02.05.2017, 13:50
Dravean wirkte beinahe freundlich, als er ihm den Schlüssel zuwarf, erst seinen eigenen Kommentar auf ähnliche Weise erwiderte und dann noch klar stellte, dass er - wann auch immer - eine Gegenleistung für ihre Rettung erwartete. Nicht so unbekümmert fröhlich natürlich wie die Schwarzhaarige, die sich daraufhin an ihn wandte und ihm mitteilte, dass sie überhaupt keine Bedenken an dem Gelingen ihrer Rettungsaktion hatte. Das Lächeln, das sie ihm zuwarf, war ehrlich und kam für ihn in dieser Situation mehr als unerwartet, traf ihn so unvorbereitet, dass er es einfach nur stumm erwiderte und ihr zunickte. Nun war also auch seine Freiheit zum Greifen nahe, doch noch immer wusste Samuel nicht, ob er diese Chance auch wahrnehmen sollte. Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, spürte er den Blick des Attentäters auf sich ruhen und schaute kurz zu ihm herüber. Die Aufforderung in den kalten grünen Augen war eindeutig. Er erwartete, dass Samuel den Worten ihres mittlerweile ehemaligen Zellengenossens Folge leisten würde, und das unverzüglich. Neue Fragen tauchten in seinem Kopf auf, die nicht unbedingt einfacher zu beantworten waren. Dass der Mann, der ihm in diesem Augenblick gegenüber stand, ein Mörder war, schien festzustehen. Dass er nicht zögern würde, diesen Umstand auf der Morgenwind eindrucksvoll zu demonstrieren, konnte Samuel nur vermuten, war jedoch ebenfalls wahrscheinlich. Um das Leben der unzähligen Marinesoldaten auf dem Schiff kümmerte er sich nur sekundär, auch wenn er den Gedanken überflüssiger Toter grundsätzlich abstoßend fand. Viel mehr sorgte er sich um das Schicksal De Guzmáns, dessen Verhältnis zu dem Attentäter er in keinster Weise abschätzen konnte. Gab es unter Umständen sogar böses Blut zwischen den beiden? Wäre es möglich, dass der Mörder auf Rache aus war?
Eindeutig würde er zumindest die Kampfkraft der Eindringlinge entscheidend verstärken - und unter Umständen fliehen können. Das wäre auch für ihn hilfreich, wenn er selbst an Flucht gedacht hätte, doch allein die Tatsache, dass er sich darüber Gedanke machte, öffnete ihm in diesem Moment die Augen: Er würde die Morgenwind nicht verlassen. Diese Entscheidung hatte er bereits unwiderruflich getroffen. Die Tatsache, dass er mit seinem Leben schon lange abgeschlossen hatte, machte sie ihm einfacher, als er geglaubt hätte, und genau aus diesem Grund war seine Dankbarkeit gegenüber De Guzmán und das Bestreben, diesem seine Unterstützung zurückzuzahlen, größer. Viel größer.
Es stand also fest, dass er nicht fliehen würde, weiter fortgeschritten war sein Plan jedoch nicht. Er machte sich nicht die Illusion, in seinem Zustand in irgendeiner Art und Weise zugunsten einer Seite in den Kampf eingreifen zu können. Dafür war er in einer körperlich viel zu miserablen Verfassung und hatte ohnehin keine großartige Kampferfahrung. Alles, was er tun konnte, war vermutlich, den Leutnant nicht durch seine eigene Flucht noch mehr in Schwierigkeiten zu bringen - und unter Umständen sein Leben dadurch zu bewahren, dass er dem sprichwörtlichen Befehl des Attentäters nicht nachkam. Erneut warf er diesem einen Blick zu, der sofort mit offenkundiger Erkenntnis, gefolgt von einer zornigen Drohung erwidert wurde. Doch Samuels Leben war ihm nicht mehr viel wert, und daher traf ihn diese nicht im Geringsten, noch konnte sie ihn dazu bringen, seine Entscheidung zu revidieren. Entschlossen setzte er sich in Bewegung, um zunächst einmal aus der Zelle zu gelangen, doch in genau diesem Augenblick realisierte er, dass er den Attentäter sträflich unterschätzt hatte. Ohne Vorwarnung erhielt er einen heftigen Tritt gegen die Beine und ging so hart zu Boden, dass ihm jegliche Luft aus den Lungen wich. Nur Augenblicke später hatte der Grünäugige ihm die Schenkel um den Hals geschlungen und seine Luftzufuhr abgeklemmt. Die Kraft, mit der er festgehalten wurde, war enorm angesichts der Tatsache, dass auch sein Angreifer sich in Gefangenschaft befunden hatte, und er wusste, dass er ihr nichts würde entgegensetzen können. Angestrengt versuchte er, einen klaren Gedanken zu fassen, während auch sein Blick verschwamm. Zumindest das war ihm jedoch noch klar: Tot würde er weder den Attentäter aufhalten, noch De Guzmán in irgendeiner anderen Art und Weise unterstützten können.
"Schon... gut...", presste er deshalb hervor, was ihn den letzten Rest Sauerstoff, der sich noch in seiner Lunge befunden hatte, kostete. Ein weißer Schimmer begann, sich rasend schnell von den Seiten seines Sichtfeldes auszubreiten und drohte, alles zu verschlingen - doch dann lockerte der Attentäter den Griff um seinen Hals, Samuel schnappte röchelnd nach Luft und der nahende Ohnmachtsanfall verflog. Sobald er sich wieder halbwegs orientieren konnte und in der Lage war, sich zumindest hinzuknien, öffnete er die Fesseln seines Peinigers und versuchte dann, sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen, die sich in der Zwischenzeit drastisch geändert hatte. Noch immer fehlte seinem Blick ein wenig Schärfe, doch er erkannte, dass der Leutnant sich befreit hatte und nun seinerseits das Leben der Schwester seines ehemaligen Mitgefangenen bedrohte. Das Chaos hatte sich derweil nur noch weiter ausgebreitet und sich zu seinem offenen Kampf entwickelt, in den der Attentäter ohne zu zögern eingriff, kurzerhand das Leben eines verletzten Soldaten beendete und dann, desse Waffe in der Hand, davonstürmte - glücklicherweise in die entgegengesetzte Richtung. Zitternd kam Samuel auf die Beine und schüttelte kurz den Kopf, wonach er endlich wieder klar sehen konnte. Langsam kehrte die Kraft - zumindest das, was davon noch übrig war - zurück in seine Glieder und er blickte sich suchend nach einer Waffe um, mit der er notfalls ebenfalls eingreifen konnte... Als De Guzmán weitere Befehle bellte.
Samuel war kein Experte, weder in Bezug auf das Militär noch auf die Seefahrt, doch er hatte genug gelesen und besaß einen ausreichenden Verstand, um zu bemerken, dass diese Anweisungen keinen Sinn ergaben. Sein prüfender Blick fiel auf den Leutnant, der soeben den Griff um Draveans Schwester gelockert zu haben schien und ihr möglichst unauffällig einige Worte ins Ohr flüsterte. Ungläubig starrte der Bärtige den Dunkelhäutigen an. Er schien komplett den Verstand verloren zu haben.
Kurz entschlossen überbrückte er die Distanz zu De Guzmán, wich dabei den Kämpfen aus und schnappte sich im Vorübergehen eine herrenlos herumliegende Waffe, die offensichtlich zu einem weiteren der Soldaten gehören musste. Er stolperte eher auf den Leutnant zu, als dass er wirklich geraden Schrittes ging, doch zumindest erreichte er sein Ziel. Den Degen hielt er ein wenig von sich gestreckt, um den Anschein zu erwecken, am Kampf teilnehmen zu wollen und richtete ihn auf De Guzmán, setzte einen drohenden Blick auf, der ihm angesichts des Trainings der letzten Jahre nicht sonderlich schwer fiel.
"Was auch immer Sie vorhaben, überlegen Sie sich gut, welche Konsequenzen sich für Sie daraus ergeben", zischte er so leise, dass nur De Guzmán und Draveans Schwester es durch den Kampfeslärm hindurch hören konnten. Dabei blickte er den Leutnant durchdringend an und hoffte, dass dieser die Worte richtig interpretierte - nicht als Drohung, das Leben der Frau zu verschonen, sondern als Hinweis darauf, dass er nicht nur seine Stellung, sondern auch sein Leben aufs Spiel setzte, wenn er versuchte, den Gefangenen aus welchen Gründen auch immer die Flucht zu ermöglichen.
[ erst in der Zelle mit Yaris, dann bei Enrique und Talin ]