29.04.2017, 23:20
Es war wohl eine Berufskrankheit, denn Yaris hatte ein Auge auf das Geschehen vor der Zelle gerichtet. Immer musste der Attentäter wissen, was in seiner Umgebung abging und ob akute Gefahr im Anmarsch war. Sie war zwar nicht direkt im Anmarsch, jedoch dennoch sehr akut. Vor der Zelle tobte der Kampf in einem schieren Chaos. Der Leutnant im Schwitzkasten und zusätzlich noch eine Klinge an der Kehle, der blonde Riese im Zweikampf mit einem der Soldaten, der Kleinere vom zweiten Offizier aufs Kreuz gelegt und gerade den Spieß wieder umdrehte, die kleine Schwarzhaarige war ebenfalls beschäftig und spätestens jetzt war auch der letzte Gefangene auf den Beinen und rüttelte an den Gittern.
Mit dem anderen Auge verfolgte er seinen jungen Zellengenossen. Klirrend fielen seine Fesseln zu Boden. Der Augenblick der Wahrheit. Würde er oder würde er nicht? Es lag noch immer kein Vertrauen in den grünen Augen, als er sich umdrehte. Doch Yaris erkannte den einen Funken darin, der ihm seine Frage unmissverständlich beantwortete, noch bevor dieser den Schlüssel mit der Anweisung ihn loszumachen weiterreichte. Nun wanderte sein Blick schweigend weiter zu dem Bärtigen, während der Jüngling sich an ihm vorbeischob. Dabei vernahm er die Worte der Schwarzhaarigen und sein Blick auf den Bärtigen war eindeutig eine stille Aufforderung seine Fesseln endlich zu lösen. Damit er tun konnte, was er am besten konnte. Um sie noch zu unterstreichen, wandte der Attentäter sich ein Stück um und nickte mit einem harschen Ruck seiner dunklen Locken auf das Eisen an seinen Gelenken. Yaris gestattete dem Alten nicht einmal, seine Fesseln vorher zu lösen. Es war taktische Vorgehensweise. Denn seine Kampfkraft wäre von größerem Nutzen da draußen – wenn sein Zustand zwar nicht förderlich sein würde, seine Erfahrung wäre es Was bitte hätte der Bärtige in die Waagschale zu werfen, was an das heranreichen konnte? Yaris bezweifelte das es etwas gäbe. Nur dachte sein älterer Zellengenosse da wohl ein klein wenig anders. Klirrend fielen die Ketten zu Boden. Der Blick, der seinem begegnete konnte man nur als Absage deuten. In diesem Blick lag die Unsicherheit. Der Kampf in seinem Inneren, ob er sollte oder nicht. Der Bärtige zögerte. Der Attentäter verengte die Lider und sandte damit eine stumme Drohung aus. Es wäre eindeutig gesünder für den Alten, es nicht darauf anzulegen und einen Mann wie den Attentäter herauszufordern. Kalte Entschlossenheit stand in den tiefgrünen Augen, die wie Eis zu splittern schienen. Yaris war ein Mörder. Unzählige Leben hatte er ohne mit der Wimper zu zucken genommen und schlief des Nachts dennoch sehr gut. Yaris würde nicht zögern, dem Mann die verdammten Schlüssel aus seinen kalten, toten Händen zu entwenden und sich selbst zu befreien.
Doch anstatt die Warnung ernst zu nehmen, wollte sich der Mann tatsächlich an ihm vorbeischieben und mit dem Schlüssel unverrichteter Dinge die Zelle verlassen. Dumme Entscheidung. Dumm und sehr falsch. Auch wenn der Mann ihn genau im Auge behielt, er hatte keine Chance. Trotz Verletzungen. Yaris war schnell. Zapfte binnen von Sekunden verborgene Reserven an. Er ging in die Hocke und holte den Alten mit einem gezielten Tritt in die Beine schmerzhaft auf den Boden der Tatsachen zurück. Noch während dem Mann durch den Aufprall die Luft aus den Lungen wich, setzte er nach. Schnellte herum und versetzte ihm mit der Ferse einen heftigen Schlag gegen die Schulter. Wirbelte herum, schlang ihm die Beine um den Hals und drückte die Schenkel unerbittlich um seinen Hals zusammen. Alles in nur einem Atemzug und ganz ohne die Arme zu nutzen, die auf seinem Rücken gefesselt waren. Yaris ignorierte das heiße Brennen auf seinem Rücken, wo verkrustete Wunden durch die heftige Beanspruchung erneut aufgerissen waren, genauso wie die warmen Rinnsale, die daraus hervortraten.
“Öffne … die verdammten … Fesseln … oder ich werde … dein Henker sein …“, keuchte er angestrengt und sein Blick verschwamm immer wieder. Doch der Druck seiner Schenkel wurde nur noch umso fester. Unerbittlich schnürte er dem Alten die Luft ab und sollte er sich nicht bald dazu durchringen, die Eisen zu lösen, würde sein Spatzenhirn sich schneller abschalten, als er überhaupt die Entscheidung treffen konnte, sich mit einem Attentäter anzulegen.
Als auch seine Fesseln endlich fielen, zögerte Yaris nicht und verschwendete auch keine Zeit, sich mit seinem Zellengenossen aufzuhalten oder sich mit seinen gezeichneten Handgelenken zu befassen. Seine steifen Muskeln rebellierten. Sein Kopf strafte die abrupten Bewegungen mit neu auflodernden Schmerzen, die während der Ruhe zu einer glimmenden Glut abgeebbt waren. Der Schlag mit der Pistole des Leutnants hatte sein Hirn ganz schön durcheinandergeworfen. Der Bluterguss an seiner Schläfe tief violett. Doch Yaris verbannte das alles in die hinterste Ecke seines Bewusstseins.
Ohne ein Wort oder der kleinen Schwarzhaarigen einen Blick zuzuwerfen, umrundete er diese, kniete sich neben den Soldaten, der sich am Boden wand. Sein Bluttränkte die schmutzigen Dielen, obwohl er sich die Wunde krampfhaft abzudrücken versuchte. Sein röchelnder Atem kam stoßweise und im spärlichen Licht der wenigen Lampen, erkannte er die Erkenntnis in seinen Augen. Er wusste was sein rasselnder Atem Yaris verriet. Die Verletzung war nicht sofort tödlich gewesen. Doch nun füllte sich seine Lunge mit Blut. Der Mann würde jämmerlich an seinem eigenen Blut ersticken. Wortlos nahm Yaris den Degen aus der Hand, den der Soldat völlig Freiwillig losließ – mit einem ganz bestimmten Flehen in seinen dunklen Augen. Der Attentäter verstand es. Eine wortlose Kommunikation und Verstehen zwischen zwei Todfeinden. Doch im Moment des Todes waren sie alle gleich, wie Katzen in der Nacht alle grau waren. Ein leichtes Nicken und obwohl um sie herum heftig gekämpft wurde, legte er dem Mann die Hand auf die Schulter und drückte sie licht, während der Attentäter die Spitze des Degens auf die Brust des Mannes setzte. Dieser schloss die Augen und mit einem kurzen Ruck stieß Yaris die Klinge zwischen die Rippen.
Eine Sekunde verstrich. Sie waren Feinde im Leben gewesen. Doch gestorben war dieser Mann mit dem Blick auf seinen Erlöser. Als Attentäter nahm Yaris nicht nur Leben, weil es sein Auftrag war. Hin und wieder – wenn auch selten – war der Tod auch eine Erlösung für den Sterbenden. Und manchmal wussten wenige es auch zu schätzen und starben mit einem Lächeln auf den Lippen. Genau wie dieser Mann.
Noch einmal atmete Yaris tief durch und erhob sich, während der Degen gleichzeitig aus dem toten Körper herausglitt. Ein schneller Blick, mit dem sich der Attentäter einen Überblick über die Lage verschaffte. Der Leutnant hatte sich befreit. Der zweite Offizier … dem der kleinere Kerl der Angreifer einladend die Hand entgegenstreckte, als wolle der einen Pakt abschließen mit dem Feind. Aber ganz ehrlich? Bei diesem Haufen verwunderte ihn gar nichts mehr. Der Hüne kämpfte noch immer verbissen und der Leutnant bellte seine Befehle. Den Sinn dahinter verstand ein nicht Eingeweihter wohl kaum. Auch die Soldaten nicht, auch wenn sie dem Folge leistete. Yaris hingegen wusste, was Sache war. Die Möglichkeit zur Flucht. Er räumte sie ihnen damit ein.
Einer der Soldaten polterte wieder die Treppe herunter, ein anderer rannte sie rauf. Yaris zögerte nicht und setzte ihm nach. In Anbetracht seines Zustandes ziemlich schnell. Genauso agil duckte er sich um einem Irrläufer mit dem Degen von dem blonden Riesen hinweg. Man konnte kaum glauben, dass er Gefangener auf diesem Schiff gewesen sein sollte. Doch Yaris hatte gut auf seine Reserven aufgepasst, für alle Eventualitäten. Der Vorsteher des Gefängnisses hatte ihm alles abverlangt. In seinem Versuch, den Attentäter zu brechen, hatte er ihn an die Grenzen getrieben. Doch seine Reserven hatte Yaris geweigert anzuzapfen. Jetzt waren sie Gold wert. Sein Körper wollte rebellieren, seine Muskeln und sein Kopf und sein Rücken brannten vor Schmerz, doch Yaris zwang sie alle zu funktionieren. Zwang sich im Sprint die Treppen hinauf. Hinter dem Soldaten her, der den obersten Treppenabsatz bereits erreicht hatte und zur Alarmglocke sprinten wollte, um die Morgenwind aus ihrem Schlaf zu reißen, genau wie die beiden Begleitschiffe zu warnen. Doch soweit würde es Yaris nicht kommen lassen. Auf dem Kanonendeck nutze er einen Stapel abgedeckter Kisten als Sprungbrett für die Abkürzung, erwischte den Soldaten. Mit der Kraft, die ihm dieser Sprung verlieh, stieß der Attentäter dem Soldaten den Degen in den Nacken und durchtrennte das Rückenmark an der kritischsten Stelle. Lediglich sein Aufkommen war dumpf auf dem Deck zu hören. Den erschlafften Körper hatte Yaris auffangen können. Dennoch, lauschend schaute sich der Attentäter um und wartete gespannt, ob eine Patrouille zu nahe gewesen war und ihn gehört hatte. Doch blieb still.
Aber Verschnaufen oder Ausruhen war nicht. Yaris schleifte den Toten hinter eine der Kanon und weit genug aus dem direkten Sichtfeld, wo er ihn zurückließ, um selbst in den Zellentrackt zurückzukehren. Trotzdem, es würde nicht mehr so lange dauern, bis der Lärm die restliche Besatzung weckte und alarmierte.
Am Fuße der Treppe erwischte er einen der Angreifer, der mit einem Soldaten beschäftigt war. Die kleine Blonde. Auch wenn sie vielleicht keine Hilfe brauchte oder wollte, mischte er sich in den Kampf an.
“Wir sollten verschwinden. Lange bleibt der Lärm da oben nicht mehr verborgen.“, zischte er ihr bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu.