11.07.2017, 16:03
Die Nacht war vorbei. Er hatte sie mit einer jungen hübschen Dirne erfüllend verbracht, die dafür gerne sein Gold genommen hatte. Doch nun ging er mit ausladenden Schritten zielgerichtet durch die Straßen der Stadt. Diese waren noch fast menschenleer, denn die Sonne war noch nicht über den Horizont gestiegen. Doch er war im Begriff heimzukehren. Sein Ziel, den Hafen, hatte er bald erreicht und dort lag sie, die Seepferdchen. Er schritt den Landungssteg hinauf. Der Posten erkannte ihn sofort und hieß ihn herzlich willkommen an Bord. Gerade, als er unter beiden Füßen das beruhigende Schaukeln der Planken verspürte, stieg die Sonne über den Horizont und färbte seinen Bart in dem bekannten Feuerrot ein. Er lächelte glücklich - ja, hier war er zu Hause. Er war wie die Möwen, die hier im Hafen ihr Schiff umkreisten. Er brauchte die Freiheit des Meeres, mußte es riechen und schmecken können, mußte bei schwerer See die Gischt auf seiner Haut fühlen. Das war sein Leben, dieses Leben aus Freiheit, Gefahr und Abenteuer. Wäre er auf dem Hof seines Vaters geblieben wäre er eingegangen wie eine Möwe in einem Käfig. Er verharrte einen Moment in seinem Glück, wieder an Bord zu sein. Dann führte ihn sein erster Weg zur Kapitänskajüte, um sich bei Kapitän O´Mahony zurück zu melden. Er, Cornelis, gerade einmal 23 Jahre alt, war im Begriff der zweite Mann auf der Seepferdchen zu werden.
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Nur wenige Tage nach seiner Rückkehr stachen sie in See. Nun brach seine erste Fahrt als Steuermann der Seepferdchen an und sie würde sie nach Estero führen. Das Wetter war gut und die Winde standen ebenfalls günstig für sie. So kamen sie gut voran - zumindest zu Anfang. Doch dieses sollte sich bald ändern, denn nach einiger Zeit schien der Wind gegen sie zu arbeiten. Einmal waren sie einer Flaute nahe, so daß sie jeden Fetzen setzen mußten, um überhaupt noch etwas Fahrt zu machen, dann wieder blies der Wind genau von vorn, so daß sie vor dem Wind kreuzen mußten und ihre Wege dadurch deutlich länger wurden. Doch endlich, endlich kam Estero in Sicht. Durch das Fernglas konnte Cornelis bereits die Häuser von Estero Stadt erkennen, als sich die schwarze Wolkenwand bedrohlich vor ihnen aufbaute. Der Wind ließ wieder nach, es traf sie die berüchtigte Ruhe vor dem Sturm, und so schafften sie es nicht mehr in den Hafen, bevor das Unwetter losbrach. Auf dem Schiff war es totenstill, die Männer sprachen kein Wort miteinander und nur die wenigen Befehle störten die angespannte Ruhe. Dann traf der Sturm wie eine eiserne Faust die Seepferdchen. Die Wogen türmten sich haushoch auf und warfen das Schiff von einer Seite zur anderen. Verspannungen rissen, bewegliches Gut und Ladung rutschten unkontrolliert über die Decks und verursachten die ersten Verletzungen. Hagelkörner hämmerten auf die Männer ein, doch erschienen sie ihnen nur wie Nadelstiche im Vergleich zu den Gewalten, die in dieser Nacht auf sie einbrachen. Eines der Sturmsegel riß sich von der unteren Verspannung los und flatterte nun wie eine Fahne im Sturmwind. In den kurzen Augenblicken, in denen die Blitze die Nacht erhellten, wurde das Chaos an Bord der Seepferdchen erschreckend grell in Szene gesetzt. Als dann die ersten Wanten am Hauptmast brachen, ächzte dieser bedrohlich und es war abzusehen, daß sie den Mast verlieren würden, wenn sie nichts unternähmen. So erkletterten die Männer in einer halsbrecherischen Aktion den Mast und banden weitere Taue an diesem fest. Cornelis schrie von Deck mit seiner tiefen lauten Stimme gegen das Tosen des Sturmes an und fing die Taue auf. Er legte all seine Kraft in das Vertäuen der provisorischen Wanten. Als er gerade dabei war, das letzte Tau zu befestigen, hörte er ein Reißen und Krachen und wußte, daß irgendetwas Großes fiel. Doch er sah nicht auf, er durfte in diesem Moment `sein´ Schiff nicht im Stich lassen. Er hatte gerade den Knoten beendet, als nasses und dadurch schweres Segeltuch auf ihn herunterfiel und ihn zu Boden riß. Dann spürte er noch einen harten Schlag als das Stag des Sturmsegels seinen Kopf traf. Danach war Ruhe, die Welt um ihn her, der wütende Sturm verschwanden in der Dunkelheit.
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Nein, Kapitän O´Mahony hatte noch keinen endgültigen Überblick über die Ausfälle in seiner Mannschaft. Doch eine Tatsache stand ihm klar vor Augen und traf ihn wie der Sturm die Seepferdchen in der vergangenen Nacht: Der augenscheinlich endgültige Ausfall seines jungen Steuermannes Cornelis van der Meer, der ihm, seit er mit zwölf Jahren als Schiffsjunge bei seiner Mannschaft angeheuert hatte, zu einer Art Ziehsohn geworden war, schmerzte ihn im Herzen und er kam nicht umhin einige Male schlucken zu müssen, als er nun sah, wie dieser von zwei seiner Seeleute über den Landungssteg an Land gebracht wurde. Der Verband zeigte am Hinterkopf bereits wieder kleine Blutflecken, während er an der vorderen Seite um die Augen geschlungen war. Cornelis war ungehalten zu seinen beiden Kameraden und wand sich in ihrem führenden Griff. Er wußte durchaus, daß sie ihm nur helfen wollte, doch wollte er in seiner Verzweiflung ihre Hilfe und ihr Mitleid nicht. So wischte er mit einer unwirschen Bewegung ihre Hände von seinen Schultern und seinen Armen, kaum daß sie festen Boden erreicht hatten. Mit den Händen nach vorne fühlend tastete er sich voran um zu einer Kiste oder einem Faß zu kommen, worauf er sich setzen konnte. Dabei konnte er jedoch nicht die kleine Kiste erahnen, die vor ihm auf dem Boden stand und über die er stolperte, was zu einem weiteren Sturz führte. Zwar fing er den Aufprall ab, doch explodierte in seinem ohnehin schon angeschlagenen Kopf der Schmerz erneut, so daß er die Hände an die Seiten des Kopfes riß, stöhnend liegenblieb und die wieder aufkommende Übelkeit bekämpfte. Seine beiden Kameraden warfen ihm schmerzvolle Blicke zu, kannten ihn jedoch gut genug um zu wissen, daß sie seinen großen Stolz verletzen würden, wären sie ihm direkt zu Hilfe gesprungen. So blieben die beiden Seeleute zwar in der Nähe für den Fall, daß er nicht mehr alleine hochkommen sollte, griffen vorerst jedoch nicht ein.