08.08.2017, 21:27
Trevor starrte Rayon einen Moment perplex an. Sein Körper vollbrachte in diesem Moment tatsächlich die Glanzleistung, vollkommen stillzuhalten – wenn man mal von den Zehen am linken Fuß absah, die es immer noch feierten, schuhfrei zu sein und die Zehen vom rechten Fuß damit aufzogen, indem sie aufmüpfig wackelten. Die vom rechten Fuß bekamen das aber gar nicht mit, die steckten ja im Schuh, die Pechvögel. Etwas weiter oben, so Richtung Kopf, überlegte Trevors Gehirn, ob es überlegen sollte, was es mit dem Brennen auf den Wangen auf sich hatte und ob man da jetzt eventuell wütend werden müsste, oder so. In der Regel bedeutete so was, dass es irgendwas verbockt hatte, aber es wusste nicht so genau was und es war ja wohl eigentlich auch nicht sein Job, darüber nachzudenken. Nachdenken war so anstrengend und umständlich und ganz allgemein eignete sich dieser letzte Ohrwurm dahinten in der Synapse doch viel besser, um dazu ein bisschen hin und her zu schaukeln.
Der Moment endete, als das Zwischenhirn „Futter!“ realisierte. Trevor rupfte Greo das Stück Brot aus der Hand und begann geschäftig, es sich in den Mund zu stopfen.
„Also wirglich, Rayon, wach denks su von mir?!“, beschwerte er sich vorwurfsvoll, grinste dabei aber so breit, dass man annehmen könnte, er hätte kapiert, was falsch gelaufen war und es würde ihm überhaupt nicht leidtun. „Sei nich so unfair, Greo darf doch auch ma gute Ideen habn! Apropos, Greo–“
Er machte einen perfekten Pirouettenschritt in die Richtung des anderen (warum war er bloß Pirat geworden und nicht Tänzerin?!), hatte auf halben Weg keine Lust mehr auf den Ballettkrams, bei dem alles immer so ordentlich und leise und hübsch sein musste, ließ sich einfach gegen Greo kippen und schlang ihm kichernd den Arm um die Schultern (ach ja, deswegen). Er hatte schon wieder ganz vergessen, was er eigentlich von dem anderen gewollt hatte, es war irgendwas mit Rrrrrrr gewesen. Aber das war jetzt auch ganz egal, denn da schwebte er, nur Zentimeter vor ihm: der Hut!
Wäre in diesem Moment nicht einige hundert Meter entfernt ein Marineschiff explodiert, Trevor Scovell wäre stolzer Besitzer eines schicken nigelnagelwerweißwiealten Huts geworden. Zumindest für ein paar Sekunden. Stattdessen zuckte er von Greo weg, als sei der plötzlich persönlich in die Luft gegangen. Er sah sich einen Augenblick bedeppert um, um herauszufinden, was sich da den Weg in die Zentrale seines matschigen Hirns gebahnt hatte. Und im nächsten Augenblick hing er schon halb über der Reling, als würden ihm die paar Meter einen phänomenal besseren Blick auf die Ereignisse bieten.
„Da isses! Da is das Schiff, das vonna Marine, ich hab das Schiff gefundn!“, rief er aufgeregt und fuchtelte mit dem Finger in die Richtung des brennenden Holzhaufens. „Es ist – sie ham – sie ham es geboooomt! … Rayon, warum sin wir nich auf dem Schiff?!“
Die letzte Frage fügte er in dem enttäuscht-quengelndem Tonfall hinzu, den er in seinem momentanen Zustand bis zur Perfektion beherrschte. Das war ja besser als Feuerwerk! Und sie waren sooo weit weg! Was sollte das?!
Während die eine Hälfte seines Gehirns damit beschäftigt war, nicht von Bord zu fallen, schleppte die andere aufgekratzt sämtliche Infos zusammen, die in den letzten Minuten scheinbar unbemerkt in seinen Sumpf aus Synapsen und Alkohol geplumpst waren: Trevor war nicht auf dem Schiff, nicht auf dem von der Marine zumindest, aber die anderen, der Rest der Crew, und sie hatten einen Plan und der Plan war nicht aufgegangen (an dieser Stelle high-fiveten sich in Trevors Kopf zwei imaginäre Totenkopfäffchen: „Pläne sind Fischfutter!“) und jetzt – jetzt – jetzt –
Greos Befehl wäre vermutlich auch dann zu Trevor durchgedrungen, wenn er ihn nicht schon verinnerlicht hätte, Jahre bevor er von Milch zu Wasser und von Wasser zu Rum übergegangen war. Er musste dahin!
Er stieß sich von der Reling ab, taumelte ob des Schwungs ein paar Schritte, fing sich wieder und schaffte es tatsächlich noch, innezuhalten, zu salutieren und in aller Ernsthaftigkeit „Aye aye, Greo!“ zu rufen. Dann brach er wieder in Lachen aus.
Pirat, Tänzerin, Marinesoldat – er war ein verdammtes Schauspielnaturtalent, sie hätten ihn wirklich mitnehmen sollen! Mit ihm wäre der Plan garantiert nicht schiefgegangen. Was auch immer der Plan noch mal genau gewesen war. Aber das machte ja jetzt nichts mehr, jetzt war er ja unterwegs, unterwegs zum explodierenden, brennenden Marineschiff und zwar auf einem Schiff mit roten Segeln und nicht in einer kleinen, muffigen Holzkiste. Vielleicht, ach was ganz bestimmt, war es sogar nötig, besagtes Marineschiff zu entern, um die anderen zu retten! Kichernd brach er Richtung Segel auf, erstaunlich behände für seinen Zustand, aber innerlich durchgekitzelt vom Cocktail aus Alkohol und Adrenalin.
[Sphinx, Achterdeck, zwischen Rayon und Greo –> an der Reling, mit Blick auf die Morgenwind –> auf dem Weg, die Segel dichtzuholen. || Selber immer noch ziemlich dicht, aber ... zurechnungsfähig arbeitsfähig.]