08.04.2017, 23:10
Das war ein Showdown hier. Die Menschenmassen verfielen in wahre Ektase, nicht unbedingt zu seinen Gunsten, doch Yaris ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Kein Stück. Nicht einmal, als faules Obst und Gemüse ihn traf. Diese wildgewordene Horde meinte, sein Ableben wäre derzeit das Wichtigste überhaupt. Diese blinden Schafe. Ihn wollten sie am liebsten an Ort und Stelle gelyncht sehen. Ja, Yaris nahm Leben. Doch in dieser Gesellschaft gab es Individuen, die noch weitaus mehr Leichen im Keller hatten wie er. Und dabei handelte sich nicht immer um menschliche Leichen. Nur interessierten sich diese einfältigen Spießer nur für das, was man ihnen als das schlimmste Übel vor die Füße warf. Und wie eine Meute hungriger Wölfe stürzten sie sich auf diesen einzigen offen sichtbaren Happen. Man sollte sie für ihre Dummheit bestrafen.
Die Gedanken fest hinter einer Maske aus Unerschütterlichkeit verborgen, ließ sich der Attentäter in die Kutsche verfrachten. Seine Bewegungen gefasst, aber freiwillig. Wieso auch sollte er sich zur Wehr setzen? Um diesen Hampelmännern hier das Vergnügen zu geben, dass sie ihn gleich hier niederstrecken? Ganz gewiss nicht. Yaris war ein Sensenmann. Er brachte den Tod auf so vielerlei Arten. Das Mädchen, das da in der Menge stand. Sie hatte ihn einmal gefragt, ob er – obwohl er den Tod brachte – sich selbst vor dem Tod fürchtete. Yaris hatte ihr keine klare Antwort darauf gegeben. Doch nein. Er hatte keine Angst zu sterben. Nicht, weil der Tod sein täglicher Begleiter war. Er war sein Job, aber nicht sein Freund. Nein, Yaris fürchtete ihn nicht, weil er tief im inneren gebrochen und niemals geheilt war. Sein Vater hatte ganze Arbeit geleistet. Für Yaris war der Tod nur der letzte mögliche Schritt. Kein Ausweg. Nichts, was er aus eigenem Antrieb heraus tun würde. Doch es war das einzige mögliche Ende einer gebrochenen Seele. Unweigerlich. Nur wann er diesen Schritt würde tun, stand in den Sternen. Jetzt war es soweit und er würde ihn tun.
Die Soldaten zogen die Ketten noch extra schön fest und hielten sie so kurz wie möglich. Nur, um dem Attentäter keinerlei Möglichkeiten in die Hand zu spielen, die er doch irgendwie zu seinen Gunsten nutzen könnte. Danach verließen sie das kleine Gefährt und Yaris stellte sich auf eine holprige Fahrt ein, in der er mit sich und seinen Gedanken allein sein würde. Umso überraschter war er, als der Leutnant einstieg und die Tür hinter sich zuzog. Mit stoischer Gelassenheit verfolgte er den Mann, wie er sich ihm gegenübersetzte und musterte. Ja, Yaris fragte sich tatsächlich, was das denn werden sollte.
Draußen tobte der Lärm unaufhörlich, während sich die Kutsche in Bewegung setzte und Richtung Hafen holperte. Über diesen Lärm erhob sich eine einzige Frage. Wie viel ihm sein Leben wert war? Aus diesem Mann wurde Yaris einfach nicht schlau. Mit nichts sagender Miene sah er dem Leutnant in die Augen. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, ohne, dass der Attentäter den Blick senkte noch ein Wort sagte. Eine einzelne Frage, die im Raum schwebte …
…, die Yaris nicht gewillt war zu beantworten. „Falsche Frage, Leutnant. Besser wäre: Welchen Preis sind Sie bereit zu zahlen, dass ein spezielles Leben ausgelöscht wird, ohne dass Sie sich dabei die Finger mit diesem Blut besudeln.“ Eine Stimme, die völlig frei jeder Wertung war. Professionell. Nüchtern.
Oh, kleiner Leutnant, Yaris hatte ihn durchschaut. Diese eine Frage verriet mehr über diesen Mann, als ihm wohl lieb war. Und dass es hier nicht um Gold ging, sondern was dieser Mann bereit war, dafür zu tun, stand außer Frage. Dieser Mann war im Grunde wie die Leute da draußen. Er verachtete ihn und doch war diese Frage über seine Lippen gekommen.