15.09.2017, 09:38
'… weg vom Schiff...'
Das Rauschen der Wellen und der Tumult auf dem Schiff hinter ihm übertönten die Worte etwas, doch für einen Bruchteil einer Sekunde glaubte Farley, die Stimme klar und deutlich zu hören und einen der anderen Gefangenen zu erkennen. Ganz sicher war er sich nicht, klingelte doch immer noch die Explosion in seinen Ohren. Dennoch reichte es dem Dieb, um seine Schwimmbemühungen zu intensivieren und das Stück Holz, an das er sich noch immer klammerte, ein wenig schneller voranzutreiben. Es dauerte nicht lange, da kamen zwei Gestalten in Sicht. Erleichtert atmete er aus. Das hob seine Chancen ein wenig, doch noch aus dieser ganzen Misere zu entkommen. Dabei war sich Farley allerdings sehr wohl bewusst, dass er noch immer auf die Gunst dieser Gruppe angewiesen war, die er gar nicht kannte – und dass sie ihn jederzeit im Wasser zurücklassen konnten. Er musste sich irgendwie beliebt machen. Oder nützlich. Am besten beides zugleich. Während er noch fieberhaft darüber nachdachte, wie genau er das anstellen wollte, waren die beiden Schatten vor ihm deutlicher, größer und detaillierter geworden. Das waren die beiden Braunschöpfe, die aus der Zelle befreit wurden. Die, wegen denen also dieser ganze Tru... Er konnte den Gedanken nicht mehr zu Ende denken, denn hinter ihm begann es plötzlich mehrfach leise zu knallen. Farley hielt kurz inne und blickte keuchend über seine Schulter zurück, als plötzlich das halbe Schiff in die Luft flog. Er überlegte nicht, sondern ließ wie einer der beiden vor ihm sein Brett los, holte so viel Luft, wie er konnte und glitt ins Wasser hinunter, als er die ersten Wrackteile auf sich zufliegen sah. Alles schien in Bruchteilen von Sekunden gleichzeitig zu geschehen.
In diesem Moment war Farley beinahe froh, dass er auf einer Insel aufgewachsen war – und dass das Schwimmen zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen der Kinder auf Raízun gehört hatte. Er öffnete unter Wasser die Augen und versuchte, sich im Dunkeln halbwegs zu orientieren. Als er lostauchte war er sich allerdings kaum sicher, ob er in die richtige Richtung schwamm. Immer wieder entwichen ihm kleine Luftbläschen zwischen den Lippen, während er sich mit kräftigen Armzügen unter Wasser vorwärts schob. Erst, als er schließlich zwei Beinpaare vor sich wahrnahm, ließ er die Luft komplett entweichen und tauchte auf, in der Hoffnung, dass das meiste des brennenden Wrackregens schon niedergegangen war. Prustent kam der junge Dieb an die Wasseroberfläche, nur knapp einen Meter von den beiden Ausbrechern entfernt. Hastig wischte er sich Haare und Wasser aus den Augen und suchte nach einem neuen Stück Treibholz, an dem er sich festhalten konnte – und welches nicht brannte. Er musste noch einige Zentimeter näher schwimmen, bis er zumindest eine kleine Planke erwischt hatte. Dann hatte er endlich Zeit, sich seinen beiden neuen Kumpanen zu widmen.
„Eins muss man Euch lassen, Ihr habt einen gesunden Hang zur Dramatik“,
keuchte er, ein wenig außer Atem nach der anstrengenden Schwimmeinlage. Er warf wie einige Minuten zuvor einen Blick zurück zum Schiff – allerdings war dort kein Schiff mehr. Zumindest nicht das, von dem sie geflohen waren. Stattdessen enthüllte sich ein anderer Rumpf, mit roten Segeln. Das war ganz sicher kein Marineschiff – und hatte Stil, das musste er zugeben. Farley wandte den Blick ab und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Herren bei sich.
„Wir sollten zusehen, dass wir Eure Freunde auf uns aufmerksam machen. Sonst verpassen wir womöglich noch unsere Mitfahrgelegenheit.“
Er warf einen Blick auf den älteren der beiden, der offensichtlich damit kämpfte nicht das Bewusstsein zu verlieren. Farley war versucht ihm unter die Arme zu greifen und ihn zu stützen, ließ es aber vorerst – er kannte den Mann nicht, womöglich reagierte er aggressiv auf Hilfsversuche. Manche Gauner waren da... speziell.