19.10.2017, 08:45
Immer wieder warf der Schiffskoch Gregory sorgenvolle Blicke zu, während sie mit vereinter Kraft versuchten, die Sphinx so schnell wie möglich an die sinkende Morgenwind heranzubringen. Dass der Scovell nicht auf der Höhe seiner Kräfte war, hätte selbst ein Betrunkener bemerkt - zumindest einer, der nicht ganz so viel im Kahn hatte wie Trevor -, doch in ihrer gegenwärtigen Lage war sich auch Rayon durchaus bewusst, dass sie auf seine Hilfe unmöglich verzichten konnten, wenn sie es schaffen wollten, die Crew ihres Schiffes einzusammeln und dann noch rechtzeitig vom Schauplatz zu verschwinden, ohne eine offene Konfrontation mit den beiden verbliebenen Schiffen der Marine zu riskieren. Und selbst wenn Gregory vollkommen gesund und Trevor nüchtern gewesen wäre, hätten sie dennoch eine gehörige Portion Glück gebraucht, um dieses hanebüchene Unterfangen unbeschadet zu überstehen.
Während sie verbissen in die Arbeit vertieft waren - und Rayon dankte den Göttern, dass sie es dabei nicht auch noch mit einem Sturm aufnehmen mussten -, konzentrierte der Dunkelhäutige seinen Blick immer wieder auf den brennenden Fixpunkt auf dem Ozean. In seiner Brust schlugen in diesen Augenblicken zwei Herzen. Eines, das sich über die Möglichkeit freute, in diesem Chaos den zweiten Kapitän der Sphinx und hoffentlich auch den Rest der Crew zu retten, aber eben auch eines, das sich um die Soldaten der Marine sorgte, die in ihrem Leben nichts verkehrt gemacht hatten, als eine Karriere in diesem durchaus ehrenhaften Beruf anzutreten und auf dem falschen Schiff anzuheuern. Rayon war kein Freund der Marine, dafür hatten ihm Vertreter dieser Zunft zu viel genommen, doch er war alt genug, um differenzieren zu können und sich, auch als Pirat, bewusst zu sein, dass die meisten dieser Männer einen besseren Tod verdient hatten, als bei einer Explosion jämmerlich ums Leben zu kommen.
Gerade, als ihm diese Gedanken im Kopf herumschwirrten, gab es einen weiteren, weithin vernehmbaren Knall - und der Rest der Morgenwind zerbarst in einem Inferno aus Holz und Flammen. Mittlerweile war die Sphinx nahe genug herangekommen, um das schreckliche Schauspiel in allen Details bewundern zu können, und es war nahezu ausgeschlossen, dass irgendjemand in unmittelbarer Nähe des Gefangenentransporters die Explosion und den darauffolgenden Hagel aus Schiffsteilen überlebt hatte. Es blieb also nur zu hoffen, dass ihre Kameraden es tatsächlich ins Wasser geschafft und sich weit genug von der Morgenwind entfernt hatten.
"Wir sind nah genug bei ihnen. Beiboot zu Wasser lassen", rief Rayon laut genug, dass auch Greo und Ryan ihn hören konnten. In dieser Situation war es immens wichtig, dass jeder Beteiligte genau wusste, was die anderen taten, damit sie ihre Handlungen aufeinander abstimmen konnten. Greogry eilte ihm sofort zur Hilfe und gemeinsam begannen sie, das Gefährt gleichmäßig gen Wasseroberfläche herabzusenken. "SHAAAANNY!", hörte er plötzlich Trevor links von sich rufen, und nach einer kurzen Pause ein deutlich vernehmbares Platsch. Gregory schoss herum, Rayon tat es ihm gleich, und an der Stelle, an der eben noch Trevor gestanden hatte, bot sich ihnen nur noch der Anblick gähnender Leere.
"Dieser IDIOT!", fluchte Rayon und musste gar nicht auf Gregorys Anweisung warten. Er reagierte zwar unverzüglich und ließ ebenfalls die Seile los, trotzdem geriet das Beiboot in eine gefährliche Seitenlage, ehe es auf das Wasser prallte - glücklicherweise gerade noch so, dass sich die Menge eintretenden Wassers in Grenzen hielt. Dann sprang auch schon Gregory hinterher und Rayon eilte zur Reling, starrte in die Dunkelheit und versuchte krampfhaft, irgendetwas zu erkennen. Immerhin, die brennenden Wrackteile der Morgenwind spendeten vereinzelt Licht, das aber nicht ausreichte, um mehr als dunkle Schemen wahrzunehmen - letztendlich konnte es sich dabei um Mitglieder der Crew der Sphinx, Marinesoldaten oder auch einfach nur weitere Wrackteile handeln. Sie mussten also darauf vertrauen, dass ein geschwächter Gregory und ein nach wie vor volltrunkener Trevor, falls der es überhaupt an Bord des Beiboots schaffen sollte, ihre Kameraden ausfindig machen konnten.
Trotzdem spähten seine Augen weiterhin in die Finsternis, während seine Ohren auf die Geschehnisse in unweiter Entfernung der Sphinx achteten. Gregory hatte es anscheinend irgendwie geschafft, Trevor kurzfristig unter Kontrolle zu bringen... Kurzfristig deshalb, weil der Betrunkene das Beiboot sofort wieder verließ, um wohin auch immer zu schwimmen. Als kurz darauf jedoch Gregorys Stimme nach oben schallte und verkündete, dass sie ihren Kapitän - zumindest einen von ihnen - gefunden hatten, machte sich ein erstes, vorsichtiges Gefühl der Erleichterung in seiner Brust breit. Er wies Ryan an, die Segel ein wenig einzuholen und so die Geschwindigkeit der Sphinx zu drosseln und machte sich bereit, die Schiffbrüchigen an Deck zu hieven, als er aus den Augenwinkeln ein Blinken wahrnahm. Genervt versuchte er, es als zufällige Lichtreflexion abzutun, doch die ungewöhnliche Regelmäßigkeit des Signals ließ ihn zögern. Als auch Greo ihn auf die Reflexionen hinwies, wurde ihm schlagartig bewusst, dass es sich um ein eben solches Signal handeln musste: Möglicherweise befanden sich an dieser Stelle noch andere Crewmitglieder im Wasser und versuchten verzweifelt, auf sich aufmerksam zu machen. Keine schlechte Idee, dachte er sich und holte tief Luft.
"Haltet aus! Wir sind gleich bei euch!", rief er, jegliche Vorsicht in den Wind schießend, in Richtung des Signals und hoffte, dass die dort im Wasser Treibenden realisieren würden, dass er sie meinte. Zunächst jedoch mussten sie ihren Kapitän und ihre etwaigen Begleiter in Sicherheit bringen. Angespannt wartete Rayon auf ein weiteres Zeichen Gregorys, während er geistesgegenwärtig eines der Taue neben sich griff. Unter Umständen wären einige der Schiffbrüchigen zu geschwächt, um sich mühsam die Takelage der Sphinx emporzuziehen.
[ Hauptdeck der Sphinx | erst mit Gregory am Beiboot, dann in Position, um die Schiffbrüchigen - notfalls mithilfe eines Taus - an Deck zu befördern | in Sicht- und Hörweite von Ryan und Greo, in knapper Rufweite zu Enrique und Skadi ]