24.04.2018, 11:43
Warum sind wir dann die einzigen hier?, schoß es ihm vorwurfsvoll bei Rayons Worten durch den Kopf. Doch dafür gab es mehr als genug Gründe. Die Muskeln in seinen Fingern spannten sich an, drückten gegen den Becher und gegen die Puppe. Und eventuell war dieser kleine Gauner genau so hier gestrandet, fiel ihm ein. Auch hielt ihn das erspähte Lächeln und der sanfte Ton davon ab die Frage sarkastisch und laut zu stellen.
Schuld?, dachte er verwundert. Hatte er in diesem Zusammenhang über das Thema Schuld überhaupt schon nachgedacht? Schuldete er hier irgendjemandem was? Kaladar? Nein. Zwischen ihnen gab es keine Schuld, sie standen füreinander ein. Da gab es nichts, keine Fragen, keine Schulden, kein Zögern. Rayon? Jetzt, nachdem er sich bedankt hatte eigentlich nichts mehr. Gregory? Kaladar mochte vielleicht glauben ihm etwas zu Schulden. Enrique respektierte was der Mann für seinen Begleiter tat, sah sich aber nicht in dessen Schuld. Lucien? Nein. Sie waren quit. Talin? Ja. Ihr schuldete er noch seine Meinung. Genau wie die Schwarzhaarige noch was zu hören bekommen würde! Aber er glaubte nicht, das sein Gegenüber das damit gemeint hatte. Dem Rest? Nein. Dem Einzigen, dem er wirklich noch etwas schuldete war Samuel.
"De nada."
Seine Antwort auf den Dank war leise und klang leicht verwundert und angespannt. Sicher, es gab viel zu tun und er nahm dem Schwarzen einiges unaufgefordert ab. Seiner Meinung nach gab es da trotzdem nichts, wofür der sich bedanken hätte müssen. Er atmete tief durch und versuchte sich zu entspannen. Der Koch hatte es nicht verdient, dass er ihn anknurrte. Doch der wechselte ausgerechnet zu diesem Thema.
"¡Teh! Kameraden."
Es war heraus, bevor er darüber nachdenken konnte. Wut explodierte in ihm, mischte sich in seine Erschöpfung und ließ ihn die Finger noch mehr verkrampfen. Und dennoch, hielt ihm seine Verstand vor, es waren seine Kameraden gewesen, die meisten ganz normale Leute, die ihm zwar nicht persönlich nahe standen aber er kannte sie alle und war für sie verantwortlich gewesen! Namen und Gesichter huschten vor seinem geistigen Auge vorbei und ließen ein längeres, möglicherweise unangenehmes Schweigen entstehen.
"Kaum einer von ihnen würde mir nachtrauern wenn es mich erwischt hätte, aber die meisten waren deswegen trotzdem keine schlechten Menschen, sondern nur einfache Leute mit ihren eigenen Problemen und Vorurteilen", meinte er schließlich gepresst, seine Stimme so neutral wie möglich haltend. Das letzte Wort war trotzdem leicht geknurrt, was aber eher daran lag, dass er an die Vorurteile der Offiziere und Oberen dachte und daran, dass man ihn weder gelassen noch andere die Verantwortung getragen hatten obwohl es ihre Aufgabe gewesen war.
Er hob die Linke vom Schoß, ließ den Inhalt auf den Tisch gleiten, packte den Becher mit beiden Händen, als wolle er ihn zerquetschen. Falls der Smutje darauf achtete konnte er an den Kanten der Muscheln des kleinen Holzperlenpüppchens etwas Rotes schimmern sehen.
"Dummerweise reichen ein paar—" Hass drängte sich in ihm zur Wut und legte sich lauernd in seine Stimme. "Dummerweise reicht ein arrogantes Schwein an der richtigen Stelle aus um aus einem Schiff die Hölle zu machen. Und wo eines ist..."
Zorn ließ ihn den Satz unbeendet lassen. Er schloss die Augen. Für einen Moment kehrte die Erschöpfung zurück und ließ ihn müde anfügen:
"Möglich das Talin ihnen einen großen Gefallen getan hat. Aber es tut mir um die Familien leid, die jetzt ohne sie auskommen müssen."
Überrascht stellte er fest, dass das der Wahrheit entsprach. Er, der sich für nichts und niemanden wirklich interessierte, bedauerte die Angehörigen der Verstorbenen. Die Familien der einfachen Soldaten taten ihm wirklich leid. Hawkings Frau, Pedros kranke Mutter, Stans Kinder, die Liste schien endlos. Und er war schuld. Hätte er sie nicht verraten, Talins Plan unterstützt, hätte sie das Schiff—
NEIN!
Er riss die Augen auf, die schwarz vor Wut blitzten. Seine Knöchel färbten sich abermals weiß und sein Blick bohrte sich in den Becher.
Er war nicht schuld.
Schuld war Talin, weil sie die sich ihr bietende Gelegenheit nutzte, anstelle dass sie auf ihn hörte, und vor allem Harper, weil er sie ihr bot!
Langsam hob er, bei den folgenden Worten, den Blick und sah Rayon an.
"Wenn dich der Tod dieser Menschen also so sehr stört, dann bedanke dich bei diesem überheblichen Drecksack von möchtegern Capitán namens Louis Harper! Hätte der seine Aufgabe vernünftig erledigt, hättest du dich wohl von deinem Goldlöckchen verabschieden müssen, denn dann hätte mein eingreifen keinen Unterschied gemacht!"
Er war fürchterlich wütend, hasste Harper immer noch und auch allein dafür, dass der bereits jetzt schon tot auf dem Meeresgrund lag und er ihn nicht noch einmal töten konnte. Doch dieser Hass galt nicht dem Smutje und bis jetzt hatte er es so gut es ging vermieden seine Wut über jemanden an jemand anderem auszulassen. Also Zwang er seinen Blick beiseite und knurrte:
"Ich hasse diesen infantilen Hornochsen, nicht dich. Versteh das nicht falsch!"