leicht fragend hochgezogener Augenbraue an, bevor sie dann wieder zu Enrique sah. „Wenn du allerdings bleiben möchtest, musst du damit leben, uns beide als Captain zu haben. Oder wäre das ein Problem für dich?“ fragte sie mit einem süßen, falschen Lächeln auf den Lippen.