13.07.2017, 15:52
Talins Aussage schenkte er ein schwaches Zucken seiner Mundwinkel. Er war kein kleines Kind, dem man einreden musste, dass es seinen großen Traum irgendwann erreichen würde. Er war ziemlich zufrieden mit seinem Leben und allem drum und dran. Natürlich gab es hier und da etwas, auf das er gut und gerne hätte verzichten können, doch mittlerweile hatte er akzeptiert, dass es ein Teil von ihm war und ihm zu dem machte, was er war. Er brauchte gar kein richtiger Pirat sein, immerhin hing sein Leben nicht davon ab, auch wenn er momentan mit einem ihrer Schiffe durch die Gegend segelte und Gefangene befreite. Es waren Erfahrungen, auf die er zurück sehen konnte und mit Sicherheit nicht das letzte, was er anstellte, was ihm genauso gut den Kopf hätte kosten können. Das hier aber war nicht der Zeitpunkt, um zu überlegen, wie es in den nächsten Wochen weitergehen würde (nicht, dass Liam sich da groß Gedanken drum gemacht hätte), sondern der Moment, wo auf dem Spiel stand, ob sie den nächsten Morgen überhaupt erleben würden.
Talins trotzigen Blick hatte er erwartet und auch Shanayas abwartendes Schweigen war genau das, womit er gerechnet hatte. Umso fester aber erwiderte er ihren Blick und gewann diesen Zweikampf tatsächlich, selbst wenn die beiden Frauen nicht unbedingt begeistert wirkten. Sie brauchten seine Gründe nicht kennen, aber er lebte durchaus ruhiger mit dem Gedanken, hier und jetzt im schlechtesten Falle den Tod zu finden als dem zum Opfer zu fallen, was ihm im Nacken saß.
„Ich hab' nicht vor, hier zu übernachten.“, versicherte er Talin und auf seinen Zügen zeigte sich nun wieder das liam-typische unbekümmerte Grinsen.
Für den Moment sah er ihnen nach, nickte Sineca noch einmal zu, die ihn sichtlich ungern hier allein zurückließ. Erst, als sie außer Sichtweite waren, legte er das Fass noch einmal auf den übrigen Pulverfässern ab und fuhr sich mit einer leicht zittrigen Hand über die Stirn. Sein Lächeln war inzwischen wieder verrutscht. Er hielt sich vor Augen, was seine Aufgabe war und auch, wenn er jetzt die bestmöglichste Gelegenheit dazu hatte – Liam kam nicht einmal der Gedanke, nicht zu tun wie ihm geheißen. Aber man sprengte sich nicht einfach in die Luft, ohne vorher nicht wenigstens kurz zu zögern und sich dessen bewusst zu werden. Er schluckte, selbst wenn in seinem Mund eine merkwürdige Trockenheit herrschte, ehe er sich wieder das Fass zur Brust nahm und den Stopfen entfernte, mit dem es verschlossen war. Sein Blick wanderte kurz durch den Frachtraum, ehe er ein beachtliches Häufchen Schwarzpulver direkt an den Fässern um den Mast verteilte. Daraufhin begann er, eine Spur in Kreisen drumherum zu legen, um ihm ein wenig – hoffentlich genug – Zeit zu verschaffen, einen Ausstieg zu finden. Das Kanonendeck war nicht allzu weit entfernt. Wenn also nichts dazwischen kam, hatte er den Ausgang rechtzeitig erreicht. Knapp vor der Treppe endete seine Spur. Das leere Fass warf er zur Seite, wo es rumpelnd noch weiter in die Dunkelheit rollte, ehe er Streichhölzer aus seiner Tasche zog.
„Auf die Plätze...“, murmelte er und nahm eines der Hölzer in die Hand. „Fertig...“ Zwei Herzschläge lang betrachtete er die tanzende Flamme am Ende des Hölzchens zwischen seinen Fingern. „Los.“
Sogleich wuchs aus der kleinen Flamme eine Größere heran, die zuckend dem Pfad folgte, den Liam ihr gelegt hatte. Kaum hatte er sich vergewissert, dass der Anfang funktionierte, wandte er sich um und erklomm die Treppen in seinem Rücken. Blieb nur zu hoffen, dass die Spur keine Schwächen hatte und das Feuer sein Ziel erreichen würde.
Das Chaos auf Deck der Gefangenen hatte sich ein wenig gelegt. Wahrscheinlich waren sie Talin, Shanaya und Aspen zum Kanonendeck gefolgt in der Hoffnung, ein neues Leben zu bekommen. Ohne groß auf seine Umgebung zu achten überquerte er das Zwischendeck und erreichte zügig die Treppe hinauf zum Kanonendeck. Das wiederum war erstaunlicherweise größtenteils leer. Er stockte kurz, während seine Augen hastig suchend über die Schatten an den Wänden glitten, doch es war keine Spur von den anderen. An der nächsten Treppe standen noch zwei Gestalten, doch keine davon glich einem der beiden Mädchen. Das einzig bekannte war die schmale Gestalt, die sich fast schon schwebend auf ihn zu bewegte und gleich darauf wieder seine Schulter bestiegen hatte. Sineca rieb ihre Wange kurz an Liams Backe, während er sie kurz hinter den Ohren kraulte. Trotzdem sollte sie eigentlich nicht hier sein. War sie geflohen, als die anderen gesprungen waren? Das war zumindest eine Erklärung dafür, dass sich kaum eine Seele vor Ort befand.
„Wo sind die anderen?“, rief er den beiden übriggebliebenen mit gerunzelter Stirn zu, als er bei ihnen ankam. „Wir haben keine Zeit mehr. Wir müssen so schnell wie möglich hier runter.“