23.04.2018, 08:38
Natürlich war Trevor dort, wo das Chaos am größten war. Wäre ihre Situation nicht so ernst gewesen, hätte Rayon wahrscheinlich gelacht, so beließ er es bei einem innerlichen Schmunzeln, das er sich während der kurzen Verschnaufpause gerade so gönnen konnte. Der blonde Scovell war wahrscheinlich der einzige, der frohlockend in eine Schlacht lief, ohne sich auch nur im Geringsten Sorgen um das eigene Leben zu machen - in gewisser Weise war das beneidenswert, gleichzeitig würde es ihm aber mit ziemlicher Sicherheit irgendwann den Kopf kosten. Gregory war da ganz anders. Er hasste das Kämpfen und der Zweikampf mit einem entschlossenen Gegner zählte ganz sicher nicht zu seinen Stärken. Dass er sich trotzdem halbwegs zur Wehr setzen konnte, lag insbesondere an dem Training auf hoher See, das ganz automatisch dazu führte, dass man zumindest genug Kraft aufbringen konnte, um die Schläge eines Angreifers abzufangen. Trotzdem war Rayon froh, ihn in seiner Nähe zu wissen, wo er im Notfall intervenieren konnte.
Ganz nebenbei fragte er sich, wie ein Mann mit einer derart ausgeprägten Abneigung gegenüber Blut wie Gregory die medizinische Versorgung der Crew übernehmen konnte.
Aus dem Augenwinkel sah der Schiffskoch, wie einer ihrer Kameraden - es musste Griffiths sein - in arge Bedrängnis geriet, als zwei ihrer Feinde ihn in die Mangel nahmen. Kurz entschlossen griff er nach der Tasche mit Wurfmessern an seinem Gürtel, zog eines davon heraus und warf es zielsicher in seine Richtung. Es traf den einen Piraten der Queen Joanna genau in den Hals, Blut spritzte, der Mann taumelte einige Schritte zur Seite und fiel über die Reling. Das änderte jedoch nichts daran, dass Griffiths nicht mehr schnell genug reagieren konnte, um seinen anderen Gegner davon abzuhalten, ihm seinen Säbel in den Bauch zu stechen. Mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck brach ihr Kamerad zusammen - er würde den morgigen Tag nicht mehr erleben. Rayon wandte den Blick ab und versuchte, die aufkommende Übelkeit in seinem Magen zu bekämpfen. Diese verdammten Hurensöhne. Er wusste, dass Griffiths eine Frau und drei Kinder auf Calbota hatte, die ihn nie mehr wiedersehen würden.
In diesem Moment bekamen sie Gesellschaft - und zwar von Trevor, der es tatsächlich geschafft hatte, sich irgendwie durch das Gedränge zu kämpfen und dabei nicht zu sterben. Das Blut auf seiner Kleidung und an seinen Händen deutete allerdings darauf hin, dass es mindestens einem Piraten, der sich ihm in den Weg gestellt hatte, anders ergangen war - ebenso wie demjenigen, der gerade noch die Klingen mit Gregory gekreuzt hatte, denn auch mit dem machte der Blondschopf kurzen Prozess.
"Schön, dich zu sehen, Trevor", sagte Rayon lächelnd und nickte ihm zu, ehe auch er es wieder mit einem Gegner zu tun bekam.
Nur nebenbei bekam er Fetzen dessen mit, was Trevor seinem Bruder zu erzählen hatte, während er die Axt nach oben riss, um den Schlag des Piraten abzufangen, der eine solche Wucht hatte, dass er beinahe in die Knie gegangen wäre. Nur durch die Kraft in seinen Beinen konnte er seine aufrechte Position beibehalten, was ihm sicherlich das Leben rettete - außer Gefahr war er dadurch jedoch nicht, denn sein Gegenüber machte keine Anstalten, zu einem erneuten Schlag anzusetzen, sondern drückte den Säbel gegen den Schaft seiner Axt. Rayon verengte die Augen, Schweißperlen tropften von seiner Stirn, während er sich der Energie der Muskelberge seines Gegners erwehrte. Schließlich hatte er genug von der Pattsituation, drückte die Arme mit einem Aufschrei nach oben und trat dem Silverstone-Piraten kurzerhand mit dem Stiefel gegen die Brust, was diesen einige Meter nach hinten katapultierte - genau in den ausgestreckten Säbel eines ihrer Kameraden hinein. Rayon funkelte den Mann, der ungläubig auf seine durchstochene Brust starrte, an und wandte sich dann wieder den Scovells zu.
"Kannst du mit denen hier umgehen, Greg?", fragte er, zog einige Wurfmesser aus seiner Tasche und hielt sie ihm hin. "Mehr kann ich dir leider nicht anbieten."
Noch während er die Antwort des Blauäugigen abwartete, sah er Trevor wie wild mit den Armen fuchteln und drehte den Kopf, um sehen zu können, wessen Aufmerksamkeit er erringen wollte. Als er realisierte, WEN der Scovell da gerade anlockte, machte sein Herz einen ungläubigen Hüpfer.
"Bist du verrückt?", rief er und versuchte, Trevor zu stoppen, doch es war bereits zu spät. Der Hüne mit dem Morgenstern hatte sie bereits ins Visier genommen und stampfte zu ihnen herüber. Fluchend drückte Rayon Gregory die Messer in die Hand - ob er sie benutzen wollte, war seine Entscheidung - und festigte den Griff um seine Streitaxt, um dem Monster von einem Mann entgegenzutreten.