20.11.2017, 21:25
Einer der Männer der Besatzung hatte sich um seine Verletzungen gekümmert, nachdem man sie aus dem Wasser gefischt hatte. Sie gereinigt und mit einer Art Paste betupft, die man wohl als Salbe bezeichnen konnte. Woraus sie bestand, Yaris hatte keine Ahnung, doch sie betäubte die größten Schmerzen. Man hatte ihnen Essen und frische Kleider gegeben, die wegen seines schlechten Allgemeinzustandes an ihm schlackerte ohne Ende. Es würde seine Zeit brauchen, bis Yaris zu alter Form, Kondition und Statur zurückgefunden haben würde. Man hatte ihm unter Deck sogar eine Hängematte gegeben. Doch die hatte er nicht einmal benutzt seit er an Bord war. Nicht, weil er keinen Schlaf brauchte, sie war um einiges bequemer als der harte Gefängnisboden – mit Sicherheit sogar bequemer als so manch andere seiner Schlafstätte in den letzten Jahren. Doch Yaris brauchte das Gefühl der Freiheit, die frische Luft. Wochen eingepfercht in Ketten – mit nichts als dem Gang zur Peitsche als Bewegung – und dem Geruch von Moder, Schmerz und Tod als einzig getreuen Begleiter hatten seinen Bedarf an geschlossenen Räumen auf unbestimmte Zeit gestillt. Daher verbrachte er die gesamte Zeit über Deck. Der Schiffskoch brachte ihm das Essen sogar an Deck.
Seit dem Morgen saß der Dunkelhaarige auf der Reeling am Bug. Bedacht mit dem Rücken gegen die Takelage gelehnt, ein Bein außen an der Reeling herabbaumelnd das andere aufgestellt und einen Arm locker darüber gelegt verlor sich sein Blick in der Ferne. Als Attentäter war das Meer nicht gerade seine Heimat, doch er genoss die frische Brise und die Sonnenstrahlen auf seiner Haut, die schon vor Stunden über den Horizont gekrochen waren. Selbst an die nackten Füße hatte er sich gewöhnt, die früher immer in Stiefeln gesteckt hatten, die man ihm bei seiner Gefangennahme aber genommen hatte. Was Yaris jedoch vermisste, war das Gefühl seines Waffengürtels, seiner Wurfdolche, einfach das Gefühl, bewaffnet zu sein.
Als er den Kopf ein Stück drehte bemerkte er im Augenwinkel eine Bewegung und der Dunkelhaarige blickte auf. Weiter hinten auf dem Bug saß das Schwarzhaarige Mädchen, das bei der Befreiungsaktion dabei gewesen war. Sie sah besser aus als auf der Morgenwind, aber dennoch nicht sehr glücklich. Wohl, weil die Erholung von dem Schlag gegen ihren Kopf sie von anderen Dingen abhielt. Ganz zu schweigen die Kopfschmerzen.
Yaris musterte sie von seinem Platz aus schweigend. Sie war so jung … wie viele hier auf dem Schiff. Was trieb ein so junges Mädchen zur See und in die Piraterie. Er würde ganz sicher nicht urteilen über sie und ihr tun, weil es ihm ganz einfach nicht zustand. Er war wahrscheinlich noch jünger als sie gewesen, als er seinen Lebensweg bestimmt hatte, indem er mit gerade einmal 15 Sommern seinen Vater ermordet hatte. Und nicht einfach nur ermordet. Er hatte ihn regelrecht gemetzelt. Ihm stand ein Urteil nicht zu. Doch die Antwort interessierte ihn aus Neugier.