20.03.2018, 21:45
Wirst du glücklich sein? Sie starrte diese Worte immer und immer wieder an, während Lucien mitten im Raum vor einem Eimer mit sauberem Wasser stand. Wirst du glücklich sein? Ja, hätte die Antwort noch bis vor ein paar Tagen gelautet. Keine Ahnung war es jetzt, was sie würde antworten müssen. Oh, sie war glücklich, dass sie ihren Bruder befreien konnten, sie platzte fast vor Glück, dass er immer noch am Leben und nun in Sicherheit war. Doch war es nicht mehr das Gleiche, nicht so, wie sie dachte, dass es sein würde. Wobei das auch ziemlich blauäugig von ihr gewesen war. Wie konnte es wie früher sein, nachdem sie beide Dinge erlebt hatten, über die sie nicht sprechen konnten...oder wollten.
Ihre Hand glitt unbewusst unter dem schweren Tisch zu ihrem Bauch, als sie Wasser plätschern hörte. Langsam hob sie den Kopf von dem Brief und sah ihren Bruder an, wie er halbnackt dort stand und sich frisch machte, das erste Mal alleine, seit dem Tag, an dem sie zurück auf die Sphinx gekommen waren. Wirst du glücklich sein? Tja, weiterhin würde die Antwort wohl ja und gleichzeitig keine Ahnung lauten, aber sie hatte auch nicht mehr den Nerv darüber nachzudenken.
Ein wenig angewidert, schob sie den Brief und den leeren Zettel, auf dem sie ihre Antwort schreiben wollte, von sich und ihr Blick glitt von Lucien zu dem Eimer, vor dem er stand. Und schon dachte sie an den Mann, den sie vorhin beim Wasser hohlen in die Kajüte eingeladen hatte. Sie wusste nicht so ganz, was sie von dem Marinesoldaten halte sollte. Er mochte sie nicht, was sie verstehen konnte, nachdem sie sein Schiff in die Luft gejagt hatte, aber außer diese Ablehnung spürte sie keinen Hass auf sich, oder er wusste diese Gefühle sehr gut zu verbergen. Vielleicht würde dieses Gespräch sie endlich einmal erleuchten, denn Unwissenheit war ein Gefühl, womit sie nicht gut klar kam.
Luciens plötzliche Worte schreckten Talin ein klein wenig auf und sie hob den Blick, den sie unbewusst wieder auf den Brief gelegt hatte, zu ihrem Bruder. Seine Frage brachte sie etwas aus dem Konzept, denn – ganz ehrlich? - weiter als bis zu seiner Rettung hatte sie nie gedacht. Obwohl in ihrem Kopf ziemliche Leere herrschte, blieb sie für ein paar Sekunden still, als würde sie überlegen.
„Ehrlich gesagt...ich hab keine Ahnung. Weiter als bis zu deiner Rettung habe ich nie gedacht.“ Die Blonde stand auf, um dem Gefühl der plötzlichen inneren Unruhe Platz zu machen. Sie ging einmal um den Tisch herum und setzte sich schließlich halb auf eine von dessen Kanten. „Wir können alles machen, was wir wollen. Alle sieben Welten stehen uns offen. Wir können Schiffe plündern, Kehlen aufschneiden oder Drachen jagen.“
Bei dem letzten Wort schmunzelte sie leicht und hoffte damit auch Lucien ein Lächeln zu entringen. Denn nichts hatte sie so sehr in den letzten Jahren vermisst, wie das verschmitzte Lächeln ihres Bruders. Und seit seinem Abschied vor drei Jahren bis jetzt, hatte sie es auch noch nicht wieder gesehen.
Letztlich riss sie ein Klopfen an der Tür aus ihren Gedanken. Sie sah dorthin, blieb still, weil Lucien den Gast hineinbat, und die Tür ging auf. Herein trat Enrique, was sie natürlich nicht verwunderte. Seine Klamotten hingegen, ließen ihre Augenbrauen verwundert nach oben wandern und ihre Hand heben, damit er ihr etwas abfälliges Grinsen nicht sehen konnte. Als würde er zum Erschießungskommando gehen.
Vermutlich hatte der Soldat keine andere Kleidung als seine Uniform, aber dennoch zeigte man sich Piratenkapitänen nicht in seiner Marinemontur. Oder dem was davon übrig war. Aber sie sagte nichts dazu, räusperte sich nur kurz und nickte dem Mann grüßend zu, nachdem sie ihre Hand herunter genommen hatte. Was ihr Bruder genau mit Enrique besprechen wollte, interessierte sie auch sehr, deshalb würde sie ihre eigene Frage an den Lieutnant zurück halten und erst einmal nur zu hören.