26.09.2017, 14:23
Trotz der Anspannung, die seine Mimik verhärtete und dem 21-Jährigen einen kantigen Zug verlieh, verzog er in einem kurzen Anflug von Belustigung den Mundwinkel. Ganz wie erwartet erhielt er keine Reaktion auf seine Worte, außer, dass er sich bei dem Gedanken, vermutlich nicht alleine vor Erschöpfung abzusaufen, tatsächlich besser fühlte. Sein neuer bester Freund wusste es vermutlich nicht, aber geteiltes Leid ist bekanntlich halbes Leid, dachte er in einem seiner zynischen Momente.
Dann kehrte seine Aufmerksamkeit zu dem Fremden zurück, der sich ihnen unaufhörlich näherte und den jetzt auch der Attentäter ins Visier nahm. Er war gerade so weit an die beiden Männer aus Kelekuna heran gekommen, dass Lucien ihn als Gefangenen identifizieren konnte, als mehrere kleine Explosionen seinen Blick zurück auf die Morgenwind lenkten.
Wenige Sekunden später blendete ihn ein Lichtblitz, begleitet von einem Ohren betäubenden Knall. Reflexartig wandte der Dunkelhaarige das Gesicht ab, die Augen gegen die unerwartete Helligkeit fest geschlossen. Erst, als es hinter seinen Lidern wieder dunkler wurde, wagte es, erneut hinzusehen. Gerade rechtzeitig, um sich mit einem leisen Fluch vor dem Feuerregen in Sicherheit bringen zu können.
Ohne lange nachzudenken holte Lucien tief Luft und tauchte unter. Sein Arm rutschte dabei von der Planke, an der er sich festgehalten hatte, bis nur noch seine Fingerspitzen am Holz lagen und verhinderten, dass ihm seine Schwimmhilfe auf nimmer Wiedersehen davon trieb.
Als er unter Wasser die Augen öffnete und gegen den Auftrieb ankämpfend nach oben sah, sanken die brennenden Wrackteile wie flammender Regen auf die Wasseroberfläche und erloschen dort schlagartig. Ein oder zwei Stücke – er konnte es gegen die Taubheit und den Schmerz in seinem Körper nicht mit Bestimmtheit sagen – streiften dabei seine Fingerrücken und sandten ein scharfes Glühen durch seine kalte Hand. Er ließ dennoch nicht los, tauchte Herzschläge später wieder durch die Oberfläche in der Hoffnung, den schlimmsten Teil des Wrackregens hinter sich gelassen zu haben.
Glücklicherweise war dem so.
Sein Blick suchte erneut die Morgendwind - oder das, was von ihr übrig war. Ihr Heck fehlte, der Teil des Schiffes, wo es begonnen hatte, bestand lediglich noch aus zerfetzten Planken. Und das Wasser eroberte nun ungehindert jeden noch mit Luft befüllten Bereich, um das Schiff in die Tiefe zu ziehen.
Einen Moment lang war er tatsächlich sprachlos über das, was Talin mit ihrer Mannschaft da angerichtet hatte. Dann drang eine Stimme in seinen Verstand vor, die er schnell als die des fremden Gefangenen erkannte. Er war kaum einen Meter von ihm und dem Attentäter entfernt wieder aufgetaucht – vermutlich, weil auch er sich unter Wasser in Sicherheit gebracht hatte, als die Fregatte explodierte. Nun zwangen seine Worte den 21-Jährigen zu einem leisen Schnauben. Schwer zu sagen, ob aus Spott oder Belustigung. Vermutlich ein bisschen von beidem. 'Gesund' war vielleicht nicht das Wort, das er dafür gefunden hätte. Aber ansonsten konnte er ihm kaum widersprechen.
Noch einmal kehrte sein Blick zu der Marinefregatte zurück...
…und blieb an dem Schiff hängen, das aus der Dunkelheit hinter ihr erschien.
„Ich fasse es nicht...“, entfuhr ihm unwillkürlich.
Ein halb ungläubiges Lachen lag in seiner Stimme, als sein Blick die Masten des Neuankömmlings hinauf wanderte und dort leuchtend rote Segel entdeckte. Kein Zweifel, dass das jenes Schiff war, von dem Talin gesprochen hatte. Nicht mit diesen Segeln. Ihr Plan hatte funktioniert. Und er würde verdammt noch mal entkommen.
„Verrücktes Mädchen! Sie hat es tatsächlich geschafft.“
So viel mehr steckte hinter diesen Worten, als die bloße Tatsache, dass sie ihn aus der Gefangenschaft befreit hatte. Grinsend schüttelte er den Kopf, von einem unerwarteten Schwung neuer Energie erfüllt. Sie hatte es geschafft. Talin.
Die Stimme des Fremden riss ihn wieder zurück in die Gegenwart und die tiefgrünen Augen richteten sich auf den Mann, der ihnen gefolgt war, musterten ihn noch einmal gründlich, ehe er nickte. Er mochte diesen Mann nicht kennen, aber das war ja mit dem Attentäter und Talins Begleitern nicht anders. Einer mehr oder weniger – was machte das schon? Bestensfalls hatten sie zwei Hände mehr zum Anpacken. Schlimmstenfalls konnte man ihn immer noch von Bord werfen.
Die Entscheidung war bis auf Weiteres gefällt und er richtete den Blick auf das deutlich kleinere Schiff, das zu ihrer Rettung gekommen war. Talin hatte er aus den Augen verloren, kurz nachdem er ihr ein paar Worte hatte zurufen können und er entdeckte sie auch jetzt in der Dunkelheit über die kaum kopfhohen Wellenkämme hinweg nicht.
Dafür entdeckte er ein anderes Signal, nicht einmal sonderlich weit von ihnen entfernt. Ein Lichtreflex, der zu rhythmisch aufleuchtete und wieder erlosch, um natürlichen Ursprungs zu sein. Und wenn er sich nicht täuschte, galt das Licht dem neu angekommenen Schiff.
„Da drüben! Ich glaube, das sind sie.“
Lucien zog sich wieder ein Stück auf seine Planke und deutete nach vorn, ehe ein auffordernder Blick seinen beiden Begleitern galt. Und selbst im schwachen Licht der brennenden Fregatte konnte man das energiegeladene Leuchten in seine Augen erkennen.
„Na los.“
Damit setzte er sich in Bewegung.