19.05.2017, 16:11
Es tat gut jemanden an der Seite zu haben, der wirkte, als könnte er eine richtige Unterstützung sein. Greo wäre es durchaus Recht gewesen, wäre Aspen an Bord der Sphinx verblieben, um ihm bei dem Vorhaben zu helfen. Er konnte gut mit anpacken und kannte das Schiff länger, als Greo das tat. Denn der konnte nicht leugnen, dass er kein Seemann war. Freilich, er war seit einer Weile auf dem Meer unterwegs – aber das war weder sein großer Traum, noch entsprach es seinen Fähigkeiten. Er stellte sich zwar nicht dumm an und mochte sich auch gut anpassen, doch im Grunde war seine Erfahrung mit dem Ozean beschränkt. Dass er die Verantwortung auf sich geladen hatte, das Kommando der Sphinx während der Befreiung zu übernehmen, war lediglich dem Umstand geschuldet, dass er keinem Mitglied der Marine über den Weg laufen wollte. Er war zu groß, zu auffällig, vielleicht zu einfach wiederzuerkennen. Er wollte nicht leichtfertig Ärger mit ihnen provozieren, denn davon hatte er eigentlich schon genug. Ob sich das bei Rayon ähnlich verhielt? Wie er wohl bisher in der Seefahrt zurechtgekommen war?
Es blieb keine Zeit darüber zu grübeln, geschweige denn ein ausführliches Gespräch anzufangen, um einen netten Schwenk aus dem Leben auszutauschen. Jetzt war es wichtig sich zu konzentrieren und strategisch vorzugehen.
Greos Blick verlor sich abwesend irgendwo hinter Rayon im finsteren Nichts. Er verengte die ungleichen Augen einen Moment und hatte den Mund ein wenig geöffnet, unwillig die Stille des Lauschens zu unterbrechen. Er wartete ab, ob noch ein weiteres Signal folgte. Da Rayon schließlich eine Frage an ihn richtete, straffte er die Schultern und schloss die Hände fester um das Ruder.
Es gab keine Anweisung für diese Situation. Er hatte es doch gewusst: es war gleich, wie viele Pläne man sich zurechtlegte, es galt am Ende doch nur ad hoc zu reagieren. Greo bemerkte Rayons fast instinktive Bewegung zu den Waffen.
«Keine Chance, vorher versenken sie entweder die Sphinx oder durchlöchern uns. Wir bleiben hinter ihnen.»
Beschied er und berührte kurz mit der Zungenspitze die Zähne, während seine Gedanken rasten. Seine Pupillen zuckten hin und her, als sehe er vor seinem inneren Auge Bilder.
«Der Plan war, ihnen zu folgen, dann mit dem Beiboot unbemerkt näherkommen und sie einzusammeln.»
Greo machte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf. Der Wind kräuselte sein Haar, das zwischen Hutkrempe und Ohren hervorragte.
«Wir haben den Alarm sicher nicht als Einzige gehört. Wir kommen etwas näher, aber bleiben auf sicherer Distanz, damit uns weder die Morgenwind, noch andere Schiffe direkt in Schusslinie haben. Wir sind wendiger, aber das nutzt keinem was, wenn wir von drei Mannschaften bombardiert werden. Lichter weiterhin aus, Beiboot bereit.»
Rayon machte keinen einfältigen Eindruck, sicherlich war ihm bereits selbst klargeworden, dass die Befreiungsaktion einem Himmelfahrtskommando anmutete und dass sie nicht viele Versuche hatten, mit der Sphinx eine Rettung zu organisieren. Obwohl Greo einen Ton anschlug, der nach Beschluss klang, fragte sein Blick ins Gesicht des Kochs nach Zustimmung oder Widerspruch. Es hatte keinen Sinn eine Strategie zu verfolgen, mit der keiner an Bord einverstanden war. Dabei musste er Trevor aus der Berechnung gerade mit rausziehen, und dem Hütchen* traute er nicht recht über den Weg. Blieb also nur Rayon – und bei dem hatte Greo nach wie vor das Gefühl und die leise Hoffnung, dass er kompetent genug war, mit ihm gemeinsam diese Sache durchzuziehen.
[Achterdeck Sphinx | am Ruder | Rayon
*Greos Bezeichnung für Ryan, den blinden Passagier.