19.04.2017, 15:53
So, wie er Shanaya bisher kennengelernt hatte, juckte es gerade nicht nur ihm in den Fingern, irgendetwas zu tun, um die Lage wieder in die eigene Hand zu bringen. Zwar mochten sie gerade in der Unterzahl sein, aber die Betrunkenen waren eindeutig recht einfach zu bereden und zudem noch begeistert von der Idee, sich eine handfeste Schlägerei mit den Gefangenen zu liefern. An sich ja schon mal ein guter Anhaltspunkt, wenn da nicht noch zwei Leute gewesen wären, die zu ihrem bedauern ziemlich nüchtern waren. Und humorlos. Und verdammt noch mal viel zu er auf Rang und Position erpicht, als dass sie einfach mal Anweisung Anweisung sein ließen. Sie machten es ihnen wahrlich nicht einfach, aber ausnahmsweise wollte Liam dieses Mal nicht derjenige sein, der alles wieder zum eskalieren brachte. Nicht wie damals in der Taverne (wobei das eher Sinecas Verdienst gewesen war) und auch nicht so wie am Hafen, als er ihren schwarzen Kumpanen mal eben zum Gejagten gemacht hatte. Zugegeben – bisher hatte es jedes Mal funktioniert, aber das hier war brenzliger. Sie waren auf hoher See. Eine Flucht erwies sich also als wesentlich schwieriger, wenn nicht alles irgendwie nach Plan verlief. Auch, wenn es nicht seine Stärke war, sich an Pläne zu halten – dieses Mal gab er sich Mühe, dass er wusste, wie viel Talin am Gelingen dieses Vorhabens lag.
Liam zog die Augenbrauen zusammen, als ihn der Oberste auf später vertrösten wollte und sich stattdessen erst einmal an seinen Kollegen wandte und ihm anwies, die Schar an Betrunkener zu beseitigen. Indes fand Liam Zeit, kurz zur Seite zu spähen, wo Shanaya weiterhin versuchte, ihre vermeintlich einzige Chance ein wenig aufzuwiegeln und ihnen mehr Chancen zu erarbeiten. Das, was er hörte, klang gar nicht mal so dumm und ließ ihn flüchtig lächelnd den Kopf schütteln, ehe er sich wieder seinem Gegenüber zuwenden wollte, um kurzerhand mit anzupacken und die kleine Gruppe Betrunkener zusammenzutreiben. Vielleicht stimmte das den Rest ja ein wenig versöhnlicher. Tatsächlich sprach der Dunkelhaarige sie gleich darauf, dass wieder etwas Ordnung herrschte, wieder an, kam allerdings nicht sonderlich weit in seiner Ausführung, denn einer der Betrunkenen hatte sich auf Shanayas Anraten hin schließlich tatsächlich dazu entschlossen, den Versuch zu starten, mit wankendem Schritten an den Schlüssel zu kommen, der ihn von Ehre und Vergnügen trennte. Statt ihn aufzuhalten, als er auf seiner Höhe war, bewegte sich Liam instinktiv zur Seite und bemühte sich um eine irritierte Miene. Gleich darauf lagen sie beide am Boden – oder zumindest einer, denn ganz so dumm war der Offizier dann doch nicht. Trotzdem – die Haltung, mit der er sich nun an die Gitter drückte, um den Griffen des Soldaten zu entgehen, konnte man bei bestem Willen auch nicht mehr 'Stehen' nennen. Liam wirbelte herum, sein Blick suchte den Schlüssel, während er eilig überlegte, wie sie nun am besten, einfachsten und sichersten rankämen – Sineca! Doch als er sich nach Talin umsah, hatte sie die Kiste bereits zu Boden gestellt. Der Deckel war leicht geöffnet, Sineca damit irgendwo verschwunden. Sehr gut. Fast gleichzeitig mit dem Tumult an seiner Seite, wendete er sich wieder herum, bloß um zu sehen, dass einer der Gefangenen seine Chance genutzt hatte. Liams Blick glitt erst über die harten, mordlustigen Züge des Zelleninsassen, ehe er auf den Zügen des Offiziers hängen blieb, der nun wirklich in einer misslichen Lage steckte. Und dann endlich war es soweit – Talin machte den ersten Schritt, der für den Rest ihrer kleinen Truppe bedeutete, dass es nicht mehr darum ging, eine Illusion aufrecht zu erhalten, die ohnehin am Bröckeln war. Ihr Captain kümmerte sich direkt den Offizier, der nicht mehr nur von hinten, sondern nun auch von vorne belagert wurde. Liam schenkte dem Inhaftierten ein kurzes Nicken, anerkennend und leise versprechend, dass er sich damit vielleicht die Freiheit verdient hatte, ehe er rasch den anderen nüchternen Soldaten ins Auge fasste. Er war als einziger hier unten eine wirkliche Gefahr – der Rest war bereits mit Stehen überfordert.
„Hey!“, zischte er Shanaya zu, und wies mit einem Ruck des Kopfes in Richtung Talin, damit sie ihr den Schlüssel abnahm und die Blonde sich weiterhin um den Marineoffizier kümmern konnte.
Gleichzeitig zückte er blitzschnell seinen eigenen Dolch und nutzte das Durcheinander um die wenigen Schritte, die sich zwischen dem zweiten Soldaten und ihm befanden, zu überbrücken. Ohne groß darüber nachzudenken, zog er ihn zur Seite und schlang ihm ebenso den Arm über Brust und Hals, um ihn im Griff zu haben. Irgendetwas irritierte ihn dabei, vielleicht, weil er ihn sich kräftiger vorgestellt hatte, als er letztendlich war, aber Liam hing sich daran nicht wirklich auf. Stattdessen hob er ihm ebenso den Dolch an den Hals.
„Dir passiert nichts, wenn du ruhig bleibst.“, hauchte er Kaladar recht überzeugt ins Ohr, ehe er die Stimme wieder erhob. „Heey, der Kampf ist doch total unfair! Wir sollten dem Offizier helfen und die Zelle öffnen, damit sich dieser Verbrecher nicht hinter Gitterstäben verstecken kann!“
Damit wandte er sich an die übriggebliebene Menge Betrunkener. Und wenn sie nicht parierten, hatten Aspen und Shanaya mit Sicherheit den größten Spaß daran, sie einfach umzukegeln. Bis sie sich wieder auf die Beine gearbeitet hatten in ihrer momentanen Verfassung waren sie (hoffentlich) längst über alle Berge. Wobei eher zu hoffen blieb, dass sich Aspen den anderen Nüchternen schnappte.