14.05.2017, 14:06
Ihre ganze Welt schrumpfte auf den einen Punkt vor ihr zusammen. Die Geräusche hinter ihr verstummten, wurden ausgeblendet, die Bewegungen um sie herum ebenso. Alles was zählte war dieser Mann dort vor ihr, dem sie das kalte Metall ans Kinn hielt und die Tatsache, dass sie einfach nur nach dem Schlüssel greifen musste und die Arbeit von vier Jahren wäre erledigt. Vier Jahre des Planes, des Wartens, des Leidens und das alles wäre mit nur einem einzigen Handgriff vorbei. Ihr 'Gefangener' half sogar mit, indem er die Hand vom Schlüsselbund fort nahm und sie zur Sicherung auf seinen Säbel legte. Ihr Herz schlug wie verrückte und es kam ihr fast vor, als würde alles viel langsamer geschehen als sonst. Selbst ihre Hand, die sich nach dem Bund ausstreckte, schien quasi in der Luft zu verharren.
Und dann war der Moment vorbei, das kühle Metall lag in ihren Händen und es brauchte nur einen kurzen Ruck, um sich auch von der Hand des Kerls aus der Zelle zu befreien, der ebenfalls danach gegriffen hatte. Sie sah darauf hinab, als hätte sie so etwas noch nie gesehen. Doch so seltsam dieser Augenblick auch war, er verging ganz schnell, als sie eine leichte Berührung auf ihrem Rücken spürte und Shanaya sich die Schlüssel griff. Ihr Kommentar riss Talin zurück in die Gegenwart und zwang sie alles um sich herum wieder wahrzunehmen. Ganz offensichtlich hatte sie eine interessante Ereigniskette losgetreten mit ihrer Aktion. Doch ihre Überraschung versteckte sie hinter einem belustigten Lächeln. Dazu musste Shanaya sie nicht erst noch auffordern, doch sie sagte es nicht, sondern konzentrierte sich auf ihre Aufgabe. Sich um den Marinesoldaten kümmern, klar, dass bekam sie hin. Aber leider hatte sie dabei nicht mit dem dunkelhaarigen gerechnet. Bei seiner Antwort runzelte sie für einen Moment die Stirn. Als ihr klar wurde, was er vor hatte, war es zu spät, die Hand weg zuziehen.
Nur einen Augenblick später übertönte ein lauter Schmerzensschrei die anderen aufgebrachten Gefangenen. Doch statt sie still werden zu lassen, stachelte dieses Geräusch sie anscheinend nur noch auf. Sie selbst wurde dabei zurückgestoßen, worüber sie eigentlich ziemlich froh war. Jetzt in der Nähe des Glatzkopfes zu sein, erschien ihr wie ein Todesurteil. Und so hasserfüllt, wie er nun den Marinesoldaten ansah, sollte dieser der Zelle besser nicht noch einmal zu Nahe kommen.
Im Nächsten Moment wurde sie auch schon nach hinten gezogen, spürte die Hitze eines menschlichen Körpers und ihren eigenen Dolch im Rücken. Das hatte er jetzt doch hoffentlich nicht wirklich getan, oder? Zähneknirschend warf sie einen Blick nach hinten, widerstand aber dem Drang sich zu bewegen und nach ihrem zweiten Dolch zu greifen. Nicht, dass sie im Moment an diesen heran gekommen wäre.
„Ich habe festgestellt, dass ich mit diesen Dolchen auch gut jemanden entmannen kann, also erübrigt sich die Frage wohl.“
Mit den nächsten Worten des Leutnant hatte sie allerdings nicht gerechnet. Sie verengte die Augen zu schlitzen, befreite sich aber nicht, obwohl er sie locker genug festhielt, dass sie sich einfach aus seinem Griff hätte winden können. Er half ihnen, obwohl er doch sicher ganz genau wusste, was für einen Ärger er sich damit einbringen würde.
Aber bevor sie ihm etwas törichtes sagen konnte, geschah plötzlich alles auf einmal. Die beiden Mitgefangenen ihres Bruders tauchten auf und auch Lucien schien sich in ihre Angelegenheit einmischen zu wollen. Bei allen Welten, was war sie gerade begehrt. Sie schnaubte leise, lauschte erst auf den Kamikazekerl, der die Treppe erst nach oben und jetzt wieder hinunter gerannt kam, dann auf das 'Schätzchen', dass sich an den Lieutnant gewandt hatte und schließlich ihren Bruder, der wenigstens ein bisschen produktiv mitwirkte, statt wie die anderen ziemlich offensichtliche Dinge festzustellen.
Es wurde Zeit zu handeln, denn die Situation spitzte sich mit den grölenden Gefangenen und der Alarmgeläut von oben immer weiter zu.
Mit ein bisschen Nachdruck, damit es den Schein von Echtheit wahrte, befreite sie sich aus dem schwachen Griff des Mannes, lockerte kurz ihre Schulter und stach dann, den Überraschungsmoment ausnutzend, dem einen Soldaten neben ihr den Dolch in die Kehle. Etwas angewidert zog sie die Klinge wieder heraus, sah kurz zu wie der Körper zu Boden sank und wandte sich dann an die vier Männer vor ihr. Kurz nickte sie dem Kamikazekerl zu, denn sie stimmte mit ihm überein. Es wurde Zeit, das sie von ihr verschwanden. Sie nahm sich einen kleinen Moment, um sich einen Überblick über die Lage im Gang zu verschaffen, bevor sie mit einem schnellen Schritt an die Seite ihres Bruder trat. Er hatte die Situation mit dem Marineangehörigen unter Kontrolle, also konnte sie Shanaya helfen. Kurz berührte sie Lucien vorsichtig am Arm, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, behielt dabei jedoch den Lieutnant im Augenwinkel.
„Sieh zu, dass du fertig wirst. Wir müssen von hier verschwinden.“
Schon lief sie in Richtung von Shanaya, als sie sich noch mal an den gruseligen Mitgefangenen von Lucien wandte.
„Wenn du noch Kraft hast, halt uns die Soldaten vom Hals, die von oben kommen. Geht dann alle nach unten, verstanden?“
Sie wartete auf keine Antwort, sondern richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Bedrohung vor der Schwarzhaarigen. Den Dolch nun in der linken Hand zog Talin ihren Degen, hielt sich nicht damit auf anzuhalten, sondern ging auf die beiden Soldaten los. Sie parierte kurz einen halbherzigen Schlag von einem der Soldaten und rammte ihm den Dolch in die Seite, bevor ihr Degen durch das Fleisch auf der anderen Seite drang. Aus dem Augenwinkel warf sie Shanaya einen Blick zu und ein leichtes Grinsen huschte über ihre Lippen.
„Zeit zu gehen.“
[Zellentrakt | erst bei Enrique, Yaris, Lucien und Samuel, dann bei Shanaya]