19.03.2018, 16:24
Enrique war auf dem Weg zur Kapitänskajüte während die Gedanken in seinem Kopf einander jagten:
Es war also endlich soweit. Das Warten vor verschlossener Tür hatte ein Ende. Zumindest für ihn, schien doch ein guter Teil der Crew ebenfalls gespannt auf den neuen Capitán zu sein. Erstaunlich, wo sie für ihn ihr Leben riskiert hatten. Aber wenn sie ihn nicht kannten, dann war die Crew entweder lebensmüde, allesamt Draufgänger oder Talin bedingungslos loyal. Wahrscheinlich von allem etwas. Was für eine Mischung.
Das brachte ihn mal wieder zu Talin. Wäre sie in ihrer Kajüte, würde er um eine Konfrontation mit ihr wohl kaum herum kommen können. Und sollte das aus dem Ruder laufen, dann verscherzte er es sich wahrscheinlich gleich mit Beiden. Sein süffisante grinsen wurde von einem Schnauben begleitet. Wie typisch. Wenn machte er keine halben Sachen. Na, wenigstens konnte er sich jetzt auf das Problem stürzen, dass ihm die ganze Zeit auf die Nerven ging, wie eine juckende Stelle, wenn man sich nicht kratzen kann. Insgeheim hoffte er allerdings immer noch darauf, dass sie sich irgendwo anders auf dem Schiff beschäftigen würde. Einfach weil ihr Bruder sich das ausgebeten haben mochte.
Gut, gestand er sich ein, zunächst war er erleichtert gewesen, dass sich auch die Draveans zurückzogen. Immerhin hatte er genug persönliches zu erledigen gehabt. Doch bereits während dessen war die Frage, auf wen oder was er sich hiermit eingelassen hatte immer mehr in den Vordergrund gerückt. Je eher er das klärte, um so schneller würde er wieder ruhig schlafen und nach vorne sehen können.
Dieses Treffen brannte ihm also seit Tagen unter den Nägel.
Warum nur hatte er dann Talin abweisend erwidert, er käme, sowie er mit seinen Arbeiten fertig wäre und Gregory erbarmungslos niedergestarrt, damit der auch ja nicht äußerte, dass er den Rest alleine erledigen könnte? Das Blickduell hatte er schnell gewonnen, er wusste allerdings auch, dass der Schiffsarzt nur nachgegeben hatte, weil es ihn egal war. Um so überraschter war der dann, als der ehemalige Leutnant sich, nach Talins Verschwinden, tatsächlich bei ihm entschuldigte. Zum Glück hatte Gregory wohl gespürt, dass Enrique seine Ruhe wollte und nicht weiter nachgehackt, sondern stumm geknickt.
Da musste der ehemalige Leutnant Shanaya dann doch ein wenig recht geben:
Gerade in diesem Punkt benahm er sich momentan wirklich wie ein paranoider Irrer.
Und das war auch etwas, was ihn aus der Bahn warf:
Wieso bei allen siebzehn perros rojos schaffte er es in Talins Gegenwart nicht ruhig zu bleiben, was ihm bei den meisten anderen gelang? Shanaya wollte provozieren und er war zu angespannt. Bei ihr war es ihm klar. Aber bei Talin Dravean? Lag es an ihrem Verhalten an Bord der Morgenwind?
Seine Finger zupften abwesend an den Manschetten des Hemdes. Auch das war so ein Problem gewesen. Sollte er in Uniform gehen? Zum vollen Ornat fehlte ihm der Zweispitz und geflickt war die Uniform auch nicht. Also würde er ein tadelloses Äußeres nicht hinbekommen. Aber wollte er das überhaupt? Eine Alternative zur Uniform blieb ihm nicht. Alles was er tun konnte, wäre die Abzeichen entfernen oder auf den Rock zu verzichten, er würde ihn für ein paar Meter über Deck nicht zwingend brauchen. Am Ende war er dann doch bei voller Uniform gelandet. Alles saß so tadellos, wie es nach dem Kampf und dem Bad nur ging. Gewohnheit? Vermutlich. Größtenteils aber weil er nichts anderes hatte und ihm das einfache herunterreißen der Epaulets gegen den Strich ging.
Und da er sich jetzt Gedanken darüber machte war ihm der Hohn dieses Auftretens voll bewusst. Zusätzlich zu der Tatsache, dass es hier bestimmt viele gab, die ihn und diese Uniform am liebsten auf den Grund des Ozeans schicken wollten. Vielleicht war er doch zurecht ein bisschen paranoid?
Die letzten Meter über das Deck waren die schwersten. Anders als auf der Morgenwind fehlte ihm der Hass als antrieb und er musste ihn durch Willenskraft ersetzen. ¡Verdugo con eso! Es gab nichts in dieser Kajüte, dass er fürchten müsste. Grimmig beschleunigte er seine Schritte ein wenig, nur um kurz darauf vor der Tür zu stoppen und zu klopfen. Sollte er einfach eintreten? Immerhin erwarteten sie ihn. Also gab er ihnen den Anstandsmoment um mit "Ja?" oder "Herein!" zu antworten und trat ein.
"Du wolltest mich sprechen Dravean", meinte er, während er die Tür von innen schloss und den dämmerigen Raum mit dem Blick maß.