23.04.2018, 12:23
Ein wenig unheimlich war Cornelis Blick ja schon, gerade für die beiden Kinder, viel hatten sie bisher nämlich nicht mit Blinden zu tun gehabt und vor allem Isabella irritierte er sehr.
"Taiguey", wisperte sie, eingeschüchtert und sich in die Sprache ihrer Mutter flüchtend, die formelle Begrüßung der Ara'tayu. "Naboria daca."
Enrique fiel es nicht auf und der Steuermann sprach scheinbar unbeirrt weiter. Die Enthüllung ließ den Jungen hörbar nach Luft schnappen. van der Meer konnte aus irgendeinem Grund nicht sehen! Unruhe befiel ihn und sorgte dafür, dass der Schwall an Fragen nicht ausgesprochen wurde. Warum? Hing das mit Cornelis Verletzung zusammen? Oder war er daran schuld? No, halt, das konnte nicht sein, das war ja bestimmt schon vorher so gewesen. Weswegen sonst der Verband vor Cornelis Augen? Was war eigentlich passiert? Warum hatte er ihm das nicht schon im Hafen gesagt, dann hätte er... Hätte er... Hätte er was? Was hätte es geändert? Bestürzt senkte er den Blick. Wiedereinmal hatte er den fünften Schritt vor dem ersten getan. Enrique wollte gerade etwas erwidern, da setzte der Rotbart sich auf.
"¡Wu'a señor!", entfuhr es ihm mit erhobener Stimme. "Sie müssen liegen bleiben."
Die Aktion des Seemannes kam zu überraschend, als dass der Junge den Impuls mit dem Wissen aus ihrem Gespräch hätte verbinden können. Enriques Ausruf war zwar an den Ort, aber wahrscheinlich nicht an Cornelis Gesundheit und definitiv nicht an Isabellas empfindliches Wesen angepasst. Gleichzeitig stürzte er an die Seite des Steuermannes um ihm die Hände auf die Schultern zu legen und ihn zurück ins Bett zu drücken. Doch der ließ sich nicht abhalten, stoppte mit seinen Anweisungen den Zehnjährigen, bevor der ihn überhaupt berühren konnte.
Verwirrt starrte er den Rotbart an. Was wollte er? Etwas zu trinken? Und einen Lehnstuhl? Saft und Tee standen in der Tat bereit, aber Bier und Wein? Enrique wirbelte herum, beschämt und aufgewühlt, weil er so Vieles nicht gefragt hatte, deswegen bestrebt, dem Mann jeden Wunsch zu erfüllen. Auch trieb ihn das Gefühl unzureichend zu sein fort. Dazu kam der Wunsch zu gefallen, sowie Gewohnheit und Trotz, erwartete sein Vater in solchen Fällen, wo Enrique etwas vergessen hatte, sofortiges Handeln und mit einer Flucht entging der Zehnjährige zunächst jeglicher Strafe. All diese Emotionen mischten sich zu einem für Enrique unaufhaltsamen Impuls, der ihn ohne nachzudenken handeln ließ.
"Ich hol' ihnen was!" rief er schon fast von der schweren Holztür her. Kurz darauf wurde sie geöffnet und wieder geschlossen.
Isabella war derweil mit einem leisen Wimmern zwei Schritte zurückgewankt und verzog das Gesicht. Wieso mussten nur immer alle so laut und hektisch werden? Vor allem Enrique? Ihr Blick folgte ihm zur Tür und blieb dort hängen. Für einen Moment kehrte still ein, ehe das Mädchen sich des Gastes entsann und sich regte.
"Der Sessel— Da— Er— Er steht gleich da am Fenster..." Vorsichtig trat sie näher an das Bett. "Soll ich dir zeigen wo?"