02.08.2017, 15:24
Kaum, dass er seine Antwort hatte, ließ er sich auch nicht mehr lange bitten. Ob die übrigen seine Aussage so ernst nahmen, wie man sie nehmen sollte, war ihm herzlich egal – entweder dieser rangorientierte Wachhund war eingeweiht worden, als er Talin und den Übrigen offenbar einen anderen Weg offenbart hatte, von Board zu kommen, oder er würde mit dem Leben dafür bezahlen, ihnen geholfen zu haben. Wenn er nicht mit ihnen verschwand, blühte ihm dieses Ende wohl so oder so: Unterschied war nur, ob er mit dem Schiff unterging, von der Explosion in Stücke gerissen wurde oder ob die Marinesoldaten das im Nachhinein für ihn erledigten. Ebenso stand es wohl um diesen Kaladar, den er seit seinem Rückzug in den Frachtraum nicht mehr gesehen hatte. In Wirklichkeit zögerte Liam natürlich doch einen kurzen Moment und spielte mit dem Gedanken, den Dunkelhäutigen noch einmal auf die Dringlichkeit einer Flucht hinzuweisen, aber im Endeffekt machte ein Opfer mehr oder weniger den Bock auch nicht mehr fett. Dass das, was er unten zum Glühen gebracht hatte, noch immer nicht mit seinem Gewissen wirklich vereinbar war, war kein Geheimnis, aber kleinlich wollte er bei dieser Aktion dann doch nicht werden.
„Dann vielen Dank...“, murmelte er zu sich selbst, als er die Treppe nach oben erklomm.
Damit würde dieser Offizier im Nachhinein auch nichts anfangen können, wenn seine Überreste von Haien aus dem Meer gefischt wurden, aber wenigstens Liam hatte noch einen Gedanken daran verschwendet, dass ihre Hilfe nicht selbstverständlich gewesen war, ihnen aber zweifelsohne das Leben gerettet hatte – bis jetzt jedenfalls, denn noch waren sie nicht in Sicherheit. Mit einer raschen Bewegung war Sineca in der Jacke seiner Uniform verschwunden, als er sich selbst trotz des wild pochenden Herzens und all dem Adrenalin in seinem Blut dazu zwang, sich ein wenig den Bewegungsabläufen der übrigen Soldaten an Deck anzupassen, um unauffällig an sein Ziel zu gelangen. Rufe, denen er keine Aufmerksamkeit schenkte, sorgten offenbar für genug Ablenkung, sodass er am hinteren Teil des Hauptdecks wieder einen Zahn zulegen konnte. Kaum war er die nächste Treppe nach unten gehechtet, schlüpfte die Ginsterkatze wieder aus ihrem Versteck hervor und schnupperte konzentriert. Obwohl der Lockenkopf in diesem Moment keine wirkliche Ahnung hatte, ob er richtig war und in welche Richtung er wirklich musste, sträubte sich alles in ihm dagegen, hier auf besseres Wetter zu warten. Doch gerade, als er das Tierchen kurzerhand wieder hochnehmen und weiterzerren wollte, machte sich Sineca zielstrebig in eine Richtung auf. Blindes Vertrauen verband ihn mit dem Tier, selbst wenn es bei weitem nicht so denken konnte, wie es ein Mensch tat. Trotzdem war anzunehmen, dass sie die Fährte der übrigen in der Nase hatte und sie wahrscheinlich seine schnellste Möglichkeit war, den Ausweg zu finden. Letztlich fand er sich vor einer Tür wider, hinter der er bekannte Stimmen vernehmen konnte, packte die Genette unsanft mit einer Hand unter dem Bauch und betrat das Zimmer. Kaum hatte er die Tür hinter sich wieder zugeworfen und nach Worten gesucht, übernahm ein lauter Knall das Wort.
Sie waren zu spät. Mit einem Keuchen wurde der Lockenkopf zu Boden geworfen und schaffte es nur gerade so, Sineca davor zu bewahren, unter ihm begraben zu werden. Diese widerum schlüpfte mit einem aufgeregten Fauchen aus seinem Griff heraus und verzog sich in eine Nische. Liam hingegen kämpfte sich recht schnell wieder auf die Beine. Ebenso Talin, doch Shanaya schien es härter erwischt zu haben. Ihm entging das rötliche Schimmern ihrer Stirn nicht, doch da ihr Captain schon längst bei ihrer Freundin stand, empfand er sich mehr als überflüssig. Stattdessen lauschte er ihrem Gespräch im Hintergrund, während er kurzerhand alles mögliche aus der Luke feuerte, was auch nur im entferntesten schwimmen konnte. Die vorangegangene Explosion hatte manches schon in Kleinteile zerlegt, sodass es wenigstens sicher durch die Öffnung im Rumpf passte.
„Da schwimmt mehr als genug.“, stimmte er Talin zu, während er noch ein Teil der Tür nach draußen warf, ehe er sich umwendete und Shanaya und Talin begutachtete.
Sein Blick sagte eindeutig, dass er ihnen den Vortritt ließ, sie sich allerdings nicht allzu viel Zeit lassen sollten. Schon waren die beiden Frauen nach draußen verschwunden und Liam sah sich nach Sineca um, um der Dringlichkeit ebenso schnell nachzukommen. Diese aber war auf den ersten Blick nicht wirklich zu entdecken. Ein kurzer Blickaustausch mit Aspen folgte, der den beiden anderen folgte, um Talin im Falle eines Rückschlags der Schwarzhaarigen zu unterstützen. Indes machte er selbst den zitterten Körper der gefleckten Katze aus, ließ einen recht kräftigen Biss in seine Handgelenke über sich ergehen, lockerte den Griff um das Tier aber dennoch nicht, sondern wandte sich kurzerhand um und schlüpfte den anderen hinterher ebenfalls durch die Luke. Ab jetzt musste er Sineca ohnehin nicht mehr wirklich festhalten – die hatte sich nämlich mit weit aufgerissenen Augen so sehr in seine Uniform gekrallt, dass er froh war, die Jacke nicht zuvor schon über Board geworfen zu haben. Mit geschlossenen Augen spürte er, wie er durch die Wasseroberfläche tauchte und ihn das Meer vollständig umspülte. Dumpf nahm er das Geräusch von weiteren, kleinen Explosionen wahr, bis er sich wieder nach oben gekämpft hatte und Luft holen konnte. Sineca kauerte erbärmlich aussehend und zitternd auf seiner Schulter, die Ohren so dicht angelegt, dass sie kaum mehr sichtbar waren. Das Chaos an Board war auch im Wasser noch deutlich zu hören, während das Schiff nach und nach in seine Einzelstücke zerbrach. Das Feuer ließ das Meer lichterloh erstrahlen, doch die Sphinx konnte er dennoch nicht sehen – ebenso schwer fiel es ihm, die anderen bei all den Wellen auszumachen. Zum Glück hatte er recht bald ein Stück des Treibguts ergattert, von dem aus sich mit Sicherheit ein besserer Überblick erhaschen ließ.
„Talin! Shanaya! Aspen!“, rief er ins tosende Meer hinaus.
Wenn Shanaya wider erwarten wirklich die Kraft verließ, hatte die Blonde kaum eine Chance, das Mädchen alleine über Wasser zu halten.