01.04.2018, 22:44
Seine Augen striffen über Lucien, der sich anzog, den Eimer, die Möbel, bis hin zu Talin und dem Tisch mit den Papieren darauf, an dem sie lehnte und blieben an ihr hängen. Zorn regte sich. Er hatte mit Lucien reden wollen, nicht mit ihr. Mühsam sperrte er das Gefühl und diesen Gedanken in seinen Hinterkopf und hielt die neutrale Maske auf seinem Gesicht aufrecht. Sie war also anwesend. Und sie reagierte auf seine Aufmachung. Etwas anderes konnte es kaum sein, dass sie die Augenbrauen heben und ihren Mund hinter der Hand verstecken ließ. Wenigstens ihren Tag hatte er auf diese Weise also etwas surrealer gestalten können. Aber ob sie auch seine Gründe verstand? Sollte er es ihnen erklären? No. Noch nicht. Erst musste er anderes in Erfahrung bringen.
Ihr grüßendes Nicken erwiderte er knapp, sah sie noch einen Moment lang an, doch sie schwieg. Dabei stellte er überrascht fest, dass ihre Anwesenheit ihm dann doch einen Teil seiner Unruhe nahm. Klar, sie störte ihn immer noch, dagegen etwas unternehmen konnte er aber nicht. Zumindest nicht, ohne dieses Gespräch von vornherein zu einer Katastrophe zu machen.
Vielleicht lag seine Ruhe aber auch daran, dass er jetzt hier war und es eh kein zurück mehr gab. Wenn es schief ginge, ginge es eben schief. Diese Art Fatalismus hatte ihn schon häufiger Dinge einfach hinnehmen lassen, über die er sich sonst maßlos aufgeregt hätte.
Außerdem wusste er jetzt woran er war.
Also wandte er sich dem Schmuggler zu, der ihm ebenfalls grüßend zunickte und dann anfing zu reden. Interessanter Weise entlockte ihm die Uniform kaum eine Reaktion. Verbarg er sie nur oder war ihm Enriques Aufmachung tatsächlich egal?
Trotz der Aufforderung sich zu entspannen legte der Offizier die Hände hinter seinem Rücken ineinander und nahm eine aufrechte, militärische Haltung an. Noch war Harper zu präsent, als das er die antrainierten Reflexe von vornherein unterdrücken oder gar abgelegt hätte haben können. Und der hätte jede andere Haltung trotz so einer Aufforderung als inakzeptabel angesehen.
Und so betrachtet entspannte es Enrique tatsächlich, war ihm diese Reaktion doch vertraut und hatte sie ihn bis jetzt vor weiteren Unannehmlichkeiten einigermaßen geschützt.
Über die Worte "Niemand in dieser Kajüte ist dein Feind" mußte er wider erwarten schmunzeln. Hatte er Luc und Talin als Feinde gesehen? Sah er sie so? Er wusste nicht, was er von ihnen halten sollte. Luc? Nein. Talin — war ein anderes Problem. Und es gab mindestens einen Feind in seinem Leben, mit dem diese Beiden es bis jetzt definitiv nicht aufnehmen konnten.
Die eindeutige Anspielung ließ ihn dann mit breitem Grinsen den Kopf schütteln.
"Wenn du mich weiter Leutnant nennst, dann wird es sich für mich nicht so anfühlen Dravean. Auch wenn das nichts mit dir zu tun hat. Probier es mit de Guzmán oder Enrique."
Er seufzte, ehe er den Blick hob und Lucien direkt ansah.
"Und um deine Frage zu beantworten: Die Ironie ist mir nicht entgangen. Aber streng genommen habe ich die gleiche Wahl wie du: Mich einer wie auch immer gearteten Zusammenarbeit zu entziehen oder das zu tun, was mir Vorteile bringt."
Der Schwarzhaarige verspürte den drang, auf und ab zu wandern, hätte ihm das doch beim Nachdenken geholfen. Stattdessen begnügte er sich damit, die Arme vor der Brust zu verschränken und kurz zur Blonden hinüber zu spähen. Etwas dunkles regte sich in seiner Brust und drohte ihn aus der Ruhe zu bringen. So wie sie da lehnte, mit ihrer spitzbübischen Art, ihrer unverholenen Neugier, wollte er am liebsten — ja was eigentlich? Ruckartig drehte er den Kopf zurück. Dafür war jetzt keine Zeit. Er musste sich konzentrieren. Das Lächeln war von der neutralen Maske verschwunden. Dennoch bemühte er sich um einen ruhigen Tonfall.
"Welche Möglichkeiten diese Zusammenarbeit beinhaltet, wie weit sie geht und welche Vorteile das sind, das ist hier die Frage. Was also bietest du mir? Oder müsste ich eher ihr sagen?"
Erneut musterte er Talin, dieses Mal deutlich und auffordernd. Er spürte den Drang, sie mit Fragen zu löchern, sie zu nötigen sich ihm zu enthüllen, ihr seine Wut entgegenzuschleudern, sie zu packen und aus der Kajüte zu entfernen und noch einiges mehr, verschloss das alles aber tief in sich, wo es niemand mitbekam und es sich mit anderen, dunkleren Gefühlen vermischte. Ruhe. Er musste Ruhe bewahren. Es würde ihn viel Mühe kosten aber nach all den Jahren konnte er das. Und er konnte warten. Auch wenn ihm eine innere Stimme die Frage vorhielt, warum er den Schmuggler gerade so kleinkariert verbessert habe, wo er doch wisse, dass ihm das höchstens Minuspunkte einbrächte? ¡Maldita! Verwünschte er sich innerlich. Soviel zum Thema: 'erst Denken, dann reden'...
Auch das schob er bei Seite um sich wieder gänzlich auf das Gespräch zu konzentrieren. Wer würde antworten? Und wie?