07.04.2018, 21:14
Es war nicht das erste Mal, dass Enrique in der Kombüse auf ihn wartete, seitdem sie das brennende Wrack der Morgenwind hinter sich gelassen hatten. Der ehemalige Leutnant gab sich nicht nur beste Mühe, der Crew nicht im Weg zu stehen, sondern half an allen Ecken und Enden mit. Nicht bei all ihren Neuzugängen hatte er das Gefühl, dass sie mit vollem Engagement bei der Sachen waren - auch bei Enrique wusste er nicht, ob seine Motivation daher rührte, dass er sich mit der Crew gut stellen wollte, von ehrlicher Bereitschaft zur Mitarbeit oder schlichtweg von der Disziplin, die ihm in der Marine zweifelsohne antrainiert worden war. Zumindest konnte man mit ihm gut zusammenarbeiten, und Rayon schätzte das, gerade weil es in ihrer aktuellen Situation schon schwer genug war, jemanden zur Mithilfe in der Kombüse zu bewegen. Schließlich musste da Schiff instandgehalten und die Verletzten gepflegt werden. Entsprechend dankbar war der Schiffskoch für die Anwesenheit des ehemaligen Marinesoldaten, der alle anfallenden Aufgaben ohne jegliches Murren zuverlässig erledigte.
Heute jedoch schien etwas anders zu sein als in den letzten Tagen. Rayon hatte beinahe schon damit gerechnet, Enrique hier vorzufinden, denn das Mittagessen stand bevor und zu dieser Zeit war in der Kombüse naturgemäß am meisten zu tun. Der Schwarzhaarige schien ihn jedoch kaum zu bemerken, als er an ihm vorbei zum Herd ging und grüßte ihn nicht auf seine höflich-distanzierte Art, wie er es sonst tat. Rayon warf ihm einen musternden Seitenblick zu und erkannte einen Ausdruck im Gesicht des ehemaligen Leutnants, der ihm dort bisher nicht aufgefallen war - düster starrte er vor sich hin, hatte seine übliche Maske anscheinend in einem unbeobachteten Moment abgelegt oder war schlichtweg nicht in der Stimmung, sie aufrechtzuerhalten. Wortlos schnappte der Dunkelhäutige sich den Becher, der vor Enrique auf dem Tisch stand, nahm sich einen zweiten, schritt zum Rumfass, öffnete es und füllte die leeren Gefäße, ehe er sich dem Schwarzhaarigen gegenübersetzte und die Becher auf die Holzplatte stellte.
"Wir können reden oder einfach nur trinken. Ganz wie du willst", sagte er mit einem sanften Lächeln, prostete seinem Gegenüber wie zur Bestätigung seiner Worte zu und nahm einen Schluck aus dem Becher. Der Rum brannte angenehm in seiner Kehle und Rayon schloss kurz die Augen, um den Geschmack intensiver wahrnehmen zu können.
Als er sie wieder öffnete, richtete er seinen Blick bewusst nicht auf Enrique, sondern eine der leich ramponierten Planken hinter ihm. Er wollte ihm keinesfalls das Gefühl geben, in die Enge getrieben zu werden. Aber wenn der ehemalige Leutnant reden wollte, war er gerne dazu bereit.