23.05.2017, 14:25
Keine Frage, den Seitenhieb auf seinen missglückten Versuch, die Ausrüstung der Kombüse unfallfrei zu vergrößern, hatte er mehr als verdient und letztendlich durch seine Worte auch provoziert. Shanaya hatte Humor - das war wertvoll, gerade wenn man teilweise wochenlang mit wenigen Menschen auf stark begrenztem Raum verbringen musste. In einer solchen Situation jemanden zu haben, der die Stimmung auflockern konnte und das Leben nicht allzu ernst nahm, konnte die Moral einer Mannschaft in gesunden Sphären halten und damit Unzufriedenheit vorbeugen. Rayon war selbst jemand, der dies als Bestandteil seiner Aufgabe sah, doch je mehr Piraten von diesem Schlag ein Schiff hatte, desto besser war es in seinen Augen. Dass das Privileg ihrer Gesellschaft nicht unbedingt immer auch automatisch ein solches war, deutete sie mit ihren eigenen Worten an - doch das zu beurteilen überstieg Rayons Kompetenzen aktuell bei Weitem. Schließlich hatte er sie und den Rest der Crew, von den Scovells einmal abgesehen, erst vor wenigen Tagen kennengelernt und konnte es sich nicht erlauben, jetzt schon ein Urteil über irgendeinen oder irgendeine von ihnen zu fällen. Zunächst einmal war er froh, auch auf der Sphinx anscheinend auf positiv eingestellte Kameraden zu treffen, die sich für ein Späßchen zwischendurch nicht zu schade waren, im Zweifelsfall aber hoffentlich auch in der Lage sein würden, der ernsthafteren Seite ihres Handwerkes nachzugehen.
"Konkurrenz? Etwa die Konkurrenz, die unsere Kombüse in einen derart desolaten Zustand gebracht hat?", lachte er bei ihrer spielerischen Herausforderung auf und blickte sie amüsiert an. "Das Kochen ist eine Kunst, Shanaya. Und wie in jeder Kunst kann man es darin nur zur Meisterschaft bringen, wenn man ihr sein Leben widmet."
Auch wenn es vermutlich so klang, wollte er sie damit keineswegs belehren. Letztendlich ging es jedoch um seine Leidenschaft, und auf diesem einen Gebiet war es für ihn unerträglich, wenn andere ihm in die Quere kamen. Die Kombüse war sein Reich, und das war für ihn auch eine Selbstverständlichkeit, solange er an Bord eines Schiffes war. Als Rayon das leicht überlegene Lächeln auf Shanayas Lippen bemerkte, schmunzelte er leise in sich hinein. Humor hatte sie, aber sie schien zudem eine große, vielleicht sogar zu große Portion Selbstbewusstsein zu besitzen. Das war grundsätzlich zwar nichts Schlechtes, doch Rayon hatte in seiner recht kurzen Zeit auf See schon etliche Gelegenheiten erlebt, in denen ein solch ausgeprägtes Selbstbewusstsein schnell zu Übermut umschwenken konnte - schließlich war er bereits ein knappes Jahr lang mit Trevor gesegelt.
Mit ihrem erneuten Auflachen beendete die Schwarzhaarige seine Überlegungen und sprach dann eine Frage aus, die er sich so bisher noch nicht gestellt hatte. Es stimmte, sie hatten zwar bereits einen Captain, der die Richtung ihres Handelns vorgab, doch all das konnte sich schon bald ändern. Wenn der Bruder Talins eine andere Auffassung von Moral und Anstand vertrat, wer von beiden würde sich dann durchsetzen? Und wem würde die Crew eher folgen? Auch darüber konnte er noch nicht urteilen - er kannte jedoch Trevor und Gregory und konnte sich nicht vorstellen, dass einer von beiden einem ruchlosen, brutalen Mann folgen würde, ebenso wie das für ihn selbst auf keinen Fall in Frage kam. Und auch Shanaya schien von diesem Gedanken nicht unbedingt angetan zu sein.
"Ich denke, da bestehen gute Chancen", meinte er schließlich und schenkte der Schwarzhaarigen ein warmes Lächeln. "Geschwister neigen dazu, ähnliche Auffassungen zu vertreten. Zumindest war das bei den meisten so, denen ich bisher begegnet bin. Das beantwortet natürlich nicht die Frage, was nach unserer heroischen Befreiungsaktion geschehen wird. Was unsere Captains dann vorhaben."
Auch er selbst müsste danach eine Entscheidung treffen - nämlich die, ob er auf der Sphinx bleiben oder auf die Sirène zurückkehren würde, denn bei ihrer Verabschiedung hatte Captain Tarlenn ihm diese Wahl gelassen.