28.08.2017, 22:41
Schwer wie ein dickes Bündel des teuersten Edelholzes von Raízun spürte er die Blicke, die sich nur wenige Momente nach seinem zugegeben recht unerwarteten Auftauchen von allen Seiten auf ihn legten. Das mochte daran liegen, dass sein Auftritt kaum Begeisterung hervorrief, doch damit hatte der junge Dieb auch kaum gerechnet. Dies war eine dilettantisch geplante Flucht und nun kam er und schob sich auch noch dazwischen – diese Gruppe hatte eigentlich allen Grund ihn entweder ins Wasser zu befördern und ertrinken zu lassen oder ihm mit einer scharfen Klinge den Hals durchzuschneiden, bevor er auch nur einen weiteren Muks von sich geben konnte. Natürlich würde Farley keines dieser beiden Szenarien zulassen, aber immerhin konnte er sich so die düsteren Mienen erklären, die auf ihn gerichtet waren. Immerhin griff niemand zum Messer, stattdessen öffnete eine aus der Truppe den Mund und machte ihm sichtlich amüsiert ein Angebot, das er in jedem Falle dankend abgelehnt – oder zumindest neu verhandelt hätte. Seine Finger und insbesondere seine beiden Hände brauchte er noch und niemand würde so nah an ihn herankommen, dass er auch nur eines seiner Gliedmaßen bekommen würde. Gegen einen verlorenen Zeh hatte er dagegen nichts, wenn sie auf den käsigen Geruch stand – aber immerhin war sie eine Ausbrecherin, er glaubte nicht, dass sie in irgendeiner Form Probleme mit schlechten Gerüchen hatte. Ein amüsierter, kampfeslustiger Ausdruck schlich sich in Farleys Augen, als er den Mund öffnete, um der frechen Lady zu antworten – aber erneut sprang die Tür auf und noch jemand betrat die Kajüte. Es wurde allmählich eng. Viel Zeit darüber nachzudenken, ob der Neuankömmling zu der Gruppe gehörte oder nicht, hatte der junge Dieb aber ohnehin nicht.
Denn nur Sekunden später krachte es, das ganze Schiff erbebte und die immense Erschütterung zog ihm förmlich den Boden unter den Stiefeln weg. Farley fluchte innerlich, als der Boden sich unaufhörlich neigte und er so überrumpelt weder in der Lage war, die Flüchtigen im Auge zu behalten noch den Sturz groß abzufangen. Mit einem dumpfen, unschönen Laut schlug er hin und zog sich einige Schürfwunden an Armen und Knien zu. Auch einige Splitter schwor er zu spüren, doch der Dieb verdrängte den Schmerz, hatte er doch immer noch Sorge, dass irgendjemand doch noch auf die Idee kommen könnte, dass eine Klinge die bessere Alternative zu noch einem Flüchtigen im Schlepptau war. Ein Stöhnen unterdrückend richtete sich Farley daher rasch wieder auf, nachdem er die Orientierung zurückgewonnen hatte. Ein wenig taumelnd sah er sich um, registrierte fast überrascht das Nicken der Blonden und erwiderte es reflexartig. Das hatte jetzt reibungsloser geklappt, als er gehofft hatte – aber die Explosion schien für ihn gearbeitet zu haben. Farley warf noch einen kurzen Blick auf die Wunden der Schwarzhaarigen, die sich den Kopf angeschlagen hatte. Einen Moment lang verschwendete er einen Gedanken daran, dass es schade wäre, wenn sie deswegen ertrinken würde. Er hätte ihr kurzes Wortgefecht gerne weitergeführt. Aber im nächsten Moment hatte sie sich gemeinsam mit der anderen Frau schon vom Schiff gestürzt, dann folgten zwei der Männer und ein dritter – mit einem Hinweis, den er sich hätte sparen können. Farley würde ganz sicher nicht den Anschluss verlieren – zumindest nicht freiwillig. Der junge Dieb warf einen kurzen Blick auf den letzten verbliebenen Zeitgenossen in der Kajüte. Der Blonde kam ihm seltsam bekannt vor, aber jetzt war kaum der richtige Zeitpunkt gekommen, um darüber nachzugrübeln woher. Wort- und gestenlos wandte er sich von dem Fremden ab und stürzte sich ebenfalls ins Wasser.
Die schlagartige Kälte, die über ihm mit den Fluten zusammenbrach, drückte ihm die Luft aus der Lunge. Mit schnellen Armschlägen schob sich Farley an die Wasseroberfläche. Er gab sich Mühe, nicht allzu prustend aufzutauchen, wusste aber nicht, ob es ihm gelang. Mit einer geübten Bewegung schüttelte er sich die nassen Haare aus den Augen und griff nach einem der Bruchstücke, die im Wasser trieben. Die Explosion war ordentlich gewesen – und Farley hoffte ein bisschen, dass diese seltsame Gruppe den Knall wirklich so geplant hatte. Falls nicht, hoffte er, dass der Rest der Flucht besser geplant war als es bisher den Anschein machte. Und er hoffte, dass er nicht zu viel hoffte.Als er sich ein wenig höher auf sein Treibgut gezogen hatte und das Holzstück fest genug umklammert hatte, versuchte er den Gedanken an die Kälte wegzuschieben und sah sich um. Bei all dem Zeug, das im Wasser trieb und den Wellen und der Dunkelheit war es schwer die Gestalten der anderen auszumachen. Und der Tumult auf dem Schiff, das in Flammen stand, machte es nicht einfacher, irgendwo Stimmen herauszuhören. Dennoch glaubte Farley in einer Richtung zwei der Fluchtgruppe sprechen gehört zu haben. Oder eher: sich angebrüllt zu haben. Er hoffte erneut: dieses Mal, dass er sich nicht getäuscht hatte. Mit den Stiefeln, die ihm vollgesogen unerträglich schwer vorkamen, begann er zu paddeln und sein Treibgut wie ein kleines Schiff anzutreiben und bewegte sich dorthin, wo er glaubte die Flüchtigen vernommen zu haben.